Aber es ist etwas Merkwürdiges um die ersten Stammerinnerungen, und die Völker haben ein so langes Gedächtniß, wie die einzelnen Menschen, denen ja auch die Eindrücke der frühesten Kinder- zeit bis in das höchste Alter hinauf getreu zu blei- ben pflegen. Erwägt man nun, daß eines Menschen Leben Neunzig währen kann und darüber, daß der Völker Jahre aber Jahrhunderte sind, so ist es weiter nicht zu verwundern, daß in den Gegenden, in welche sich unsere Geschichte nunmehr begeben hat, Manches noch hin und wieder aufstößt, welches nach der Zeit zurückweis't, in welcher der große Frankenkaiser die eigensinnigen Sassen mit Feuer und Schwert zu bekehren wußte.
Weckt also die Natur da, wo sonst der oberste Rich- ter und Erbe der Gegend wohnte, wieder einmal beson- dere Eigenschaften in einem Menschen auf, so kann an den Jahrtausendalten Erinnerungen und zwischen den Grenzen und Gräben, die doch noch erkennbar sind, eine Gestalt erwachsen, wie unser Hofschulze, eine Gestalt, deren Geltung zwar von den Mächten der Gegen- wart nicht anerkannt wird, welche aber für sich selbst und bei ihres Gleichen einen längstverschwundenen Zustand auf einige Zeit wiederherstellt.
Aber es iſt etwas Merkwürdiges um die erſten Stammerinnerungen, und die Völker haben ein ſo langes Gedächtniß, wie die einzelnen Menſchen, denen ja auch die Eindrücke der früheſten Kinder- zeit bis in das höchſte Alter hinauf getreu zu blei- ben pflegen. Erwägt man nun, daß eines Menſchen Leben Neunzig währen kann und darüber, daß der Völker Jahre aber Jahrhunderte ſind, ſo iſt es weiter nicht zu verwundern, daß in den Gegenden, in welche ſich unſere Geſchichte nunmehr begeben hat, Manches noch hin und wieder aufſtößt, welches nach der Zeit zurückweiſ’t, in welcher der große Frankenkaiſer die eigenſinnigen Saſſen mit Feuer und Schwert zu bekehren wußte.
Weckt alſo die Natur da, wo ſonſt der oberſte Rich- ter und Erbe der Gegend wohnte, wieder einmal beſon- dere Eigenſchaften in einem Menſchen auf, ſo kann an den Jahrtauſendalten Erinnerungen und zwiſchen den Grenzen und Gräben, die doch noch erkennbar ſind, eine Geſtalt erwachſen, wie unſer Hofſchulze, eine Geſtalt, deren Geltung zwar von den Mächten der Gegen- wart nicht anerkannt wird, welche aber für ſich ſelbſt und bei ihres Gleichen einen längſtverſchwundenen Zuſtand auf einige Zeit wiederherſtellt.
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Aber es iſt etwas Merkwürdiges um die erſten
Stammerinnerungen, und die Völker haben ein ſo
langes Gedächtniß, wie die einzelnen Menſchen,
denen ja auch die Eindrücke der früheſten Kinder-
zeit bis in das höchſte Alter hinauf getreu zu blei-
ben pflegen. Erwägt man nun, daß eines Menſchen
Leben Neunzig währen kann und darüber, daß der
Völker Jahre aber Jahrhunderte ſind, ſo iſt es
weiter nicht zu verwundern, daß in den Gegenden,
in welche ſich unſere Geſchichte nunmehr begeben
hat, Manches noch hin und wieder aufſtößt, welches
nach der Zeit zurückweiſ’t, in welcher der große
Frankenkaiſer die eigenſinnigen Saſſen mit Feuer
und Schwert zu bekehren wußte.
Weckt alſo die Natur da, wo ſonſt der oberſte Rich-
ter und Erbe der Gegend wohnte, wieder einmal beſon-
dere Eigenſchaften in einem Menſchen auf, ſo kann an
den Jahrtauſendalten Erinnerungen und zwiſchen den
Grenzen und Gräben, die doch noch erkennbar ſind, eine
Geſtalt erwachſen, wie unſer Hofſchulze, eine Geſtalt,
deren Geltung zwar von den Mächten der Gegen-
wart nicht anerkannt wird, welche aber für ſich ſelbſt
und bei ihres Gleichen einen längſtverſchwundenen
Zuſtand auf einige Zeit wiederherſtellt.
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/301>, abgerufen am 22.11.2024.
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