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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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werfen, leise auf den Zehen aus dem Zimmer schlei-
chen. Der Traum führte sie hierauf nach der Garde-
robe. Dort legte mein Vater Stück vor Stück die
prächtige grüne Uniform an. Sie konnte sich nicht
satt an ihm sehen, er kam ihr gar zu schön vor, und
doch beschwor sie ihn inständigst und mit der äußer-
sten Herzensangst, von seinem Vorhaben abzustehen.
Er ließ sich aber nicht hindern, schnallte das Cou-
teau um, und in dem Augenblicke wieherte ein
Pferd. Nun zerbrach blitzschnell das bisherige
Traumgesicht, und mit Entsetzen sah sie meinen
Vater blutigen Hauptes unten im Hofe auf dem
Pflaster liegen. Ehe sie noch sich zu ihm helfend
hinbeugen konnte, wieherte das Pferd, welches sie
wunderbarerweise nicht sah, zum zweitenmale, und
-- sie erwachte, wie es ihr vorkam, von einem
wirklichen Pferdewiehern aus den Schrecknissen des
Traumes geweckt. Schlaftrunken tastete sie umher,
um des Vaters Wange sich zur Beruhigung zu
streicheln, aber der Taumel ihrer Sinne wich der
angstvollsten Ermunterung, denn das Bett neben
ihr war verlassen, die Decke zurückgeschlagen. Sie
schellte dem Mädchen, fragte, wo der Herr sei?
Diese, welche ihn im Gange verstohlen an sich

werfen, leiſe auf den Zehen aus dem Zimmer ſchlei-
chen. Der Traum führte ſie hierauf nach der Garde-
robe. Dort legte mein Vater Stück vor Stück die
prächtige grüne Uniform an. Sie konnte ſich nicht
ſatt an ihm ſehen, er kam ihr gar zu ſchön vor, und
doch beſchwor ſie ihn inſtändigſt und mit der äußer-
ſten Herzensangſt, von ſeinem Vorhaben abzuſtehen.
Er ließ ſich aber nicht hindern, ſchnallte das Cou-
teau um, und in dem Augenblicke wieherte ein
Pferd. Nun zerbrach blitzſchnell das bisherige
Traumgeſicht, und mit Entſetzen ſah ſie meinen
Vater blutigen Hauptes unten im Hofe auf dem
Pflaſter liegen. Ehe ſie noch ſich zu ihm helfend
hinbeugen konnte, wieherte das Pferd, welches ſie
wunderbarerweiſe nicht ſah, zum zweitenmale, und
— ſie erwachte, wie es ihr vorkam, von einem
wirklichen Pferdewiehern aus den Schreckniſſen des
Traumes geweckt. Schlaftrunken taſtete ſie umher,
um des Vaters Wange ſich zur Beruhigung zu
ſtreicheln, aber der Taumel ihrer Sinne wich der
angſtvollſten Ermunterung, denn das Bett neben
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[360/0368] werfen, leiſe auf den Zehen aus dem Zimmer ſchlei- chen. Der Traum führte ſie hierauf nach der Garde- robe. Dort legte mein Vater Stück vor Stück die prächtige grüne Uniform an. Sie konnte ſich nicht ſatt an ihm ſehen, er kam ihr gar zu ſchön vor, und doch beſchwor ſie ihn inſtändigſt und mit der äußer- ſten Herzensangſt, von ſeinem Vorhaben abzuſtehen. Er ließ ſich aber nicht hindern, ſchnallte das Cou- teau um, und in dem Augenblicke wieherte ein Pferd. Nun zerbrach blitzſchnell das bisherige Traumgeſicht, und mit Entſetzen ſah ſie meinen Vater blutigen Hauptes unten im Hofe auf dem Pflaſter liegen. Ehe ſie noch ſich zu ihm helfend hinbeugen konnte, wieherte das Pferd, welches ſie wunderbarerweiſe nicht ſah, zum zweitenmale, und — ſie erwachte, wie es ihr vorkam, von einem wirklichen Pferdewiehern aus den Schreckniſſen des Traumes geweckt. Schlaftrunken taſtete ſie umher, um des Vaters Wange ſich zur Beruhigung zu ſtreicheln, aber der Taumel ihrer Sinne wich der angſtvollſten Ermunterung, denn das Bett neben ihr war verlaſſen, die Decke zurückgeſchlagen. Sie ſchellte dem Mädchen, fragte, wo der Herr ſei? Dieſe, welche ihn im Gange verſtohlen an ſich

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/368>, abgerufen am 22.11.2024.