Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

folgung aufklären werde; statt dessen hörte er nur aus der
Ferne ein undeutliches Reden, in welchem er blos seinen Na¬
men unterscheiden konnte. Mit beschleunigten Schritten kehrte
er dann in seine Wohnung zurück, um sich den lästigen Nach¬
stellungen zu entziehen.

Schon während einer Reihe von Monaten vor seiner Auf¬
nahme in die Charite bemerkte seine Wirthin ein eigenthüm¬
lich verstörtes und zerstreutes Benehmen an ihm, und bald
äußerte er eine Menge von wahnwitzigen Vorstellungen, wo¬
durch er ihr so lästig wurde, daß sie ihm wiederholt Schwei¬
gen gebot, ohne ihren Zweck zu erreichen. Er behauptet häu¬
fig, Thronfolger zu sein, nach erreichtem 30. Jahre als König
gekrönt zu werden, ja er gab sich für Napoleon, den Kaiser
von China und endlich für Gott selbst aus, da er mit seinen
Händen Alles geschaffen habe. Wenn ihm seine Wirthin darauf
entgegnete, daß er gleich allen Menschen ein Sünder sei, so
nahm er dies sehr übel, lief heftig aufgeregt in der Stube
auf und ab, setzte sich auch wohl an einen Tisch, auf welchem
er mit den Fingern trommelte, als ob er Klavier spielte, in¬
dem er dazu geistliche Lieder sang. Die Lectüre der Harfen¬
töne veranlaßte ihn zu der Aeußerung, er wolle die geistliche
Harfe spielen, deren Töne durch die ganze Welt schallen wür¬
den. Eben so bemerkte sein Meister, daß er in seinem ge¬
wohnten Fleiße nachließ, oft in ein träumerisches Hinbrüten
versank, und mit den Fingern auf dem Tische mit der Be¬
merkung trommelte, so müsse man Klavier spielen. Gelegent¬
lich erklärte er, Christus gleich zu sein, eine neue Secte stif¬
ten zu wollen, da das Christenthum nicht recht ausgebildet sei;
auch sprach er davon, daß auf dem hiesigen Alexanderplatze
der babylonische Thurm erbaut werden solle. Zu dieser Aeu¬
ßerung scheint er durch den Anblick der zahlreichen Besucher
des Königsstädtischen Theaters, welche nach dem Schluß dessel¬
ben ihm entgegenströmten, veranlaßt worden zu sein, indem
ihm die Vorstellung einer Völkerwanderung vorschwebte, wel¬
cher dadurch ein fester Punkt der Ansiedelung bezeichnet wer¬
den solle. Wiederholt beklagte er sich darüber, daß die Wie¬
dertäufer ihm die ewige Verdammniß angekündigt hätten, und
heftig bewegt durch alle diese sich durchkreuzenden Vorstellun¬

folgung aufklaͤren werde; ſtatt deſſen hoͤrte er nur aus der
Ferne ein undeutliches Reden, in welchem er blos ſeinen Na¬
men unterſcheiden konnte. Mit beſchleunigten Schritten kehrte
er dann in ſeine Wohnung zuruͤck, um ſich den laͤſtigen Nach¬
ſtellungen zu entziehen.

Schon waͤhrend einer Reihe von Monaten vor ſeiner Auf¬
nahme in die Charité bemerkte ſeine Wirthin ein eigenthuͤm¬
lich verſtoͤrtes und zerſtreutes Benehmen an ihm, und bald
aͤußerte er eine Menge von wahnwitzigen Vorſtellungen, wo¬
durch er ihr ſo laͤſtig wurde, daß ſie ihm wiederholt Schwei¬
gen gebot, ohne ihren Zweck zu erreichen. Er behauptet haͤu¬
fig, Thronfolger zu ſein, nach erreichtem 30. Jahre als Koͤnig
gekroͤnt zu werden, ja er gab ſich fuͤr Napoleon, den Kaiſer
von China und endlich fuͤr Gott ſelbſt aus, da er mit ſeinen
Haͤnden Alles geſchaffen habe. Wenn ihm ſeine Wirthin darauf
entgegnete, daß er gleich allen Menſchen ein Suͤnder ſei, ſo
nahm er dies ſehr uͤbel, lief heftig aufgeregt in der Stube
auf und ab, ſetzte ſich auch wohl an einen Tiſch, auf welchem
er mit den Fingern trommelte, als ob er Klavier ſpielte, in¬
dem er dazu geiſtliche Lieder ſang. Die Lectuͤre der Harfen¬
toͤne veranlaßte ihn zu der Aeußerung, er wolle die geiſtliche
Harfe ſpielen, deren Toͤne durch die ganze Welt ſchallen wuͤr¬
den. Eben ſo bemerkte ſein Meiſter, daß er in ſeinem ge¬
wohnten Fleiße nachließ, oft in ein traͤumeriſches Hinbruͤten
verſank, und mit den Fingern auf dem Tiſche mit der Be¬
merkung trommelte, ſo muͤſſe man Klavier ſpielen. Gelegent¬
lich erklaͤrte er, Chriſtus gleich zu ſein, eine neue Secte ſtif¬
ten zu wollen, da das Chriſtenthum nicht recht ausgebildet ſei;
auch ſprach er davon, daß auf dem hieſigen Alexanderplatze
der babyloniſche Thurm erbaut werden ſolle. Zu dieſer Aeu¬
ßerung ſcheint er durch den Anblick der zahlreichen Beſucher
des Koͤnigsſtaͤdtiſchen Theaters, welche nach dem Schluß deſſel¬
ben ihm entgegenſtroͤmten, veranlaßt worden zu ſein, indem
ihm die Vorſtellung einer Voͤlkerwanderung vorſchwebte, wel¬
cher dadurch ein feſter Punkt der Anſiedelung bezeichnet wer¬
den ſolle. Wiederholt beklagte er ſich daruͤber, daß die Wie¬
dertaͤufer ihm die ewige Verdammniß angekuͤndigt haͤtten, und
heftig bewegt durch alle dieſe ſich durchkreuzenden Vorſtellun¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0188" n="180"/>
folgung aufkla&#x0364;ren werde; &#x017F;tatt de&#x017F;&#x017F;en ho&#x0364;rte er nur aus der<lb/>
Ferne ein undeutliches Reden, in welchem er blos &#x017F;einen Na¬<lb/>
men unter&#x017F;cheiden konnte. Mit be&#x017F;chleunigten Schritten kehrte<lb/>
er dann in &#x017F;eine Wohnung zuru&#x0364;ck, um &#x017F;ich den la&#x0364;&#x017F;tigen Nach¬<lb/>
&#x017F;tellungen zu entziehen.</p><lb/>
        <p>Schon wa&#x0364;hrend einer Reihe von Monaten vor &#x017F;einer Auf¬<lb/>
nahme in die Charité bemerkte &#x017F;eine Wirthin ein eigenthu&#x0364;<lb/>
lich ver&#x017F;to&#x0364;rtes und zer&#x017F;treutes Benehmen an ihm, und bald<lb/>
a&#x0364;ußerte er eine Menge von wahnwitzigen Vor&#x017F;tellungen, wo¬<lb/>
durch er ihr &#x017F;o la&#x0364;&#x017F;tig wurde, daß &#x017F;ie ihm wiederholt Schwei¬<lb/>
gen gebot, ohne ihren Zweck zu erreichen. Er behauptet ha&#x0364;<lb/>
fig, Thronfolger zu &#x017F;ein, nach erreichtem 30. Jahre als Ko&#x0364;nig<lb/>
gekro&#x0364;nt zu werden, ja er gab &#x017F;ich fu&#x0364;r Napoleon, den Kai&#x017F;er<lb/>
von China und endlich fu&#x0364;r Gott &#x017F;elb&#x017F;t aus, da er mit &#x017F;einen<lb/>
Ha&#x0364;nden Alles ge&#x017F;chaffen habe. Wenn ihm &#x017F;eine Wirthin darauf<lb/>
entgegnete, daß er gleich allen Men&#x017F;chen ein Su&#x0364;nder &#x017F;ei, &#x017F;o<lb/>
nahm er dies &#x017F;ehr u&#x0364;bel, lief heftig aufgeregt in der Stube<lb/>
auf und ab, &#x017F;etzte &#x017F;ich auch wohl an einen Ti&#x017F;ch, auf welchem<lb/>
er mit den Fingern trommelte, als ob er Klavier &#x017F;pielte, in¬<lb/>
dem er dazu gei&#x017F;tliche Lieder &#x017F;ang. Die Lectu&#x0364;re der Harfen¬<lb/>
to&#x0364;ne veranlaßte ihn zu der Aeußerung, er wolle die gei&#x017F;tliche<lb/>
Harfe &#x017F;pielen, deren To&#x0364;ne durch die ganze Welt &#x017F;challen wu&#x0364;<lb/>
den. Eben &#x017F;o bemerkte &#x017F;ein Mei&#x017F;ter, daß er in &#x017F;einem ge¬<lb/>
wohnten Fleiße nachließ, oft in ein tra&#x0364;umeri&#x017F;ches Hinbru&#x0364;ten<lb/>
ver&#x017F;ank, und mit den Fingern auf dem Ti&#x017F;che mit der Be¬<lb/>
merkung trommelte, &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e man Klavier &#x017F;pielen. Gelegent¬<lb/>
lich erkla&#x0364;rte er, Chri&#x017F;tus gleich zu &#x017F;ein, eine neue Secte &#x017F;tif¬<lb/>
ten zu wollen, da das Chri&#x017F;tenthum nicht recht ausgebildet &#x017F;ei;<lb/>
auch &#x017F;prach er davon, daß auf dem hie&#x017F;igen Alexanderplatze<lb/>
der babyloni&#x017F;che Thurm erbaut werden &#x017F;olle. Zu die&#x017F;er Aeu¬<lb/>
ßerung &#x017F;cheint er durch den Anblick der zahlreichen Be&#x017F;ucher<lb/>
des Ko&#x0364;nigs&#x017F;ta&#x0364;dti&#x017F;chen Theaters, welche nach dem Schluß de&#x017F;&#x017F;el¬<lb/>
ben ihm entgegen&#x017F;tro&#x0364;mten, veranlaßt worden zu &#x017F;ein, indem<lb/>
ihm die Vor&#x017F;tellung einer Vo&#x0364;lkerwanderung vor&#x017F;chwebte, wel¬<lb/>
cher dadurch ein fe&#x017F;ter Punkt der An&#x017F;iedelung bezeichnet wer¬<lb/>
den &#x017F;olle. Wiederholt beklagte er &#x017F;ich daru&#x0364;ber, daß die Wie¬<lb/>
derta&#x0364;ufer ihm die ewige Verdammniß angeku&#x0364;ndigt ha&#x0364;tten, und<lb/>
heftig bewegt durch alle die&#x017F;e &#x017F;ich durchkreuzenden Vor&#x017F;tellun¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0188] folgung aufklaͤren werde; ſtatt deſſen hoͤrte er nur aus der Ferne ein undeutliches Reden, in welchem er blos ſeinen Na¬ men unterſcheiden konnte. Mit beſchleunigten Schritten kehrte er dann in ſeine Wohnung zuruͤck, um ſich den laͤſtigen Nach¬ ſtellungen zu entziehen. Schon waͤhrend einer Reihe von Monaten vor ſeiner Auf¬ nahme in die Charité bemerkte ſeine Wirthin ein eigenthuͤm¬ lich verſtoͤrtes und zerſtreutes Benehmen an ihm, und bald aͤußerte er eine Menge von wahnwitzigen Vorſtellungen, wo¬ durch er ihr ſo laͤſtig wurde, daß ſie ihm wiederholt Schwei¬ gen gebot, ohne ihren Zweck zu erreichen. Er behauptet haͤu¬ fig, Thronfolger zu ſein, nach erreichtem 30. Jahre als Koͤnig gekroͤnt zu werden, ja er gab ſich fuͤr Napoleon, den Kaiſer von China und endlich fuͤr Gott ſelbſt aus, da er mit ſeinen Haͤnden Alles geſchaffen habe. Wenn ihm ſeine Wirthin darauf entgegnete, daß er gleich allen Menſchen ein Suͤnder ſei, ſo nahm er dies ſehr uͤbel, lief heftig aufgeregt in der Stube auf und ab, ſetzte ſich auch wohl an einen Tiſch, auf welchem er mit den Fingern trommelte, als ob er Klavier ſpielte, in¬ dem er dazu geiſtliche Lieder ſang. Die Lectuͤre der Harfen¬ toͤne veranlaßte ihn zu der Aeußerung, er wolle die geiſtliche Harfe ſpielen, deren Toͤne durch die ganze Welt ſchallen wuͤr¬ den. Eben ſo bemerkte ſein Meiſter, daß er in ſeinem ge¬ wohnten Fleiße nachließ, oft in ein traͤumeriſches Hinbruͤten verſank, und mit den Fingern auf dem Tiſche mit der Be¬ merkung trommelte, ſo muͤſſe man Klavier ſpielen. Gelegent¬ lich erklaͤrte er, Chriſtus gleich zu ſein, eine neue Secte ſtif¬ ten zu wollen, da das Chriſtenthum nicht recht ausgebildet ſei; auch ſprach er davon, daß auf dem hieſigen Alexanderplatze der babyloniſche Thurm erbaut werden ſolle. Zu dieſer Aeu¬ ßerung ſcheint er durch den Anblick der zahlreichen Beſucher des Koͤnigsſtaͤdtiſchen Theaters, welche nach dem Schluß deſſel¬ ben ihm entgegenſtroͤmten, veranlaßt worden zu ſein, indem ihm die Vorſtellung einer Voͤlkerwanderung vorſchwebte, wel¬ cher dadurch ein feſter Punkt der Anſiedelung bezeichnet wer¬ den ſolle. Wiederholt beklagte er ſich daruͤber, daß die Wie¬ dertaͤufer ihm die ewige Verdammniß angekuͤndigt haͤtten, und heftig bewegt durch alle dieſe ſich durchkreuzenden Vorſtellun¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/188
Zitationshilfe: Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/188>, abgerufen am 27.04.2024.