in fortwährende Aufregung und Spannung des Gemüths ver¬ setzt, durch welche sein von disparaten Kenntnissen wimmeln¬ der und schwindelnder Kopf noch mehr in Unklarheit und Ver¬ worrenheit gerathen mußte. Die hierdurch in seinem Innern fortdauernd unterhaltene trübe und ungestüme Gährung der verschiedensten Elemente erzeugte bald ein Heer von Zweifeln, welche zuletzt eine schwermüthige, bange Stimmung hervorrie¬ fen. Da er zugleich die Predigten eines Geistlichen fleißig be¬ suchte, welcher oft von dem Teufel als dem Fürsten der Fin¬ sterniß redete, so wurde er durch eine einfache Gedankenver¬ bindung leicht zu der Ueberzeugung geführt, daß der Teufel, um ihn vom rechten Wege zu verlocken, ihm jene Zweifel, die in seinem Herzen aufsteigenden bösen, sinnlichen Begierden und seine Lauigkeit im Guten eingegeben habe. An seinem redlichen Willen fehlte es wenigstens nicht, da er ungeachtet seiner Dürftigkeit doch längere Zeit hindurch seinen Bruder bei sich aufnahm, und außerdem noch Armen aus theilnehmendem Herzen einen Nothpfennig reichte. Endlich fand er doch nach heftiger und anhaltender Beängstigung den Frieden des Her¬ zens in der fleißigen Lectüre frommer Werke, namentlich in Barter's Schrift: Die Ruhe des Heiligen, wieder; denn er schöpfte vollen Trost aus der Vorstellung, daß Christus sein Leben für die Erlösung der Welt gegeben, und daß besonders Paulus den Gläubigen die Gnade Gottes verkündigt habe. Mit diesen Gedanken beschäftigte er sich nicht nur oft während der Arbeit, sondern auch vornämlich auf einsamen Spazier¬ gängen an den Sonntagen, wo seine Betrachtungen am lieb¬ sten bei der Herrlichkeit des neuen Bundes verweilten, in welchem sich Gott durch Christus offenbart habe, wodurch er selbst von seinen Sünden befreit worden sei. Die hierdurch erregte enthusiastische Stimmung erreichte nicht selten einen so hohen Grad, daß er mehrere Tage hindurch einer wahren Seeligkeit theilhaftig geworden zu sein glaubte, und somit in dem Wahn erhalten wurde, daß der Eintritt des Reiches Got¬ tes auf Erden nahe bevorstehe. Zu dieser schwärmerischen Hoffnung hatte insbesondere die Offenbarung Johannis beige¬ tragen, mit welcher er sich eine Zeit lang vorzugsweise be¬ schäftigte, so daß er sich das Bild des himmlischen Jerusalems
in fortwaͤhrende Aufregung und Spannung des Gemuͤths ver¬ ſetzt, durch welche ſein von disparaten Kenntniſſen wimmeln¬ der und ſchwindelnder Kopf noch mehr in Unklarheit und Ver¬ worrenheit gerathen mußte. Die hierdurch in ſeinem Innern fortdauernd unterhaltene truͤbe und ungeſtuͤme Gaͤhrung der verſchiedenſten Elemente erzeugte bald ein Heer von Zweifeln, welche zuletzt eine ſchwermuͤthige, bange Stimmung hervorrie¬ fen. Da er zugleich die Predigten eines Geiſtlichen fleißig be¬ ſuchte, welcher oft von dem Teufel als dem Fuͤrſten der Fin¬ ſterniß redete, ſo wurde er durch eine einfache Gedankenver¬ bindung leicht zu der Ueberzeugung gefuͤhrt, daß der Teufel, um ihn vom rechten Wege zu verlocken, ihm jene Zweifel, die in ſeinem Herzen aufſteigenden boͤſen, ſinnlichen Begierden und ſeine Lauigkeit im Guten eingegeben habe. An ſeinem redlichen Willen fehlte es wenigſtens nicht, da er ungeachtet ſeiner Duͤrftigkeit doch laͤngere Zeit hindurch ſeinen Bruder bei ſich aufnahm, und außerdem noch Armen aus theilnehmendem Herzen einen Nothpfennig reichte. Endlich fand er doch nach heftiger und anhaltender Beaͤngſtigung den Frieden des Her¬ zens in der fleißigen Lectuͤre frommer Werke, namentlich in Barter's Schrift: Die Ruhe des Heiligen, wieder; denn er ſchoͤpfte vollen Troſt aus der Vorſtellung, daß Chriſtus ſein Leben fuͤr die Erloͤſung der Welt gegeben, und daß beſonders Paulus den Glaͤubigen die Gnade Gottes verkuͤndigt habe. Mit dieſen Gedanken beſchaͤftigte er ſich nicht nur oft waͤhrend der Arbeit, ſondern auch vornaͤmlich auf einſamen Spazier¬ gaͤngen an den Sonntagen, wo ſeine Betrachtungen am lieb¬ ſten bei der Herrlichkeit des neuen Bundes verweilten, in welchem ſich Gott durch Chriſtus offenbart habe, wodurch er ſelbſt von ſeinen Suͤnden befreit worden ſei. Die hierdurch erregte enthuſiaſtiſche Stimmung erreichte nicht ſelten einen ſo hohen Grad, daß er mehrere Tage hindurch einer wahren Seeligkeit theilhaftig geworden zu ſein glaubte, und ſomit in dem Wahn erhalten wurde, daß der Eintritt des Reiches Got¬ tes auf Erden nahe bevorſtehe. Zu dieſer ſchwaͤrmeriſchen Hoffnung hatte insbeſondere die Offenbarung Johannis beige¬ tragen, mit welcher er ſich eine Zeit lang vorzugsweiſe be¬ ſchaͤftigte, ſo daß er ſich das Bild des himmliſchen Jeruſalems
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in fortwaͤhrende Aufregung und Spannung des Gemuͤths ver¬
ſetzt, durch welche ſein von disparaten Kenntniſſen wimmeln¬
der und ſchwindelnder Kopf noch mehr in Unklarheit und Ver¬
worrenheit gerathen mußte. Die hierdurch in ſeinem Innern
fortdauernd unterhaltene truͤbe und ungeſtuͤme Gaͤhrung der
verſchiedenſten Elemente erzeugte bald ein Heer von Zweifeln,
welche zuletzt eine ſchwermuͤthige, bange Stimmung hervorrie¬
fen. Da er zugleich die Predigten eines Geiſtlichen fleißig be¬
ſuchte, welcher oft von dem Teufel als dem Fuͤrſten der Fin¬
ſterniß redete, ſo wurde er durch eine einfache Gedankenver¬
bindung leicht zu der Ueberzeugung gefuͤhrt, daß der Teufel,
um ihn vom rechten Wege zu verlocken, ihm jene Zweifel, die
in ſeinem Herzen aufſteigenden boͤſen, ſinnlichen Begierden
und ſeine Lauigkeit im Guten eingegeben habe. An ſeinem
redlichen Willen fehlte es wenigſtens nicht, da er ungeachtet
ſeiner Duͤrftigkeit doch laͤngere Zeit hindurch ſeinen Bruder bei
ſich aufnahm, und außerdem noch Armen aus theilnehmendem
Herzen einen Nothpfennig reichte. Endlich fand er doch nach
heftiger und anhaltender Beaͤngſtigung den Frieden des Her¬
zens in der fleißigen Lectuͤre frommer Werke, namentlich in
Barter's Schrift: Die Ruhe des Heiligen, wieder; denn er
ſchoͤpfte vollen Troſt aus der Vorſtellung, daß Chriſtus ſein
Leben fuͤr die Erloͤſung der Welt gegeben, und daß beſonders
Paulus den Glaͤubigen die Gnade Gottes verkuͤndigt habe.
Mit dieſen Gedanken beſchaͤftigte er ſich nicht nur oft waͤhrend
der Arbeit, ſondern auch vornaͤmlich auf einſamen Spazier¬
gaͤngen an den Sonntagen, wo ſeine Betrachtungen am lieb¬
ſten bei der Herrlichkeit des neuen Bundes verweilten, in
welchem ſich Gott durch Chriſtus offenbart habe, wodurch er
ſelbſt von ſeinen Suͤnden befreit worden ſei. Die hierdurch
erregte enthuſiaſtiſche Stimmung erreichte nicht ſelten einen ſo
hohen Grad, daß er mehrere Tage hindurch einer wahren
Seeligkeit theilhaftig geworden zu ſein glaubte, und ſomit in
dem Wahn erhalten wurde, daß der Eintritt des Reiches Got¬
tes auf Erden nahe bevorſtehe. Zu dieſer ſchwaͤrmeriſchen
Hoffnung hatte insbeſondere die Offenbarung Johannis beige¬
tragen, mit welcher er ſich eine Zeit lang vorzugsweiſe be¬
ſchaͤftigte, ſo daß er ſich das Bild des himmliſchen Jeruſalems
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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/186>, abgerufen am 26.07.2024.
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