dieser geistreiche Satiricus, Lügenhans und humo- ristisch-complicirte Allerwelts-Haselant ist der Zeit- geist in persona; nicht der Geist der Zeit, oder richtiger gesagt; der Ewigkeit, der in stillen Klüf- ten tief unten sein geheimes Werk treibt, sondern der bunte Pickelhäring, den der schlaue Alte unter die unruhige Menge emporgeschickt hat, auf daß sie, abge- zogen durch Fastnachtspossen und Sycophanten-Decla- mation von ihm und seiner unergründlichen Arbeit, nicht die Geburt der Zukunft durch ihr dummdrei- stes Zugucken und Zupatschen störe. Denn zweier- lei war das Merkwürdigste an dem Vagabunden: Erstens, er trug nicht reine Mährchenpoesie vor, sondern die grotesken Erfindungen und Gestalten wurden von ihm mit solcher Ruhe, Ueberzeugung und Ernsthaftigkeit hingestellt, sie saßen ihm so in Fell und Fleisch fest, daß man in währender Er- zählung zu keinem dichterischen Behagen gelangte, man mußte ihn entweder für verrückt halten, oder an seinen Sachen, wie unsinnig sich das ausnahm, auf eine Stunde glauben. Zweitens, wenn er auch meistens in seinen milesischen Fabeln die Tho- ren und Schächer der Zeit durchnahm, so fühlte man bald -- wenigstens ich hatte die Empfindung
dieſer geiſtreiche Satiricus, Lügenhans und humo- riſtiſch-complicirte Allerwelts-Haſelant iſt der Zeit- geiſt in persona; nicht der Geiſt der Zeit, oder richtiger geſagt; der Ewigkeit, der in ſtillen Klüf- ten tief unten ſein geheimes Werk treibt, ſondern der bunte Pickelhäring, den der ſchlaue Alte unter die unruhige Menge emporgeſchickt hat, auf daß ſie, abge- zogen durch Faſtnachtspoſſen und Sycophanten-Decla- mation von ihm und ſeiner unergründlichen Arbeit, nicht die Geburt der Zukunft durch ihr dummdrei- ſtes Zugucken und Zupatſchen ſtöre. Denn zweier- lei war das Merkwürdigſte an dem Vagabunden: Erſtens, er trug nicht reine Mährchenpoeſie vor, ſondern die grotesken Erfindungen und Geſtalten wurden von ihm mit ſolcher Ruhe, Ueberzeugung und Ernſthaftigkeit hingeſtellt, ſie ſaßen ihm ſo in Fell und Fleiſch feſt, daß man in währender Er- zählung zu keinem dichteriſchen Behagen gelangte, man mußte ihn entweder für verrückt halten, oder an ſeinen Sachen, wie unſinnig ſich das ausnahm, auf eine Stunde glauben. Zweitens, wenn er auch meiſtens in ſeinen mileſiſchen Fabeln die Tho- ren und Schächer der Zeit durchnahm, ſo fühlte man bald — wenigſtens ich hatte die Empfindung
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0343"n="335"/>
dieſer geiſtreiche Satiricus, Lügenhans und humo-<lb/>
riſtiſch-complicirte Allerwelts-Haſelant iſt der Zeit-<lb/>
geiſt <hirendition="#aq">in persona;</hi> nicht der Geiſt der Zeit, oder<lb/>
richtiger geſagt; der Ewigkeit, der in ſtillen Klüf-<lb/>
ten tief unten ſein geheimes Werk treibt, ſondern<lb/>
der bunte Pickelhäring, den der ſchlaue Alte unter die<lb/>
unruhige Menge emporgeſchickt hat, auf daß ſie, abge-<lb/>
zogen durch Faſtnachtspoſſen und Sycophanten-Decla-<lb/>
mation von ihm und ſeiner unergründlichen Arbeit,<lb/>
nicht die Geburt der Zukunft durch ihr dummdrei-<lb/>ſtes Zugucken und Zupatſchen ſtöre. Denn zweier-<lb/>
lei war das Merkwürdigſte an dem Vagabunden:<lb/>
Erſtens, er trug nicht reine Mährchenpoeſie vor,<lb/>ſondern die grotesken Erfindungen und Geſtalten<lb/>
wurden von ihm mit ſolcher Ruhe, Ueberzeugung<lb/>
und Ernſthaftigkeit hingeſtellt, ſie ſaßen ihm ſo in<lb/>
Fell und Fleiſch feſt, daß man in währender Er-<lb/>
zählung zu keinem dichteriſchen Behagen gelangte,<lb/>
man mußte ihn entweder für verrückt halten, oder<lb/>
an ſeinen Sachen, wie unſinnig ſich das ausnahm,<lb/>
auf eine Stunde glauben. Zweitens, wenn er<lb/>
auch meiſtens in ſeinen mileſiſchen Fabeln die Tho-<lb/>
ren und Schächer der Zeit durchnahm, ſo fühlte<lb/>
man bald — wenigſtens ich hatte die Empfindung<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[335/0343]
dieſer geiſtreiche Satiricus, Lügenhans und humo-
riſtiſch-complicirte Allerwelts-Haſelant iſt der Zeit-
geiſt in persona; nicht der Geiſt der Zeit, oder
richtiger geſagt; der Ewigkeit, der in ſtillen Klüf-
ten tief unten ſein geheimes Werk treibt, ſondern
der bunte Pickelhäring, den der ſchlaue Alte unter die
unruhige Menge emporgeſchickt hat, auf daß ſie, abge-
zogen durch Faſtnachtspoſſen und Sycophanten-Decla-
mation von ihm und ſeiner unergründlichen Arbeit,
nicht die Geburt der Zukunft durch ihr dummdrei-
ſtes Zugucken und Zupatſchen ſtöre. Denn zweier-
lei war das Merkwürdigſte an dem Vagabunden:
Erſtens, er trug nicht reine Mährchenpoeſie vor,
ſondern die grotesken Erfindungen und Geſtalten
wurden von ihm mit ſolcher Ruhe, Ueberzeugung
und Ernſthaftigkeit hingeſtellt, ſie ſaßen ihm ſo in
Fell und Fleiſch feſt, daß man in währender Er-
zählung zu keinem dichteriſchen Behagen gelangte,
man mußte ihn entweder für verrückt halten, oder
an ſeinen Sachen, wie unſinnig ſich das ausnahm,
auf eine Stunde glauben. Zweitens, wenn er
auch meiſtens in ſeinen mileſiſchen Fabeln die Tho-
ren und Schächer der Zeit durchnahm, ſo fühlte
man bald — wenigſtens ich hatte die Empfindung
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/343>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.