Ende derselben in ihr auftauchte, und sie quälte. Unter an¬ derem gab sie auch an, daß sie im Herbste 1840, als gerade ihre Menstruation im Flusse begriffen war, von einem starken Regen ganz durchnäßt worden sei, und sich heftig erkältet habe, und daß danach Schmerzen in der rechten Seite zurückgeblie¬ ben wären, von denen sie stets geplagt und in große Unruhe versetzt worden sei. Die gewöhnlichen Unterleibsbeschwerden bei der Melancholie abgerechnet, war indeß keine eigenthümliche Functionsstörung bei ihr wahrzunehmen. Im Laufe der beiden nächsten Monate trat wenigstens eine theilweise Besserung ein, so daß sie körperlich ganz wohl sich befand, auch eine größere Ruhe und Klarheit des Geistes wiedergewonnen hatte, nament¬ lich nicht mehr so häufig darüber jammerte, daß sie gefehlt habe. Aber eine wesentliche Umgestaltung ihres Zustandes war nicht erfolgt, als sie am 21. Mai auf Verlangen ihres Va¬ ters aus der Anstalt entlassen werden mußte.
Die Rückkehr zu den Ihrigen, nach denen sie eine große Sehnsucht empfunden hatte, gewährte ihr allerdings einigen Trost, und da wenigstens die heftigsten Ausbrüche ihrer Krank¬ heit beschwichtigt waren, so sah sie sich im Stande, weibliche Arbeiten zu verrichten, und dem äußeren Anschein nach sich besonnen zu betragen. Aber völlig unaufgeklärt geblieben über den Nachtheil, welchen die schwärmerische Richtung ihrer Fröm¬ migkeit auf sie ausgeübt hatte, folgte sie bald wieder dem Zuge derselben, und suchte daher sowohl den Betsaal der Mis¬ sionsgesellschaft, als jenen Prediger auf, dem sie noch immer mit inniger Neigung zugethan war. Stets bewegte sie sich in dem engen Kreise finsterer Grübeleien über die vornehmste Pflicht, das Kreuz Christi auf sich zu nehmen, über den bal¬ digen Untergang der Welt und das Strafgericht Gottes gegen diejenigen, welche derselben nicht entsagt hätten. Wenn viel¬ leicht auch in den gehörten Predigten Worte des Trostes und des freudigen Glaubens ausgesprochen wurden; so hatte sie doch alle Empfänglichkeit dafür verloren. Nicht damit zufrie¬ den, jenen ascetischen Andachtsübungen an den Sonntagen und an mehreren Wochenabenden beizuwohnen, vertiefte sie sich noch in die Lectüre der Bibel und jener schon oft genannten Tractätlein, durch welche schon so manche schwache Intelligenz
Ende derſelben in ihr auftauchte, und ſie quaͤlte. Unter an¬ derem gab ſie auch an, daß ſie im Herbſte 1840, als gerade ihre Menſtruation im Fluſſe begriffen war, von einem ſtarken Regen ganz durchnaͤßt worden ſei, und ſich heftig erkaͤltet habe, und daß danach Schmerzen in der rechten Seite zuruͤckgeblie¬ ben waͤren, von denen ſie ſtets geplagt und in große Unruhe verſetzt worden ſei. Die gewoͤhnlichen Unterleibsbeſchwerden bei der Melancholie abgerechnet, war indeß keine eigenthuͤmliche Functionsſtoͤrung bei ihr wahrzunehmen. Im Laufe der beiden naͤchſten Monate trat wenigſtens eine theilweiſe Beſſerung ein, ſo daß ſie koͤrperlich ganz wohl ſich befand, auch eine groͤßere Ruhe und Klarheit des Geiſtes wiedergewonnen hatte, nament¬ lich nicht mehr ſo haͤufig daruͤber jammerte, daß ſie gefehlt habe. Aber eine weſentliche Umgeſtaltung ihres Zuſtandes war nicht erfolgt, als ſie am 21. Mai auf Verlangen ihres Va¬ ters aus der Anſtalt entlaſſen werden mußte.
Die Ruͤckkehr zu den Ihrigen, nach denen ſie eine große Sehnſucht empfunden hatte, gewaͤhrte ihr allerdings einigen Troſt, und da wenigſtens die heftigſten Ausbruͤche ihrer Krank¬ heit beſchwichtigt waren, ſo ſah ſie ſich im Stande, weibliche Arbeiten zu verrichten, und dem aͤußeren Anſchein nach ſich beſonnen zu betragen. Aber voͤllig unaufgeklaͤrt geblieben uͤber den Nachtheil, welchen die ſchwaͤrmeriſche Richtung ihrer Froͤm¬ migkeit auf ſie ausgeuͤbt hatte, folgte ſie bald wieder dem Zuge derſelben, und ſuchte daher ſowohl den Betſaal der Miſ¬ ſionsgeſellſchaft, als jenen Prediger auf, dem ſie noch immer mit inniger Neigung zugethan war. Stets bewegte ſie ſich in dem engen Kreiſe finſterer Gruͤbeleien uͤber die vornehmſte Pflicht, das Kreuz Chriſti auf ſich zu nehmen, uͤber den bal¬ digen Untergang der Welt und das Strafgericht Gottes gegen diejenigen, welche derſelben nicht entſagt haͤtten. Wenn viel¬ leicht auch in den gehoͤrten Predigten Worte des Troſtes und des freudigen Glaubens ausgeſprochen wurden; ſo hatte ſie doch alle Empfaͤnglichkeit dafuͤr verloren. Nicht damit zufrie¬ den, jenen ascetiſchen Andachtsuͤbungen an den Sonntagen und an mehreren Wochenabenden beizuwohnen, vertiefte ſie ſich noch in die Lectuͤre der Bibel und jener ſchon oft genannten Tractaͤtlein, durch welche ſchon ſo manche ſchwache Intelligenz
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Ende derſelben in ihr auftauchte, und ſie quaͤlte. Unter an¬
derem gab ſie auch an, daß ſie im Herbſte 1840, als gerade
ihre Menſtruation im Fluſſe begriffen war, von einem ſtarken
Regen ganz durchnaͤßt worden ſei, und ſich heftig erkaͤltet habe,
und daß danach Schmerzen in der rechten Seite zuruͤckgeblie¬
ben waͤren, von denen ſie ſtets geplagt und in große Unruhe
verſetzt worden ſei. Die gewoͤhnlichen Unterleibsbeſchwerden
bei der Melancholie abgerechnet, war indeß keine eigenthuͤmliche
Functionsſtoͤrung bei ihr wahrzunehmen. Im Laufe der beiden
naͤchſten Monate trat wenigſtens eine theilweiſe Beſſerung ein,
ſo daß ſie koͤrperlich ganz wohl ſich befand, auch eine groͤßere
Ruhe und Klarheit des Geiſtes wiedergewonnen hatte, nament¬
lich nicht mehr ſo haͤufig daruͤber jammerte, daß ſie gefehlt
habe. Aber eine weſentliche Umgeſtaltung ihres Zuſtandes war
nicht erfolgt, als ſie am 21. Mai auf Verlangen ihres Va¬
ters aus der Anſtalt entlaſſen werden mußte.
Die Ruͤckkehr zu den Ihrigen, nach denen ſie eine große
Sehnſucht empfunden hatte, gewaͤhrte ihr allerdings einigen
Troſt, und da wenigſtens die heftigſten Ausbruͤche ihrer Krank¬
heit beſchwichtigt waren, ſo ſah ſie ſich im Stande, weibliche
Arbeiten zu verrichten, und dem aͤußeren Anſchein nach ſich
beſonnen zu betragen. Aber voͤllig unaufgeklaͤrt geblieben uͤber
den Nachtheil, welchen die ſchwaͤrmeriſche Richtung ihrer Froͤm¬
migkeit auf ſie ausgeuͤbt hatte, folgte ſie bald wieder dem
Zuge derſelben, und ſuchte daher ſowohl den Betſaal der Miſ¬
ſionsgeſellſchaft, als jenen Prediger auf, dem ſie noch immer
mit inniger Neigung zugethan war. Stets bewegte ſie ſich
in dem engen Kreiſe finſterer Gruͤbeleien uͤber die vornehmſte
Pflicht, das Kreuz Chriſti auf ſich zu nehmen, uͤber den bal¬
digen Untergang der Welt und das Strafgericht Gottes gegen
diejenigen, welche derſelben nicht entſagt haͤtten. Wenn viel¬
leicht auch in den gehoͤrten Predigten Worte des Troſtes und
des freudigen Glaubens ausgeſprochen wurden; ſo hatte ſie
doch alle Empfaͤnglichkeit dafuͤr verloren. Nicht damit zufrie¬
den, jenen ascetiſchen Andachtsuͤbungen an den Sonntagen und
an mehreren Wochenabenden beizuwohnen, vertiefte ſie ſich
noch in die Lectuͤre der Bibel und jener ſchon oft genannten
Tractaͤtlein, durch welche ſchon ſo manche ſchwache Intelligenz
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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/166>, abgerufen am 05.07.2024.
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