Angriff des Teufels, welcher ihm überall in den Weg trete. Von rastloser Quaal gefoltert, hatte er nach der Rückkehr von der Ar¬ beit nichts Eiligeres zu thun, als die erhaltenen 8 Groschen in den zerrissenen Stiefel zu stecken, und letzteren an einem entfernten Orte ins Wasser zu werfen. Das Entsetzen über die Versuchungen des Teufels machte in ihm die Empfindung rege, als ob dieser ihn in Stücke zerreißen wollte, weshalb er im schnel¬ len Laufe nach der Wohnung zurückkehrte, um alle Gegenstände, welche seiner Meinung nach irgend vom Teufel berührt sein konn¬ ten, sorgfältig abzuwaschen. Eifriges Flehen zu Gott um Schutz gegen den Bösen und fleißiges Bibellesen wurden ihm nun zum Bedürfniß, konnten aber nur dazu dienen, seiner schon in Wahn¬ witz ausgearteten Schwärmerei neue Nahrung zu geben.
Nachdem der zur Aussöhnung seiner Familie bei der Abend¬ mahlsfeier von ihm bestimmte Sonntag verstrichen war, ohne seine sehnliche Hoffnung in Erfüllung zu bringen, betete er in¬ brünstig zu Gott, daß er durch seine Gnade die Aussöhnung der Entzweiten bewirken wolle, wobei er eifrig in der Bibel las, um aus ihr Trost zu schöpfen. Vorzüglich wurde seine Aufmerk¬ samkeit gefesselt durch das 10. Kapitel der Apostelgeschichte, wo die von Petrus an dem Hauptmann Cornelius vollzogene Taufe erzählt, und zugleich berichtet wird, daß letzterer 4 Tage fastete und betete, worauf ein Mann in hellem Kleide mit den Worten auf ihn zutrat: "Corneli, dein Gebet ist erhört, und deiner Almosen ist gedacht vor Gott." R. glaubte hieraus folgern zu dürfen, daß man durch Fasten Gott zur Erhörung inbrünstiger Gebete bewegen könne, und sogleich stand sein Entschluß fest, sich dieses Mittels zu bedienen. Er enthielt sich daher von näch¬ ster Mittwoche an aller Nahrung gänzlich, wollte dies zuerst nur bis zum Donnerstage fortsetzen, weil an demselben eine Wochen¬ communion gehalten wurde, führte aber seinen Vorsatz, da seine Familie an letzterer nicht Theil nahm, bis zum nächsten Montage, wo seine Versetzung in die Charite erfolgte, beharrlich durch, in der festen Ueberzeugung, daß Gott sein inbrünstiges Flehen er¬ hören werde. Er versichert, in dieser ganzen Zeit nicht den ge¬ ringsten Hunger, und erst am Sonntage einigen Durst empfun¬ den zu haben, wurde aber zu aller Arbeit unfähig, und beschäf¬ tigte sich nur mit anhaltendem Bibellesen bei verschlossener Thüre,
Ideler über d. rel. Wahnsinn. 3
Angriff des Teufels, welcher ihm uͤberall in den Weg trete. Von raſtloſer Quaal gefoltert, hatte er nach der Ruͤckkehr von der Ar¬ beit nichts Eiligeres zu thun, als die erhaltenen 8 Groſchen in den zerriſſenen Stiefel zu ſtecken, und letzteren an einem entfernten Orte ins Waſſer zu werfen. Das Entſetzen uͤber die Verſuchungen des Teufels machte in ihm die Empfindung rege, als ob dieſer ihn in Stuͤcke zerreißen wollte, weshalb er im ſchnel¬ len Laufe nach der Wohnung zuruͤckkehrte, um alle Gegenſtaͤnde, welche ſeiner Meinung nach irgend vom Teufel beruͤhrt ſein konn¬ ten, ſorgfaͤltig abzuwaſchen. Eifriges Flehen zu Gott um Schutz gegen den Boͤſen und fleißiges Bibelleſen wurden ihm nun zum Beduͤrfniß, konnten aber nur dazu dienen, ſeiner ſchon in Wahn¬ witz ausgearteten Schwaͤrmerei neue Nahrung zu geben.
Nachdem der zur Ausſoͤhnung ſeiner Familie bei der Abend¬ mahlsfeier von ihm beſtimmte Sonntag verſtrichen war, ohne ſeine ſehnliche Hoffnung in Erfuͤllung zu bringen, betete er in¬ bruͤnſtig zu Gott, daß er durch ſeine Gnade die Ausſoͤhnung der Entzweiten bewirken wolle, wobei er eifrig in der Bibel las, um aus ihr Troſt zu ſchoͤpfen. Vorzuͤglich wurde ſeine Aufmerk¬ ſamkeit gefeſſelt durch das 10. Kapitel der Apoſtelgeſchichte, wo die von Petrus an dem Hauptmann Cornelius vollzogene Taufe erzaͤhlt, und zugleich berichtet wird, daß letzterer 4 Tage faſtete und betete, worauf ein Mann in hellem Kleide mit den Worten auf ihn zutrat: „Corneli, dein Gebet iſt erhoͤrt, und deiner Almoſen iſt gedacht vor Gott.” R. glaubte hieraus folgern zu duͤrfen, daß man durch Faſten Gott zur Erhoͤrung inbruͤnſtiger Gebete bewegen koͤnne, und ſogleich ſtand ſein Entſchluß feſt, ſich dieſes Mittels zu bedienen. Er enthielt ſich daher von naͤch¬ ſter Mittwoche an aller Nahrung gaͤnzlich, wollte dies zuerſt nur bis zum Donnerstage fortſetzen, weil an demſelben eine Wochen¬ communion gehalten wurde, fuͤhrte aber ſeinen Vorſatz, da ſeine Familie an letzterer nicht Theil nahm, bis zum naͤchſten Montage, wo ſeine Verſetzung in die Charité erfolgte, beharrlich durch, in der feſten Ueberzeugung, daß Gott ſein inbruͤnſtiges Flehen er¬ hoͤren werde. Er verſichert, in dieſer ganzen Zeit nicht den ge¬ ringſten Hunger, und erſt am Sonntage einigen Durſt empfun¬ den zu haben, wurde aber zu aller Arbeit unfaͤhig, und beſchaͤf¬ tigte ſich nur mit anhaltendem Bibelleſen bei verſchloſſener Thuͤre,
Ideler uͤber d. rel. Wahnſinn. 3
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Angriff des Teufels, welcher ihm uͤberall in den Weg trete. Von
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beit nichts Eiligeres zu thun, als die erhaltenen 8 Groſchen in
den zerriſſenen Stiefel zu ſtecken, und letzteren an einem
entfernten Orte ins Waſſer zu werfen. Das Entſetzen uͤber die
Verſuchungen des Teufels machte in ihm die Empfindung rege,
als ob dieſer ihn in Stuͤcke zerreißen wollte, weshalb er im ſchnel¬
len Laufe nach der Wohnung zuruͤckkehrte, um alle Gegenſtaͤnde,
welche ſeiner Meinung nach irgend vom Teufel beruͤhrt ſein konn¬
ten, ſorgfaͤltig abzuwaſchen. Eifriges Flehen zu Gott um Schutz
gegen den Boͤſen und fleißiges Bibelleſen wurden ihm nun zum
Beduͤrfniß, konnten aber nur dazu dienen, ſeiner ſchon in Wahn¬
witz ausgearteten Schwaͤrmerei neue Nahrung zu geben.
Nachdem der zur Ausſoͤhnung ſeiner Familie bei der Abend¬
mahlsfeier von ihm beſtimmte Sonntag verſtrichen war, ohne
ſeine ſehnliche Hoffnung in Erfuͤllung zu bringen, betete er in¬
bruͤnſtig zu Gott, daß er durch ſeine Gnade die Ausſoͤhnung der
Entzweiten bewirken wolle, wobei er eifrig in der Bibel las,
um aus ihr Troſt zu ſchoͤpfen. Vorzuͤglich wurde ſeine Aufmerk¬
ſamkeit gefeſſelt durch das 10. Kapitel der Apoſtelgeſchichte, wo
die von Petrus an dem Hauptmann Cornelius vollzogene Taufe
erzaͤhlt, und zugleich berichtet wird, daß letzterer 4 Tage faſtete
und betete, worauf ein Mann in hellem Kleide mit den Worten
auf ihn zutrat: „Corneli, dein Gebet iſt erhoͤrt, und deiner
Almoſen iſt gedacht vor Gott.” R. glaubte hieraus folgern zu
duͤrfen, daß man durch Faſten Gott zur Erhoͤrung inbruͤnſtiger
Gebete bewegen koͤnne, und ſogleich ſtand ſein Entſchluß feſt,
ſich dieſes Mittels zu bedienen. Er enthielt ſich daher von naͤch¬
ſter Mittwoche an aller Nahrung gaͤnzlich, wollte dies zuerſt nur
bis zum Donnerstage fortſetzen, weil an demſelben eine Wochen¬
communion gehalten wurde, fuͤhrte aber ſeinen Vorſatz, da ſeine
Familie an letzterer nicht Theil nahm, bis zum naͤchſten Montage,
wo ſeine Verſetzung in die Charité erfolgte, beharrlich durch, in
der feſten Ueberzeugung, daß Gott ſein inbruͤnſtiges Flehen er¬
hoͤren werde. Er verſichert, in dieſer ganzen Zeit nicht den ge¬
ringſten Hunger, und erſt am Sonntage einigen Durſt empfun¬
den zu haben, wurde aber zu aller Arbeit unfaͤhig, und beſchaͤf¬
tigte ſich nur mit anhaltendem Bibelleſen bei verſchloſſener Thuͤre,
Ideler uͤber d. rel. Wahnſinn. 3
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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/41>, abgerufen am 05.07.2024.
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