bar. Alles Genie und Talent ist nichts weiter als Instinct. Nenne mir den Künstler, den Dichter, der beides nicht aus sogenanntem dunklem Drange geworden wäre! Wir Andern haben freilich so bestimmte Fingerzeige nicht in uns, indessen sind fast jedem Menschen -- vielleicht jedem -- auch ganz feste Richtungen, unverrückbare Puncte eingeboren, welche außen oft als Launen, Grillen, Seltsamkeiten, Lieb- habereien erscheinen, dennoch aber vielleicht auf das allerfesteste Gesetz der Seele hindeuten. Es sind die- ses nicht die sogenannten Grundsätze, Maximen, Le- bensweisen, Gewöhnungen -- das Alles kann angebil- det und angelernt werden -- nein, was ich meine, ist etwas ganz Anderes, aber freilich schwer zu beschreiben.
Diese Lichter des innern Menschen sind Halb- träume des Instincts. Von dem nüchternen Tages- scheine des Verstandes entscheucht, von der wühlenden Hand der Selbstbeschauung zerschlagen, wirken sie nicht so siegreich, wie bei dem Wandervogel und bei der Biene das unwiderstehliche Muß, glücklich ist aber derjenige, der die Stimme jener Träume hört und ihr folgt.
Das Genie wird geboren, sagt man, und dar- über ist Jeder einverstanden Ich füge hinzu:
bar. Alles Genie und Talent iſt nichts weiter als Inſtinct. Nenne mir den Künſtler, den Dichter, der beides nicht aus ſogenanntem dunklem Drange geworden wäre! Wir Andern haben freilich ſo beſtimmte Fingerzeige nicht in uns, indeſſen ſind faſt jedem Menſchen — vielleicht jedem — auch ganz feſte Richtungen, unverrückbare Puncte eingeboren, welche außen oft als Launen, Grillen, Seltſamkeiten, Lieb- habereien erſcheinen, dennoch aber vielleicht auf das allerfeſteſte Geſetz der Seele hindeuten. Es ſind die- ſes nicht die ſogenannten Grundſätze, Maximen, Le- bensweiſen, Gewöhnungen — das Alles kann angebil- det und angelernt werden — nein, was ich meine, iſt etwas ganz Anderes, aber freilich ſchwer zu beſchreiben.
Dieſe Lichter des innern Menſchen ſind Halb- träume des Inſtincts. Von dem nüchternen Tages- ſcheine des Verſtandes entſcheucht, von der wühlenden Hand der Selbſtbeſchauung zerſchlagen, wirken ſie nicht ſo ſiegreich, wie bei dem Wandervogel und bei der Biene das unwiderſtehliche Muß, glücklich iſt aber derjenige, der die Stimme jener Träume hört und ihr folgt.
Das Genie wird geboren, ſagt man, und dar- über iſt Jeder einverſtanden Ich füge hinzu:
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0334"n="326"/>
bar. Alles Genie und Talent iſt nichts weiter als<lb/>
Inſtinct. Nenne mir den Künſtler, den Dichter,<lb/>
der beides nicht aus ſogenanntem dunklem Drange<lb/>
geworden wäre! Wir Andern haben freilich ſo<lb/>
beſtimmte Fingerzeige nicht in uns, indeſſen ſind faſt<lb/>
jedem Menſchen — vielleicht jedem — auch ganz feſte<lb/>
Richtungen, unverrückbare Puncte eingeboren, welche<lb/>
außen oft als Launen, Grillen, Seltſamkeiten, Lieb-<lb/>
habereien erſcheinen, dennoch aber vielleicht auf das<lb/>
allerfeſteſte Geſetz der Seele hindeuten. Es ſind die-<lb/>ſes nicht die ſogenannten Grundſätze, Maximen, Le-<lb/>
bensweiſen, Gewöhnungen — das Alles kann angebil-<lb/>
det und angelernt werden — nein, was ich meine, iſt<lb/>
etwas ganz Anderes, aber freilich ſchwer zu beſchreiben.</p><lb/><p>Dieſe Lichter des innern Menſchen ſind Halb-<lb/>
träume des Inſtincts. Von dem nüchternen Tages-<lb/>ſcheine des Verſtandes entſcheucht, von der wühlenden<lb/>
Hand der Selbſtbeſchauung zerſchlagen, wirken ſie<lb/>
nicht ſo ſiegreich, wie bei dem Wandervogel und<lb/>
bei der Biene das unwiderſtehliche Muß, glücklich<lb/>
iſt aber derjenige, der die Stimme jener Träume<lb/>
hört und ihr folgt.</p><lb/><p>Das Genie wird geboren, ſagt man, und dar-<lb/>
über iſt Jeder einverſtanden Ich füge hinzu:<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[326/0334]
bar. Alles Genie und Talent iſt nichts weiter als
Inſtinct. Nenne mir den Künſtler, den Dichter,
der beides nicht aus ſogenanntem dunklem Drange
geworden wäre! Wir Andern haben freilich ſo
beſtimmte Fingerzeige nicht in uns, indeſſen ſind faſt
jedem Menſchen — vielleicht jedem — auch ganz feſte
Richtungen, unverrückbare Puncte eingeboren, welche
außen oft als Launen, Grillen, Seltſamkeiten, Lieb-
habereien erſcheinen, dennoch aber vielleicht auf das
allerfeſteſte Geſetz der Seele hindeuten. Es ſind die-
ſes nicht die ſogenannten Grundſätze, Maximen, Le-
bensweiſen, Gewöhnungen — das Alles kann angebil-
det und angelernt werden — nein, was ich meine, iſt
etwas ganz Anderes, aber freilich ſchwer zu beſchreiben.
Dieſe Lichter des innern Menſchen ſind Halb-
träume des Inſtincts. Von dem nüchternen Tages-
ſcheine des Verſtandes entſcheucht, von der wühlenden
Hand der Selbſtbeſchauung zerſchlagen, wirken ſie
nicht ſo ſiegreich, wie bei dem Wandervogel und
bei der Biene das unwiderſtehliche Muß, glücklich
iſt aber derjenige, der die Stimme jener Träume
hört und ihr folgt.
Das Genie wird geboren, ſagt man, und dar-
über iſt Jeder einverſtanden Ich füge hinzu:
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/334>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.