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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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Absetzung von Allem entblößt sei und nichts besitze,
als was er um und an sich trage. Der Baron
nahm Anstand, einen tollen Menschen, (denn dafür
hielt er den Schulmeister) im Schlosse zu beher-
bergen, gleichwohl litt es sein gutes Herz nicht,
einen Dürftigen hungern und frieren zu lassen.
Er wies ihm daher ein kleines, verfallenes Gar-
tenhäuschen, welches in der entferntesten Ecke des
französischen Gartens auf einem Schneckenberge stand,
und ehemals grün angestrichen gewesen war, zum
Quartier an. Damit war sein Schutzbefohlner
vollkommen zufrieden. Er zog ein, nannte den
Schneckenberg das Gebirge Taygetus, und taufte ein
kleines Wässerchen, welches ziemlich träge unter
sogenanntem Entenflott in der Nähe dahinschlich,
zum Eurotas um. Einmal des Tages kam er
auf das Schloß, mit den Bewohnern ihre kärg-
liche Mahlzeit zu theilen; die zweite hielt er in
seiner Behausung ab. Sie pflegte in der Regel
aus einer Art von Mehlbrei zu bestehen, den er
auf dem Schneckenberge an Reisigfeuer zurichtete,
und seine schwarze Suppe nannte. Außer seinem
Mantel hatte er keine Kleidungsstücke; sein Getränk
schöpfte er vom Brunnen mit einem alten irdenen

Abſetzung von Allem entblößt ſei und nichts beſitze,
als was er um und an ſich trage. Der Baron
nahm Anſtand, einen tollen Menſchen, (denn dafür
hielt er den Schulmeiſter) im Schloſſe zu beher-
bergen, gleichwohl litt es ſein gutes Herz nicht,
einen Dürftigen hungern und frieren zu laſſen.
Er wies ihm daher ein kleines, verfallenes Gar-
tenhäuschen, welches in der entfernteſten Ecke des
franzöſiſchen Gartens auf einem Schneckenberge ſtand,
und ehemals grün angeſtrichen geweſen war, zum
Quartier an. Damit war ſein Schutzbefohlner
vollkommen zufrieden. Er zog ein, nannte den
Schneckenberg das Gebirge Taygetus, und taufte ein
kleines Wäſſerchen, welches ziemlich träge unter
ſogenanntem Entenflott in der Nähe dahinſchlich,
zum Eurotas um. Einmal des Tages kam er
auf das Schloß, mit den Bewohnern ihre kärg-
liche Mahlzeit zu theilen; die zweite hielt er in
ſeiner Behauſung ab. Sie pflegte in der Regel
aus einer Art von Mehlbrei zu beſtehen, den er
auf dem Schneckenberge an Reiſigfeuer zurichtete,
und ſeine ſchwarze Suppe nannte. Außer ſeinem
Mantel hatte er keine Kleidungsſtücke; ſein Getränk
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[157/0165] Abſetzung von Allem entblößt ſei und nichts beſitze, als was er um und an ſich trage. Der Baron nahm Anſtand, einen tollen Menſchen, (denn dafür hielt er den Schulmeiſter) im Schloſſe zu beher- bergen, gleichwohl litt es ſein gutes Herz nicht, einen Dürftigen hungern und frieren zu laſſen. Er wies ihm daher ein kleines, verfallenes Gar- tenhäuschen, welches in der entfernteſten Ecke des franzöſiſchen Gartens auf einem Schneckenberge ſtand, und ehemals grün angeſtrichen geweſen war, zum Quartier an. Damit war ſein Schutzbefohlner vollkommen zufrieden. Er zog ein, nannte den Schneckenberg das Gebirge Taygetus, und taufte ein kleines Wäſſerchen, welches ziemlich träge unter ſogenanntem Entenflott in der Nähe dahinſchlich, zum Eurotas um. Einmal des Tages kam er auf das Schloß, mit den Bewohnern ihre kärg- liche Mahlzeit zu theilen; die zweite hielt er in ſeiner Behauſung ab. Sie pflegte in der Regel aus einer Art von Mehlbrei zu beſtehen, den er auf dem Schneckenberge an Reiſigfeuer zurichtete, und ſeine ſchwarze Suppe nannte. Außer ſeinem Mantel hatte er keine Kleidungsſtücke; ſein Getränk ſchöpfte er vom Brunnen mit einem alten irdenen

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/165>, abgerufen am 27.11.2024.