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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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liberale Zwecke? fragte ich ihn. Freilich! rief er. Wo Menschen zusammenströmen, da lernt man Menschen kennen, man darf deshalb dergleichen Gelegenheiten nicht verabsäumen. Ich halte als Hanswurst satyrische Reden über Absolutismus; ich nehme Diejenigen, denen ich Mißvergnügen ansehe, bei Seite und sage ihnen, daß auch ich mit der Gegenwart nicht zufrieden sei. Ich spreche hauptsächlich gegen Rußland und dessen Einfluß. -- Du machst dir doch ein beschwerliches Leben! rief ich lachend aus. -- Freund, sagte mein Wirth und blickte verklärt gen Himmel, für die Menschheit ist keine Mühe mühselig genug. Was ist das Leben werth, wenn man nicht die Kraft besitzt, einem erhabnen Zwecke seine Tage aufzuopfern? Diese Anbetung des Heiligsten in der neuen Zeit ist einmal mein Steckenpferd, mein Augapfel, ich mag darüber zu Grunde gehen, was kümmerte mich? Ich habe nicht umsonst gelebt. Sie nennen mich den Hans in allen Gassen; ihr schaler Spott verwundet mich nicht; hat der Pöbel je höhern Sinn begriffen? Ich benutze jeden Anlaß, die gereinigten Ansichten über Volksleben und Volkswürde unter den Menschen zu verbreiten; ich bin in die Vorstellung des Bauchredners Alexander gegangen und habe gesagt, als der Gaukler seine Stimme aus allen Ecken des Saals tönen ließ: So hallt in Despotieen nur das Wort eines Einzigen, wenn auch Mehrere zu sprechen scheinen. Was habe ich gesagt, als die Sonntag hier sang und Alles entzückt war? Braucht das Talent, rief ich, ein Wap-

liberale Zwecke? fragte ich ihn. Freilich! rief er. Wo Menschen zusammenströmen, da lernt man Menschen kennen, man darf deshalb dergleichen Gelegenheiten nicht verabsäumen. Ich halte als Hanswurst satyrische Reden über Absolutismus; ich nehme Diejenigen, denen ich Mißvergnügen ansehe, bei Seite und sage ihnen, daß auch ich mit der Gegenwart nicht zufrieden sei. Ich spreche hauptsächlich gegen Rußland und dessen Einfluß. — Du machst dir doch ein beschwerliches Leben! rief ich lachend aus. — Freund, sagte mein Wirth und blickte verklärt gen Himmel, für die Menschheit ist keine Mühe mühselig genug. Was ist das Leben werth, wenn man nicht die Kraft besitzt, einem erhabnen Zwecke seine Tage aufzuopfern? Diese Anbetung des Heiligsten in der neuen Zeit ist einmal mein Steckenpferd, mein Augapfel, ich mag darüber zu Grunde gehen, was kümmerte mich? Ich habe nicht umsonst gelebt. Sie nennen mich den Hans in allen Gassen; ihr schaler Spott verwundet mich nicht; hat der Pöbel je höhern Sinn begriffen? Ich benutze jeden Anlaß, die gereinigten Ansichten über Volksleben und Volkswürde unter den Menschen zu verbreiten; ich bin in die Vorstellung des Bauchredners Alexander gegangen und habe gesagt, als der Gaukler seine Stimme aus allen Ecken des Saals tönen ließ: So hallt in Despotieen nur das Wort eines Einzigen, wenn auch Mehrere zu sprechen scheinen. Was habe ich gesagt, als die Sonntag hier sang und Alles entzückt war? Braucht das Talent, rief ich, ein Wap-

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[0056] liberale Zwecke? fragte ich ihn. Freilich! rief er. Wo Menschen zusammenströmen, da lernt man Menschen kennen, man darf deshalb dergleichen Gelegenheiten nicht verabsäumen. Ich halte als Hanswurst satyrische Reden über Absolutismus; ich nehme Diejenigen, denen ich Mißvergnügen ansehe, bei Seite und sage ihnen, daß auch ich mit der Gegenwart nicht zufrieden sei. Ich spreche hauptsächlich gegen Rußland und dessen Einfluß. — Du machst dir doch ein beschwerliches Leben! rief ich lachend aus. — Freund, sagte mein Wirth und blickte verklärt gen Himmel, für die Menschheit ist keine Mühe mühselig genug. Was ist das Leben werth, wenn man nicht die Kraft besitzt, einem erhabnen Zwecke seine Tage aufzuopfern? Diese Anbetung des Heiligsten in der neuen Zeit ist einmal mein Steckenpferd, mein Augapfel, ich mag darüber zu Grunde gehen, was kümmerte mich? Ich habe nicht umsonst gelebt. Sie nennen mich den Hans in allen Gassen; ihr schaler Spott verwundet mich nicht; hat der Pöbel je höhern Sinn begriffen? Ich benutze jeden Anlaß, die gereinigten Ansichten über Volksleben und Volkswürde unter den Menschen zu verbreiten; ich bin in die Vorstellung des Bauchredners Alexander gegangen und habe gesagt, als der Gaukler seine Stimme aus allen Ecken des Saals tönen ließ: So hallt in Despotieen nur das Wort eines Einzigen, wenn auch Mehrere zu sprechen scheinen. Was habe ich gesagt, als die Sonntag hier sang und Alles entzückt war? Braucht das Talent, rief ich, ein Wap-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/56>, abgerufen am 17.05.2024.