Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.war der verfänglichste Abschnitt, den sie aufgeschlagen hatte. Ich stotterte: Wenn du glauben könntest, daß irgend eine Verabredung mit jener Unbekannten.... ...Zu einem Rendezvous gemacht wäre? -- Ich glaube es halb und halb. Woher weiß sie, daß du hinkommst? Ich habe so oft die fatale Geschichte in Ausrufungen und Bruchstücken von dir vernehmen müssen. Ich will sie einmal ganz und vollständig hören. Eine Frau muß euch Männern Vieles hingehen lassen. Beichte vollständig, es ist das einzige Mittel, den aufsteigenden Sturm zu beschwören. Ich will dir glauben, daß du von jener Anzeige nichts weißt, wenn du mir unbefangen erzählst, wie weit es zwischen euch gekommen ist. Ich war so verlegen, wie es ein Mann von Geist und Gefühl nur sein kann. Tausend Conjecturen durchkreuzten sich in meinem Kopfe. Ach, hätte ich weniger Geist und etwas mehr gesunden Menschenverstand gehabt, ich glaube, ich wäre nicht so vernagelt gewesen. Ich wußte mir durchaus nicht zu helfen. Sie saß schon mit ihrer Arbeit mir gegenüber. Ich bat sie, sich wenigstens so zu setzen, daß ich ihr nicht ins Gesicht zu sehen brauche. Als sie das gethan hatte, begann ich mit halber Stimme aus meinem Tagebuche zu lesen. war der verfänglichste Abschnitt, den sie aufgeschlagen hatte. Ich stotterte: Wenn du glauben könntest, daß irgend eine Verabredung mit jener Unbekannten.... ...Zu einem Rendezvous gemacht wäre? — Ich glaube es halb und halb. Woher weiß sie, daß du hinkommst? Ich habe so oft die fatale Geschichte in Ausrufungen und Bruchstücken von dir vernehmen müssen. Ich will sie einmal ganz und vollständig hören. Eine Frau muß euch Männern Vieles hingehen lassen. Beichte vollständig, es ist das einzige Mittel, den aufsteigenden Sturm zu beschwören. Ich will dir glauben, daß du von jener Anzeige nichts weißt, wenn du mir unbefangen erzählst, wie weit es zwischen euch gekommen ist. Ich war so verlegen, wie es ein Mann von Geist und Gefühl nur sein kann. Tausend Conjecturen durchkreuzten sich in meinem Kopfe. Ach, hätte ich weniger Geist und etwas mehr gesunden Menschenverstand gehabt, ich glaube, ich wäre nicht so vernagelt gewesen. Ich wußte mir durchaus nicht zu helfen. Sie saß schon mit ihrer Arbeit mir gegenüber. Ich bat sie, sich wenigstens so zu setzen, daß ich ihr nicht ins Gesicht zu sehen brauche. Als sie das gethan hatte, begann ich mit halber Stimme aus meinem Tagebuche zu lesen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0018"/> war der verfänglichste Abschnitt, den sie aufgeschlagen hatte. Ich stotterte: Wenn du glauben könntest, daß irgend eine Verabredung mit jener Unbekannten....</p><lb/> <p>...Zu einem Rendezvous gemacht wäre? — Ich glaube es halb und halb. Woher weiß sie, daß du hinkommst? Ich habe so oft die fatale Geschichte in Ausrufungen und Bruchstücken von dir vernehmen müssen. Ich will sie einmal ganz und vollständig hören. Eine Frau muß euch Männern Vieles hingehen lassen. Beichte vollständig, es ist das einzige Mittel, den aufsteigenden Sturm zu beschwören. Ich will dir glauben, daß du von jener Anzeige nichts weißt, wenn du mir unbefangen erzählst, wie weit es zwischen euch gekommen ist.</p><lb/> <p>Ich war so verlegen, wie es ein Mann von Geist und Gefühl nur sein kann. Tausend Conjecturen durchkreuzten sich in meinem Kopfe. Ach, hätte ich weniger Geist und etwas mehr gesunden Menschenverstand gehabt, ich glaube, ich wäre nicht so vernagelt gewesen. Ich wußte mir durchaus nicht zu helfen. Sie saß schon mit ihrer Arbeit mir gegenüber. Ich bat sie, sich wenigstens so zu setzen, daß ich ihr nicht ins Gesicht zu sehen brauche. Als sie das gethan hatte, begann ich mit halber Stimme aus meinem Tagebuche zu lesen.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0018]
war der verfänglichste Abschnitt, den sie aufgeschlagen hatte. Ich stotterte: Wenn du glauben könntest, daß irgend eine Verabredung mit jener Unbekannten....
...Zu einem Rendezvous gemacht wäre? — Ich glaube es halb und halb. Woher weiß sie, daß du hinkommst? Ich habe so oft die fatale Geschichte in Ausrufungen und Bruchstücken von dir vernehmen müssen. Ich will sie einmal ganz und vollständig hören. Eine Frau muß euch Männern Vieles hingehen lassen. Beichte vollständig, es ist das einzige Mittel, den aufsteigenden Sturm zu beschwören. Ich will dir glauben, daß du von jener Anzeige nichts weißt, wenn du mir unbefangen erzählst, wie weit es zwischen euch gekommen ist.
Ich war so verlegen, wie es ein Mann von Geist und Gefühl nur sein kann. Tausend Conjecturen durchkreuzten sich in meinem Kopfe. Ach, hätte ich weniger Geist und etwas mehr gesunden Menschenverstand gehabt, ich glaube, ich wäre nicht so vernagelt gewesen. Ich wußte mir durchaus nicht zu helfen. Sie saß schon mit ihrer Arbeit mir gegenüber. Ich bat sie, sich wenigstens so zu setzen, daß ich ihr nicht ins Gesicht zu sehen brauche. Als sie das gethan hatte, begann ich mit halber Stimme aus meinem Tagebuche zu lesen.
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Zitationshilfe: | Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_carneval_1910/18>, abgerufen am 16.02.2025. |