fragte, ob die Menschen so schön zeichnen könnten, wie der liebe Heiland. Mitunter war er in seiner verworrenen Bilder¬ jagd verloren, von der Außenwelt ganz abgewandt; dann aber brauste er, von irgend einer fanatischen Vorstellung ergriffen, in der größten Heftigkeit auf. Bei einer solchen Gelegenheit zerschlug er eine Stahlfeder mit dem Bügeleisen, und rief da¬ bei aus: so sollen alle Menschen zermalmt werden. Nicht nur wollte er seine Frau aus dem Fenster (der Kellerwohnung) treiben, sondern er ging auch mit einem Messer bewaffnet auf seine Kinder los, um sie, wie Abraham den Isaak, zu ermor¬ den. Bekanntlich haben Fanatiker oft genug in rasender Ver¬ blendung dem Erzvater nachahmen zu müssen geglaubt, und lei¬ der ist mehrmals von ihnen die Mörderhand an geliebte Kinder gelegt worden. In diesem Falle ist der blutdürstige Entschluß wahrscheinlich nur das Ergebniß einer zufälligen Ideenassociation gewesen, und mit ihr spurlos verschwunden.
Endlich am Abende des 17. März 1845, welchen er ohne zu arbeiten mit Dictiren zugebracht hatte, brach eine bis zur Wuth gesteigerte Tobsucht bei ihm aus; er zertrümmerte das Hausgeräth, zerschnitt die Betten, und zwischenher tanzte, pfiff, sang, trommelte er, und rief den aus Furcht entfliehenden Kindern zu: "rasch, rasch, jedem einen Kuß." Eine große Beängstigung nöthigte ihn, sich die Kleider bis aufs Hemde abzureißen; dafür umgürtete er sich den Unterleib mit einem Tischtuche, und umwickelte die Brust mit einem anderen Tuche so fest, daß ihm der Athem beklommen wurde. Er selbst hat von dieser Scene noch die Erinnerung, daß er zuerst einen Feuerlärm zu hören glaubte, welcher ihn beängstigte, worauf er sich einbildete, mehrere Polizeibeamte ständen vor den ver¬ schlossenen Fensterläden, um ihn durch die Ritzen derselben zu beobachten, welches ein anwesender Hausbewohner ihm durch Winken andeute. Indem nun die Furcht vor Verfolgung und Verhaftung, welche als symbolischer Ausdruck der sinnlosen Angst überaus häufig den Ausbruch der Seelenkrankheiten be¬ gleitet, unsern W. befiel, riß er gewaltsam das Fenster auf, ergriff die Flucht, und rief überlaut: Engelein kommt, Enge¬ lein kommt (um ihn zu beschützen). Barfuß, kaum mit ei¬ nem Hemde bekleidet, rannte er durch mehrere mit Eis und
fragte, ob die Menſchen ſo ſchoͤn zeichnen koͤnnten, wie der liebe Heiland. Mitunter war er in ſeiner verworrenen Bilder¬ jagd verloren, von der Außenwelt ganz abgewandt; dann aber brauſte er, von irgend einer fanatiſchen Vorſtellung ergriffen, in der groͤßten Heftigkeit auf. Bei einer ſolchen Gelegenheit zerſchlug er eine Stahlfeder mit dem Buͤgeleiſen, und rief da¬ bei aus: ſo ſollen alle Menſchen zermalmt werden. Nicht nur wollte er ſeine Frau aus dem Fenſter (der Kellerwohnung) treiben, ſondern er ging auch mit einem Meſſer bewaffnet auf ſeine Kinder los, um ſie, wie Abraham den Iſaak, zu ermor¬ den. Bekanntlich haben Fanatiker oft genug in raſender Ver¬ blendung dem Erzvater nachahmen zu muͤſſen geglaubt, und lei¬ der iſt mehrmals von ihnen die Moͤrderhand an geliebte Kinder gelegt worden. In dieſem Falle iſt der blutduͤrſtige Entſchluß wahrſcheinlich nur das Ergebniß einer zufaͤlligen Ideenaſſociation geweſen, und mit ihr ſpurlos verſchwunden.
Endlich am Abende des 17. Maͤrz 1845, welchen er ohne zu arbeiten mit Dictiren zugebracht hatte, brach eine bis zur Wuth geſteigerte Tobſucht bei ihm aus; er zertruͤmmerte das Hausgeraͤth, zerſchnitt die Betten, und zwiſchenher tanzte, pfiff, ſang, trommelte er, und rief den aus Furcht entfliehenden Kindern zu: „raſch, raſch, jedem einen Kuß.” Eine große Beaͤngſtigung noͤthigte ihn, ſich die Kleider bis aufs Hemde abzureißen; dafuͤr umguͤrtete er ſich den Unterleib mit einem Tiſchtuche, und umwickelte die Bruſt mit einem anderen Tuche ſo feſt, daß ihm der Athem beklommen wurde. Er ſelbſt hat von dieſer Scene noch die Erinnerung, daß er zuerſt einen Feuerlaͤrm zu hoͤren glaubte, welcher ihn beaͤngſtigte, worauf er ſich einbildete, mehrere Polizeibeamte ſtaͤnden vor den ver¬ ſchloſſenen Fenſterlaͤden, um ihn durch die Ritzen derſelben zu beobachten, welches ein anweſender Hausbewohner ihm durch Winken andeute. Indem nun die Furcht vor Verfolgung und Verhaftung, welche als ſymboliſcher Ausdruck der ſinnloſen Angſt uͤberaus haͤufig den Ausbruch der Seelenkrankheiten be¬ gleitet, unſern W. befiel, riß er gewaltſam das Fenſter auf, ergriff die Flucht, und rief uͤberlaut: Engelein kommt, Enge¬ lein kommt (um ihn zu beſchuͤtzen). Barfuß, kaum mit ei¬ nem Hemde bekleidet, rannte er durch mehrere mit Eis und
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fragte, ob die Menſchen ſo ſchoͤn zeichnen koͤnnten, wie der
liebe Heiland. Mitunter war er in ſeiner verworrenen Bilder¬
jagd verloren, von der Außenwelt ganz abgewandt; dann aber
brauſte er, von irgend einer fanatiſchen Vorſtellung ergriffen,
in der groͤßten Heftigkeit auf. Bei einer ſolchen Gelegenheit
zerſchlug er eine Stahlfeder mit dem Buͤgeleiſen, und rief da¬
bei aus: ſo ſollen alle Menſchen zermalmt werden. Nicht nur
wollte er ſeine Frau aus dem Fenſter (der Kellerwohnung)
treiben, ſondern er ging auch mit einem Meſſer bewaffnet auf
ſeine Kinder los, um ſie, wie Abraham den Iſaak, zu ermor¬
den. Bekanntlich haben Fanatiker oft genug in raſender Ver¬
blendung dem Erzvater nachahmen zu muͤſſen geglaubt, und lei¬
der iſt mehrmals von ihnen die Moͤrderhand an geliebte Kinder
gelegt worden. In dieſem Falle iſt der blutduͤrſtige Entſchluß
wahrſcheinlich nur das Ergebniß einer zufaͤlligen Ideenaſſociation
geweſen, und mit ihr ſpurlos verſchwunden.
Endlich am Abende des 17. Maͤrz 1845, welchen er ohne
zu arbeiten mit Dictiren zugebracht hatte, brach eine bis zur
Wuth geſteigerte Tobſucht bei ihm aus; er zertruͤmmerte das
Hausgeraͤth, zerſchnitt die Betten, und zwiſchenher tanzte, pfiff,
ſang, trommelte er, und rief den aus Furcht entfliehenden
Kindern zu: „raſch, raſch, jedem einen Kuß.” Eine große
Beaͤngſtigung noͤthigte ihn, ſich die Kleider bis aufs Hemde
abzureißen; dafuͤr umguͤrtete er ſich den Unterleib mit einem
Tiſchtuche, und umwickelte die Bruſt mit einem anderen Tuche
ſo feſt, daß ihm der Athem beklommen wurde. Er ſelbſt hat
von dieſer Scene noch die Erinnerung, daß er zuerſt einen
Feuerlaͤrm zu hoͤren glaubte, welcher ihn beaͤngſtigte, worauf
er ſich einbildete, mehrere Polizeibeamte ſtaͤnden vor den ver¬
ſchloſſenen Fenſterlaͤden, um ihn durch die Ritzen derſelben zu
beobachten, welches ein anweſender Hausbewohner ihm durch
Winken andeute. Indem nun die Furcht vor Verfolgung und
Verhaftung, welche als ſymboliſcher Ausdruck der ſinnloſen
Angſt uͤberaus haͤufig den Ausbruch der Seelenkrankheiten be¬
gleitet, unſern W. befiel, riß er gewaltſam das Fenſter auf,
ergriff die Flucht, und rief uͤberlaut: Engelein kommt, Enge¬
lein kommt (um ihn zu beſchuͤtzen). Barfuß, kaum mit ei¬
nem Hemde bekleidet, rannte er durch mehrere mit Eis und
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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/62>, abgerufen am 23.11.2024.
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