Immermann, Karl: Der Carneval und die Somnambüle. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 139–273. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.unglücklicher, als ein Mensch begreifen könne, daß man Barmherzigkeit üben und sie schonen möge. Man stand von weitern Fragen ab, und sie fuhr in ihren Depositionen fort, wie folgt. An einigen Orten ließ mich mein Begleiter, der sich in der letzten Zeit unsres Zusammenseins für einen Arzt ausgab, die Somnambüle spielen. Der Magnetismus sei, wie er sich ausdrückte, in Deutschland Mode, dieser werde, sagte er, seiner Erscheinung mehr Relief geben. Ich muß hier bemerken, daß ich immer in dem Glauben gestanden habe, mein Begleiter sei wirklich Arzt, er besaß medicinische Bücher und Präparate, sprach von den großen Heilanstalten Europa's so, als habe er sie alle gesehen, und unternahm hin und wieder auf unsern Reisen Curen, die ihm zum Erstaunen schnell und glücklich geriethen. Ich weiß nicht, ob ich auch in dieser Meinung mich getäuscht habe. -- In meiner unglücklichen Abhängigkeit ließ ich mich bestimmen, seiner Forderung nachzugeben. Ich stellte mich so, wie er mir vorschrieb, ich sprach, was er mir vorher in den Mund gelegt hatte. Er führte viele Menschen zu mir und ließ sie meine erdichteten Zustände wahrnehmen. Er knüpfte bei dieser Gelegenheit mannigfaltige Verbindungen an, wir lebten seit der Zeit reichlicher, als vorher. Er sagte mir, daß er vermögende Gönner gefunden habe, und ich glaubte seinen Worten. Ich empfand den tiefsten Widerwillen gegen die Lüge, zu welcher ich verurtheilt war, ich entschuldigte mich vor mir selbst nur damit, daß das unglücklicher, als ein Mensch begreifen könne, daß man Barmherzigkeit üben und sie schonen möge. Man stand von weitern Fragen ab, und sie fuhr in ihren Depositionen fort, wie folgt. An einigen Orten ließ mich mein Begleiter, der sich in der letzten Zeit unsres Zusammenseins für einen Arzt ausgab, die Somnambüle spielen. Der Magnetismus sei, wie er sich ausdrückte, in Deutschland Mode, dieser werde, sagte er, seiner Erscheinung mehr Relief geben. Ich muß hier bemerken, daß ich immer in dem Glauben gestanden habe, mein Begleiter sei wirklich Arzt, er besaß medicinische Bücher und Präparate, sprach von den großen Heilanstalten Europa's so, als habe er sie alle gesehen, und unternahm hin und wieder auf unsern Reisen Curen, die ihm zum Erstaunen schnell und glücklich geriethen. Ich weiß nicht, ob ich auch in dieser Meinung mich getäuscht habe. — In meiner unglücklichen Abhängigkeit ließ ich mich bestimmen, seiner Forderung nachzugeben. Ich stellte mich so, wie er mir vorschrieb, ich sprach, was er mir vorher in den Mund gelegt hatte. Er führte viele Menschen zu mir und ließ sie meine erdichteten Zustände wahrnehmen. Er knüpfte bei dieser Gelegenheit mannigfaltige Verbindungen an, wir lebten seit der Zeit reichlicher, als vorher. Er sagte mir, daß er vermögende Gönner gefunden habe, und ich glaubte seinen Worten. Ich empfand den tiefsten Widerwillen gegen die Lüge, zu welcher ich verurtheilt war, ich entschuldigte mich vor mir selbst nur damit, daß das <TEI> <text> <body> <div n="17"> <div> <p><pb facs="#f0101"/> unglücklicher, als ein Mensch begreifen könne, daß man Barmherzigkeit üben und sie schonen möge. Man stand von weitern Fragen ab, und sie fuhr in ihren Depositionen fort, wie folgt.</p><lb/> <p>An einigen Orten ließ mich mein Begleiter, der sich in der letzten Zeit unsres Zusammenseins für einen Arzt ausgab, die Somnambüle spielen. Der Magnetismus sei, wie er sich ausdrückte, in Deutschland Mode, dieser werde, sagte er, seiner Erscheinung mehr Relief geben. Ich muß hier bemerken, daß ich immer in dem Glauben gestanden habe, mein Begleiter sei wirklich Arzt, er besaß medicinische Bücher und Präparate, sprach von den großen Heilanstalten Europa's so, als habe er sie alle gesehen, und unternahm hin und wieder auf unsern Reisen Curen, die ihm zum Erstaunen schnell und glücklich geriethen. Ich weiß nicht, ob ich auch in dieser Meinung mich getäuscht habe. — In meiner unglücklichen Abhängigkeit ließ ich mich bestimmen, seiner Forderung nachzugeben. Ich stellte mich so, wie er mir vorschrieb, ich sprach, was er mir vorher in den Mund gelegt hatte. Er führte viele Menschen zu mir und ließ sie meine erdichteten Zustände wahrnehmen. Er knüpfte bei dieser Gelegenheit mannigfaltige Verbindungen an, wir lebten seit der Zeit reichlicher, als vorher. Er sagte mir, daß er vermögende Gönner gefunden habe, und ich glaubte seinen Worten. Ich empfand den tiefsten Widerwillen gegen die Lüge, zu welcher ich verurtheilt war, ich entschuldigte mich vor mir selbst nur damit, daß das<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0101]
unglücklicher, als ein Mensch begreifen könne, daß man Barmherzigkeit üben und sie schonen möge. Man stand von weitern Fragen ab, und sie fuhr in ihren Depositionen fort, wie folgt.
An einigen Orten ließ mich mein Begleiter, der sich in der letzten Zeit unsres Zusammenseins für einen Arzt ausgab, die Somnambüle spielen. Der Magnetismus sei, wie er sich ausdrückte, in Deutschland Mode, dieser werde, sagte er, seiner Erscheinung mehr Relief geben. Ich muß hier bemerken, daß ich immer in dem Glauben gestanden habe, mein Begleiter sei wirklich Arzt, er besaß medicinische Bücher und Präparate, sprach von den großen Heilanstalten Europa's so, als habe er sie alle gesehen, und unternahm hin und wieder auf unsern Reisen Curen, die ihm zum Erstaunen schnell und glücklich geriethen. Ich weiß nicht, ob ich auch in dieser Meinung mich getäuscht habe. — In meiner unglücklichen Abhängigkeit ließ ich mich bestimmen, seiner Forderung nachzugeben. Ich stellte mich so, wie er mir vorschrieb, ich sprach, was er mir vorher in den Mund gelegt hatte. Er führte viele Menschen zu mir und ließ sie meine erdichteten Zustände wahrnehmen. Er knüpfte bei dieser Gelegenheit mannigfaltige Verbindungen an, wir lebten seit der Zeit reichlicher, als vorher. Er sagte mir, daß er vermögende Gönner gefunden habe, und ich glaubte seinen Worten. Ich empfand den tiefsten Widerwillen gegen die Lüge, zu welcher ich verurtheilt war, ich entschuldigte mich vor mir selbst nur damit, daß das
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