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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Anzeige in der Carnevalszeitung ist sonderbar, höchst sonderbar, aber --

Fritz! Fritz! die Brücke kommt -- sagte sie in einem etwas schneidenden Tone. Vergiß doch den Ring nicht. Deine mystische Vorbraut verlangt ihn vielleicht zu sehen, als Beweis, daß du ihr Andenken ehrst. -- Es war spät, sie packte ihr Geräth zusammen und stand auf, um sich schlafen zu legen. Nun, ich wünsche dir einen vergnügten Fasching! sagte sie beim Abschied. Ich war allein und -- überlas die Anzeige der Carnevalszeitung wohl zwanzigmal. Wär's möglich? Und was? -- Ich wollte mir selbst meine Gedanken nicht bekennen.

Während eines heftigen Regengusses, der auf die Dächer niederklatschte und die Straßen zur menschenleeren Wüste machte, langte ich in Köln an. Mein Wagen fuhr durch die engen finstern Gassen, melancholisch klang der Hufschlag auf dem nassen, ungleichen Pflaster, mir war zu Muthe, als führe ich hinter einer Leiche her. So begann mein Carneval. Endlich hielt der Wagen vor dem Hause meines Freundes. Der Kutscher stieg ab, öffnete den Schlag, schüttelte seinen nassen Pelz, von dem die Tropfen wie die Perlen niederrannen, und brummte verdrießlich: Das ist eine verfluchte Wirthschaft! Ich ging durch einen langen dunkeln Hausflur, konnte anfangs Niemand finden, endlich kam ein Bedienter die Treppe herabgestiegen, überblickte mich

Anzeige in der Carnevalszeitung ist sonderbar, höchst sonderbar, aber —

Fritz! Fritz! die Brücke kommt — sagte sie in einem etwas schneidenden Tone. Vergiß doch den Ring nicht. Deine mystische Vorbraut verlangt ihn vielleicht zu sehen, als Beweis, daß du ihr Andenken ehrst. — Es war spät, sie packte ihr Geräth zusammen und stand auf, um sich schlafen zu legen. Nun, ich wünsche dir einen vergnügten Fasching! sagte sie beim Abschied. Ich war allein und — überlas die Anzeige der Carnevalszeitung wohl zwanzigmal. Wär's möglich? Und was? — Ich wollte mir selbst meine Gedanken nicht bekennen.

Während eines heftigen Regengusses, der auf die Dächer niederklatschte und die Straßen zur menschenleeren Wüste machte, langte ich in Köln an. Mein Wagen fuhr durch die engen finstern Gassen, melancholisch klang der Hufschlag auf dem nassen, ungleichen Pflaster, mir war zu Muthe, als führe ich hinter einer Leiche her. So begann mein Carneval. Endlich hielt der Wagen vor dem Hause meines Freundes. Der Kutscher stieg ab, öffnete den Schlag, schüttelte seinen nassen Pelz, von dem die Tropfen wie die Perlen niederrannen, und brummte verdrießlich: Das ist eine verfluchte Wirthschaft! Ich ging durch einen langen dunkeln Hausflur, konnte anfangs Niemand finden, endlich kam ein Bedienter die Treppe herabgestiegen, überblickte mich

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[0052] Anzeige in der Carnevalszeitung ist sonderbar, höchst sonderbar, aber — Fritz! Fritz! die Brücke kommt — sagte sie in einem etwas schneidenden Tone. Vergiß doch den Ring nicht. Deine mystische Vorbraut verlangt ihn vielleicht zu sehen, als Beweis, daß du ihr Andenken ehrst. — Es war spät, sie packte ihr Geräth zusammen und stand auf, um sich schlafen zu legen. Nun, ich wünsche dir einen vergnügten Fasching! sagte sie beim Abschied. Ich war allein und — überlas die Anzeige der Carnevalszeitung wohl zwanzigmal. Wär's möglich? Und was? — Ich wollte mir selbst meine Gedanken nicht bekennen. Während eines heftigen Regengusses, der auf die Dächer niederklatschte und die Straßen zur menschenleeren Wüste machte, langte ich in Köln an. Mein Wagen fuhr durch die engen finstern Gassen, melancholisch klang der Hufschlag auf dem nassen, ungleichen Pflaster, mir war zu Muthe, als führe ich hinter einer Leiche her. So begann mein Carneval. Endlich hielt der Wagen vor dem Hause meines Freundes. Der Kutscher stieg ab, öffnete den Schlag, schüttelte seinen nassen Pelz, von dem die Tropfen wie die Perlen niederrannen, und brummte verdrießlich: Das ist eine verfluchte Wirthschaft! Ich ging durch einen langen dunkeln Hausflur, konnte anfangs Niemand finden, endlich kam ein Bedienter die Treppe herabgestiegen, überblickte mich

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/52>, abgerufen am 18.05.2024.