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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.

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sich dadurch einschüchtern zu lassen, dachte die W. bei sich,
mit dem Maaße, womit du missest, wirst du wieder gemessen
werden; aus einer solchen Schule können nur Pharisäer her¬
vorgehen. Nach einer üblichen Sitte wurden die in den Bund
Aufzunehmenden von den älteren Mitgliedern über ihren Glau¬
ben geprüft, wobei man nach der Meinung der W. viel zu
leichtfertig verfuhr, besonders als einmal 14 Personen sich der
Gemeinde anschließen wollten, welche man nicht durch strenge
Anforderungen zurückschrecken durfte. Die W. richtete an eine
der Anwesenden die Frage, wodurch sie seelig zu werden hoffe,
und sah sich genöthigt, deren Behauptung, daß dies allein
durch die Wiedertaufe geschehen könne, mit der Bemerkung
zu widersprechen, daß eine äußerliche Handlung nicht eine sol¬
che Kraft besitzen könne, womit sie zugleich die Weigerung
aussprach, durch Aufhebung der Hände ihre Zustimmung zu
der Aufnahme jener Personen zu geben, weil sie dieselben viel
zu wenig kenne, als daß sie ein Urtheil über dieselben fällen
könne. Durch diese freisinnigen Aeußerungen zog sie sich eine
Menge von Schmähungen zu, deren Bitterkeit sie nöthigte,
sich zurückzuziehen.

Unter jenen Neuaufgenommenen fand sie indeß bald ei¬
nen Gleichgesinnten, einen Schneider, welcher zwar Anfangs
sehr erbaut über die Frömmigkeit der Wiedertäufer schien, dem
aber bald die Augen über den wahren Charakter derselben
aufgingen, nachdem die W. Gelegenheit gefunden hatte, sich
gegen Verleumdungen bei ihm zu rechtfertigen, welche eine
neidische Anabaptistin wider sie ausgesprengt hatte. Ein zu
ihrem Bunde übergetretener Zuckersiedergehülfe hatte im blinden
Bekehrungseifer seine Mitgesellen, denen er ihren Unglauben
vorwarf, dergestalt gegen die Wiedertäufer aufgebracht, daß sie
am Himmelfahrtsfeste 1842 sich in einer unter dem Betsaale
gelegenen Schenke versammelten, wo sie, von Branntwein er¬
hitzt, durch den Gesang der Wiedertäufer zu einer offenen De¬
monstration gegen dieselben herausgefordert wurden. Sie
drangen daher in den Betsaal ein, unterbrachen zuerst den
begonnenen Vortrag durch ein lautes Murren, hierauf durch
den heftigen Ruf: Halt, Halt! und warfen sich endlich, als
der Redner sich nicht stören ließ, mit funkelnden Augen und

ſich dadurch einſchuͤchtern zu laſſen, dachte die W. bei ſich,
mit dem Maaße, womit du miſſeſt, wirſt du wieder gemeſſen
werden; aus einer ſolchen Schule koͤnnen nur Phariſaͤer her¬
vorgehen. Nach einer uͤblichen Sitte wurden die in den Bund
Aufzunehmenden von den aͤlteren Mitgliedern uͤber ihren Glau¬
ben gepruͤft, wobei man nach der Meinung der W. viel zu
leichtfertig verfuhr, beſonders als einmal 14 Perſonen ſich der
Gemeinde anſchließen wollten, welche man nicht durch ſtrenge
Anforderungen zuruͤckſchrecken durfte. Die W. richtete an eine
der Anweſenden die Frage, wodurch ſie ſeelig zu werden hoffe,
und ſah ſich genoͤthigt, deren Behauptung, daß dies allein
durch die Wiedertaufe geſchehen koͤnne, mit der Bemerkung
zu widerſprechen, daß eine aͤußerliche Handlung nicht eine ſol¬
che Kraft beſitzen koͤnne, womit ſie zugleich die Weigerung
ausſprach, durch Aufhebung der Haͤnde ihre Zuſtimmung zu
der Aufnahme jener Perſonen zu geben, weil ſie dieſelben viel
zu wenig kenne, als daß ſie ein Urtheil uͤber dieſelben faͤllen
koͤnne. Durch dieſe freiſinnigen Aeußerungen zog ſie ſich eine
Menge von Schmaͤhungen zu, deren Bitterkeit ſie noͤthigte,
ſich zuruͤckzuziehen.

Unter jenen Neuaufgenommenen fand ſie indeß bald ei¬
nen Gleichgeſinnten, einen Schneider, welcher zwar Anfangs
ſehr erbaut uͤber die Froͤmmigkeit der Wiedertaͤufer ſchien, dem
aber bald die Augen uͤber den wahren Charakter derſelben
aufgingen, nachdem die W. Gelegenheit gefunden hatte, ſich
gegen Verleumdungen bei ihm zu rechtfertigen, welche eine
neidiſche Anabaptiſtin wider ſie ausgeſprengt hatte. Ein zu
ihrem Bunde uͤbergetretener Zuckerſiedergehuͤlfe hatte im blinden
Bekehrungseifer ſeine Mitgeſellen, denen er ihren Unglauben
vorwarf, dergeſtalt gegen die Wiedertaͤufer aufgebracht, daß ſie
am Himmelfahrtsfeſte 1842 ſich in einer unter dem Betſaale
gelegenen Schenke verſammelten, wo ſie, von Branntwein er¬
hitzt, durch den Geſang der Wiedertaͤufer zu einer offenen De¬
monſtration gegen dieſelben herausgefordert wurden. Sie
drangen daher in den Betſaal ein, unterbrachen zuerſt den
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[70/0078] ſich dadurch einſchuͤchtern zu laſſen, dachte die W. bei ſich, mit dem Maaße, womit du miſſeſt, wirſt du wieder gemeſſen werden; aus einer ſolchen Schule koͤnnen nur Phariſaͤer her¬ vorgehen. Nach einer uͤblichen Sitte wurden die in den Bund Aufzunehmenden von den aͤlteren Mitgliedern uͤber ihren Glau¬ ben gepruͤft, wobei man nach der Meinung der W. viel zu leichtfertig verfuhr, beſonders als einmal 14 Perſonen ſich der Gemeinde anſchließen wollten, welche man nicht durch ſtrenge Anforderungen zuruͤckſchrecken durfte. Die W. richtete an eine der Anweſenden die Frage, wodurch ſie ſeelig zu werden hoffe, und ſah ſich genoͤthigt, deren Behauptung, daß dies allein durch die Wiedertaufe geſchehen koͤnne, mit der Bemerkung zu widerſprechen, daß eine aͤußerliche Handlung nicht eine ſol¬ che Kraft beſitzen koͤnne, womit ſie zugleich die Weigerung ausſprach, durch Aufhebung der Haͤnde ihre Zuſtimmung zu der Aufnahme jener Perſonen zu geben, weil ſie dieſelben viel zu wenig kenne, als daß ſie ein Urtheil uͤber dieſelben faͤllen koͤnne. Durch dieſe freiſinnigen Aeußerungen zog ſie ſich eine Menge von Schmaͤhungen zu, deren Bitterkeit ſie noͤthigte, ſich zuruͤckzuziehen. Unter jenen Neuaufgenommenen fand ſie indeß bald ei¬ nen Gleichgeſinnten, einen Schneider, welcher zwar Anfangs ſehr erbaut uͤber die Froͤmmigkeit der Wiedertaͤufer ſchien, dem aber bald die Augen uͤber den wahren Charakter derſelben aufgingen, nachdem die W. Gelegenheit gefunden hatte, ſich gegen Verleumdungen bei ihm zu rechtfertigen, welche eine neidiſche Anabaptiſtin wider ſie ausgeſprengt hatte. Ein zu ihrem Bunde uͤbergetretener Zuckerſiedergehuͤlfe hatte im blinden Bekehrungseifer ſeine Mitgeſellen, denen er ihren Unglauben vorwarf, dergeſtalt gegen die Wiedertaͤufer aufgebracht, daß ſie am Himmelfahrtsfeſte 1842 ſich in einer unter dem Betſaale gelegenen Schenke verſammelten, wo ſie, von Branntwein er¬ hitzt, durch den Geſang der Wiedertaͤufer zu einer offenen De¬ monſtration gegen dieſelben herausgefordert wurden. Sie drangen daher in den Betſaal ein, unterbrachen zuerſt den begonnenen Vortrag durch ein lautes Murren, hierauf durch den heftigen Ruf: Halt, Halt! und warfen ſich endlich, als der Redner ſich nicht ſtoͤren ließ, mit funkelnden Augen und

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Zitationshilfe: Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/78>, abgerufen am 26.11.2024.