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Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Antlitz glühte, in der Hand hielt sie das Päckchen, welches ich ihr gestern gegeben hatte. Nehmen Sie! rief sie athemlos. Ich hoffe, es wird nichts daran fehlen, setzte sie mit einem trüben Lächeln hinzu. Und nun noch einmal: lassen Sie sich erflehn! Reisen Sie auf der Stelle ab, ich werde nicht ruhig, bis ich Sie aus meiner Nähe weiß! -- Mir vergingen die Sinne, ich wußte nicht, was ich that, ich rief: Dich verlassen, himmlische Güte? Nimmermehr! -- Ich bewegte mich gegen sie, sie wich mit einem Schrei des Schreckens vor mir zurück -- aber -- schon hielt ich sie in meinen Armen! Ich bedeckte ihre Lippen mit Küssen, ihr anfänglicher Widerstand brach wie an innern gewaltigen Krämpfen zusammen, die sich in den Schlägen ihrer heftig arbeitenden Brust offenbarten. Sie ruhte mir am Herzen, sie schlang die Arme um mich, als wollte sie mit mir zusammenwachsen. Sei die Meine! rief ich außer mir. Hätte ich dich früher gesehen! flüsterte sie aus der tiefsten Seele.

Sie richtete sich empor, ihr müdes Auge blickte mich sehnsuchtsvoll an. Wir wollen uns verloben, sagte sie, aber nicht auf Vereinigung und Glück, sondern auf Trennung und Reue! Nimm diesen Ring, er ist ein Erbstück meiner Mutter, er wird wohl so viel werth sein, als du eingebüßt hast. Sie streifte einen kostbaren Brillantring vom Finger, ich empfing ihn wie ein Träumender. Sie sagte: Der Spruch, mit dem ich dir den Ring reiche, lerntet: Du sollst nicht richten. Richte

Antlitz glühte, in der Hand hielt sie das Päckchen, welches ich ihr gestern gegeben hatte. Nehmen Sie! rief sie athemlos. Ich hoffe, es wird nichts daran fehlen, setzte sie mit einem trüben Lächeln hinzu. Und nun noch einmal: lassen Sie sich erflehn! Reisen Sie auf der Stelle ab, ich werde nicht ruhig, bis ich Sie aus meiner Nähe weiß! — Mir vergingen die Sinne, ich wußte nicht, was ich that, ich rief: Dich verlassen, himmlische Güte? Nimmermehr! — Ich bewegte mich gegen sie, sie wich mit einem Schrei des Schreckens vor mir zurück — aber — schon hielt ich sie in meinen Armen! Ich bedeckte ihre Lippen mit Küssen, ihr anfänglicher Widerstand brach wie an innern gewaltigen Krämpfen zusammen, die sich in den Schlägen ihrer heftig arbeitenden Brust offenbarten. Sie ruhte mir am Herzen, sie schlang die Arme um mich, als wollte sie mit mir zusammenwachsen. Sei die Meine! rief ich außer mir. Hätte ich dich früher gesehen! flüsterte sie aus der tiefsten Seele.

Sie richtete sich empor, ihr müdes Auge blickte mich sehnsuchtsvoll an. Wir wollen uns verloben, sagte sie, aber nicht auf Vereinigung und Glück, sondern auf Trennung und Reue! Nimm diesen Ring, er ist ein Erbstück meiner Mutter, er wird wohl so viel werth sein, als du eingebüßt hast. Sie streifte einen kostbaren Brillantring vom Finger, ich empfing ihn wie ein Träumender. Sie sagte: Der Spruch, mit dem ich dir den Ring reiche, lerntet: Du sollst nicht richten. Richte

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Antlitz glühte, in der Hand hielt sie das Päckchen, welches ich ihr gestern gegeben hatte.      Nehmen Sie! rief sie athemlos. Ich hoffe, es wird nichts daran fehlen, setzte sie mit einem      trüben Lächeln hinzu. Und nun noch einmal: lassen Sie sich erflehn! Reisen Sie auf der Stelle      ab, ich werde nicht ruhig, bis ich Sie aus meiner Nähe weiß! &#x2014; Mir vergingen die Sinne, ich      wußte nicht, was ich that, ich rief: Dich verlassen, himmlische Güte? Nimmermehr! &#x2014; Ich bewegte      mich gegen sie, sie wich mit einem Schrei des Schreckens vor mir zurück &#x2014; aber &#x2014; schon hielt      ich sie in meinen Armen! Ich bedeckte ihre Lippen mit Küssen, ihr anfänglicher Widerstand brach      wie an innern gewaltigen Krämpfen zusammen, die sich in den Schlägen ihrer heftig arbeitenden      Brust offenbarten. Sie ruhte mir am Herzen, sie schlang die Arme um mich, als wollte sie mit      mir zusammenwachsen. Sei die Meine! rief ich außer mir. Hätte ich dich früher gesehen!      flüsterte sie aus der tiefsten Seele.</p><lb/>
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[0046] Antlitz glühte, in der Hand hielt sie das Päckchen, welches ich ihr gestern gegeben hatte. Nehmen Sie! rief sie athemlos. Ich hoffe, es wird nichts daran fehlen, setzte sie mit einem trüben Lächeln hinzu. Und nun noch einmal: lassen Sie sich erflehn! Reisen Sie auf der Stelle ab, ich werde nicht ruhig, bis ich Sie aus meiner Nähe weiß! — Mir vergingen die Sinne, ich wußte nicht, was ich that, ich rief: Dich verlassen, himmlische Güte? Nimmermehr! — Ich bewegte mich gegen sie, sie wich mit einem Schrei des Schreckens vor mir zurück — aber — schon hielt ich sie in meinen Armen! Ich bedeckte ihre Lippen mit Küssen, ihr anfänglicher Widerstand brach wie an innern gewaltigen Krämpfen zusammen, die sich in den Schlägen ihrer heftig arbeitenden Brust offenbarten. Sie ruhte mir am Herzen, sie schlang die Arme um mich, als wollte sie mit mir zusammenwachsen. Sei die Meine! rief ich außer mir. Hätte ich dich früher gesehen! flüsterte sie aus der tiefsten Seele. Sie richtete sich empor, ihr müdes Auge blickte mich sehnsuchtsvoll an. Wir wollen uns verloben, sagte sie, aber nicht auf Vereinigung und Glück, sondern auf Trennung und Reue! Nimm diesen Ring, er ist ein Erbstück meiner Mutter, er wird wohl so viel werth sein, als du eingebüßt hast. Sie streifte einen kostbaren Brillantring vom Finger, ich empfing ihn wie ein Träumender. Sie sagte: Der Spruch, mit dem ich dir den Ring reiche, lerntet: Du sollst nicht richten. Richte

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:19:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:19:09Z)

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/46>, abgerufen am 02.05.2024.