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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

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ungeheurer Augenblicke zu bemächtigen pflegt. Die
Zicklein und Böcklein folgten, so daß die den
Gipfel hinan und hinunter rennenden, springenden,
stolpernden, stürzenden Thiere demselben ein Ansehen
gaben, wodurch er mehr der Kuppe eines thessalischen
Zauberberges, als der heiteren musischen Höhe glich.

Was mich betrifft, so war ich an der Quelle
zurückgeblieben. Warum sollte ich hinter Käfer und
Fliege herlaufen? Mein eigenes Schicksal machte
mir bange. Ich fürchtete die Rückkehr der Heerde.

Die Mütter hatten mir nämlich schon vor eini-
gen Tagen angekündigt, daß, um auch die letzten
Reste der verhaßten Menschlichkeit in mir auszu-
tilgen, ich nächstens aus der weiblichen Erziehung
entlassen und den Händen der Gatten übergeben
werden solle. Dagegen sträubten sich nun aber
jene Reste mit aller Macht und vielleicht eben so
heftig, wie die Neigungen des Trygäosrosses gegen
Lilien und Rosen. Denn mir blieb ein physischer
Abscheu gegen die Gatten beiwohnen, so sehr ich
ihre ehrwürdigen Eigenschaften achtete. Aber letz-
tere hatten gewisse natürliche Begabungen an ihnen
nicht zu tilgen vermocht, und ich empfand das
innigste Grauen vor dem Augenblicke, der mich

ungeheurer Augenblicke zu bemächtigen pflegt. Die
Zicklein und Böcklein folgten, ſo daß die den
Gipfel hinan und hinunter rennenden, ſpringenden,
ſtolpernden, ſtürzenden Thiere demſelben ein Anſehen
gaben, wodurch er mehr der Kuppe eines theſſaliſchen
Zauberberges, als der heiteren muſiſchen Höhe glich.

Was mich betrifft, ſo war ich an der Quelle
zurückgeblieben. Warum ſollte ich hinter Käfer und
Fliege herlaufen? Mein eigenes Schickſal machte
mir bange. Ich fürchtete die Rückkehr der Heerde.

Die Mütter hatten mir nämlich ſchon vor eini-
gen Tagen angekündigt, daß, um auch die letzten
Reſte der verhaßten Menſchlichkeit in mir auszu-
tilgen, ich nächſtens aus der weiblichen Erziehung
entlaſſen und den Händen der Gatten übergeben
werden ſolle. Dagegen ſträubten ſich nun aber
jene Reſte mit aller Macht und vielleicht eben ſo
heftig, wie die Neigungen des Trygäosroſſes gegen
Lilien und Roſen. Denn mir blieb ein phyſiſcher
Abſcheu gegen die Gatten beiwohnen, ſo ſehr ich
ihre ehrwürdigen Eigenſchaften achtete. Aber letz-
tere hatten gewiſſe natürliche Begabungen an ihnen
nicht zu tilgen vermocht, und ich empfand das
innigſte Grauen vor dem Augenblicke, der mich

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[174/0192] ungeheurer Augenblicke zu bemächtigen pflegt. Die Zicklein und Böcklein folgten, ſo daß die den Gipfel hinan und hinunter rennenden, ſpringenden, ſtolpernden, ſtürzenden Thiere demſelben ein Anſehen gaben, wodurch er mehr der Kuppe eines theſſaliſchen Zauberberges, als der heiteren muſiſchen Höhe glich. Was mich betrifft, ſo war ich an der Quelle zurückgeblieben. Warum ſollte ich hinter Käfer und Fliege herlaufen? Mein eigenes Schickſal machte mir bange. Ich fürchtete die Rückkehr der Heerde. Die Mütter hatten mir nämlich ſchon vor eini- gen Tagen angekündigt, daß, um auch die letzten Reſte der verhaßten Menſchlichkeit in mir auszu- tilgen, ich nächſtens aus der weiblichen Erziehung entlaſſen und den Händen der Gatten übergeben werden ſolle. Dagegen ſträubten ſich nun aber jene Reſte mit aller Macht und vielleicht eben ſo heftig, wie die Neigungen des Trygäosroſſes gegen Lilien und Roſen. Denn mir blieb ein phyſiſcher Abſcheu gegen die Gatten beiwohnen, ſo ſehr ich ihre ehrwürdigen Eigenſchaften achtete. Aber letz- tere hatten gewiſſe natürliche Begabungen an ihnen nicht zu tilgen vermocht, und ich empfand das innigſte Grauen vor dem Augenblicke, der mich

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/192>, abgerufen am 28.04.2024.