Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.seiner hiesigen Schwester, welche an einen Fuhrmann verheirathet Da er seinem bedürftigen Vater wiederholte Baarsendun¬ ſeiner hieſigen Schweſter, welche an einen Fuhrmann verheirathet Da er ſeinem beduͤrftigen Vater wiederholte Baarſendun¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0040" n="32"/> ſeiner hieſigen Schweſter, welche an einen Fuhrmann verheirathet<lb/> und Mutter mehrerer Kinder ſeiner Meinung nach ihre Pflichten<lb/> als Hausfrau vernachlaͤſſigte. Nur gelegentlich wagte er es, ihr<lb/> hieruͤber Vorwuͤrfe zu machen; deſto ernſtlicher drang er aber in<lb/> ſie, daß ſie ſich gleichfalls zu einem froͤmmeren Lebenswandel be¬<lb/> kehren, und namentlich mit den Schweſtern ausſoͤhnen ſolle, weil<lb/> außerdem der noch immer feſtgehaltene Plan, die ganze Familie<lb/> zu vereinigen, nicht in Ausfuͤhrung gebracht werden konnte. Zu<lb/> dieſem Zwecke verlangte er, daß die Schweſtern gemeinſchaftlich<lb/> mit dem Vater an einem der naͤchſten Sonntage das heilige Abend¬<lb/> mahl genießen ſollten, um den geſchloſſenen Frieden zu beſiegeln.<lb/> Sie nahm dieſe Ermahnungen mit muͤrriſchem Schweigen auf,<lb/> gab ihm inzwiſchen immer neue Gelegenheit zur Unzufriedenheit<lb/> durch Vernachlaͤſſigung ſeiner haͤuslichen Beduͤrfniſſe, und ver¬<lb/> anlaßte dadurch bei ihm eine ſo anhaltende Gemuͤthsverſtimmung,<lb/> daß er ſchon des Nachts nicht mehr ruhig ſchlafen konnte, und<lb/> eine ſteigende Bangigkeit, ja Angſt empfand, von welcher er ſich<lb/> bei ſeiner paſſiven Gemuͤthsart nicht mehr befreien konnte.</p><lb/> <p>Da er ſeinem beduͤrftigen Vater wiederholte Baarſendun¬<lb/> gen zuſchickte, ſo entbloͤßte er ſich oft ſo ſehr von Geld, daß er<lb/> kleine Anleihen bei ſeiner Schweſter machen mußte. Dies ge¬<lb/> ſchah auch an einem Morgen, wo ihre Weigerung, ihm auch nur<lb/> noch 8 Groſchen vorzuſtrecken, ihn mit großem Unwillen gegen ſie<lb/> erfuͤllte. Als er ſchon das Zimmer verlaſſen hatte, oͤffnete ſie<lb/> die Thuͤre, um ihm das verlangte Geld dennoch zu reichen, machte<lb/> ihm aber dabei ein ſo boͤſes Geſicht, daß er ſich daruͤber entſetzte.<lb/> Zugleich bemerkte er einen alten, an die Wand gelehnten Beſen,<lb/> welcher, nach einem verbreiteten Aberglauben am Morgen in den<lb/> Weg gelegt, Ungluͤck bedeuten, ja ſelbſt den Teufel herbeirufen<lb/> ſoll. Wie ein Wetterſtrahl traf ihn der Gedanke, daß ſeine<lb/> Schweſter der Teufel ſelbſt ſei, welcher ihm das Geld gege¬<lb/> ben habe, um ihn zum Boͤſen zu verlocken, und obgleich er waͤh¬<lb/> rend der Arbeit ſich noch daruͤber beſann, daß ſie wirklich ſeine<lb/> Schweſter ſei, ſo hatte doch die Vorſtellung des Teufels ihn ſo<lb/> maͤchtig ergriffen, daß er das empfangene Geld fuͤr eine Gabe<lb/> deſſelben hielt. Da ihm zugleich der Unfall begegnete, daß ein<lb/> Glasſcherben durch den einen Stiefel ihm bis in den Fuß eindrang,<lb/> ſo hielt er die unbedeutende Verletzung deſſelben fuͤr einen neuen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [32/0040]
ſeiner hieſigen Schweſter, welche an einen Fuhrmann verheirathet
und Mutter mehrerer Kinder ſeiner Meinung nach ihre Pflichten
als Hausfrau vernachlaͤſſigte. Nur gelegentlich wagte er es, ihr
hieruͤber Vorwuͤrfe zu machen; deſto ernſtlicher drang er aber in
ſie, daß ſie ſich gleichfalls zu einem froͤmmeren Lebenswandel be¬
kehren, und namentlich mit den Schweſtern ausſoͤhnen ſolle, weil
außerdem der noch immer feſtgehaltene Plan, die ganze Familie
zu vereinigen, nicht in Ausfuͤhrung gebracht werden konnte. Zu
dieſem Zwecke verlangte er, daß die Schweſtern gemeinſchaftlich
mit dem Vater an einem der naͤchſten Sonntage das heilige Abend¬
mahl genießen ſollten, um den geſchloſſenen Frieden zu beſiegeln.
Sie nahm dieſe Ermahnungen mit muͤrriſchem Schweigen auf,
gab ihm inzwiſchen immer neue Gelegenheit zur Unzufriedenheit
durch Vernachlaͤſſigung ſeiner haͤuslichen Beduͤrfniſſe, und ver¬
anlaßte dadurch bei ihm eine ſo anhaltende Gemuͤthsverſtimmung,
daß er ſchon des Nachts nicht mehr ruhig ſchlafen konnte, und
eine ſteigende Bangigkeit, ja Angſt empfand, von welcher er ſich
bei ſeiner paſſiven Gemuͤthsart nicht mehr befreien konnte.
Da er ſeinem beduͤrftigen Vater wiederholte Baarſendun¬
gen zuſchickte, ſo entbloͤßte er ſich oft ſo ſehr von Geld, daß er
kleine Anleihen bei ſeiner Schweſter machen mußte. Dies ge¬
ſchah auch an einem Morgen, wo ihre Weigerung, ihm auch nur
noch 8 Groſchen vorzuſtrecken, ihn mit großem Unwillen gegen ſie
erfuͤllte. Als er ſchon das Zimmer verlaſſen hatte, oͤffnete ſie
die Thuͤre, um ihm das verlangte Geld dennoch zu reichen, machte
ihm aber dabei ein ſo boͤſes Geſicht, daß er ſich daruͤber entſetzte.
Zugleich bemerkte er einen alten, an die Wand gelehnten Beſen,
welcher, nach einem verbreiteten Aberglauben am Morgen in den
Weg gelegt, Ungluͤck bedeuten, ja ſelbſt den Teufel herbeirufen
ſoll. Wie ein Wetterſtrahl traf ihn der Gedanke, daß ſeine
Schweſter der Teufel ſelbſt ſei, welcher ihm das Geld gege¬
ben habe, um ihn zum Boͤſen zu verlocken, und obgleich er waͤh¬
rend der Arbeit ſich noch daruͤber beſann, daß ſie wirklich ſeine
Schweſter ſei, ſo hatte doch die Vorſtellung des Teufels ihn ſo
maͤchtig ergriffen, daß er das empfangene Geld fuͤr eine Gabe
deſſelben hielt. Da ihm zugleich der Unfall begegnete, daß ein
Glasſcherben durch den einen Stiefel ihm bis in den Fuß eindrang,
ſo hielt er die unbedeutende Verletzung deſſelben fuͤr einen neuen
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