Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

Analog war folgendes Bild. Auf einer Sandfläche war ein
weißes Laken ausgebreitet, welches von mehreren Damen
hinweggezogen wurde, worauf eine Menge von Männern zum
Vorschein kamen, welche als Leichen darunter gelegen hatten,
und jetzt auferstanden. Jene Damen waren sehr prachtvoll
gekleidet in Gelb und Blau, die vornehmeren trugen silberne
Gewänder mit Guirlanden besetzt, und Kronen auf den Häup¬
tern. Die Damen wählten sich je einen Mann aus. Die
Scene war von Fleischengeln umgeben, welche sich wie im
Reifenspiel Kränze von Wiesenblumen gegenseitig reichten, und
das Ganze zeigte eine außerordentliche Pracht. -- Ein großer
Teich schloß eine Menge verwünschter Menschen unter Fischge¬
stalt ein, welche von Damen in einem Kahne herausgeholt,
und Männern übergeben wurden, welche in Gruben unter
Mooskränzen verborgen mit den Damen heimliche Gespräche
führten. Eine Reminiscenz aus einem Zauberroman, in wel¬
chem eine Seejungfer halb Mensch halb Fisch allmonatlich
ihren Bach unter voller Menschengestalt verließ, um mit einem
Ritter in bräutlicher Liebe zu kosen, gab der G. Veranlas¬
sung, daß sie dergleichen Seejungfern für verwünschte Men¬
schen hielt, welche wie wir alle ihre Strafen abbüßten, aber
nach dem Willen Gottes Menschen wurden, und zuletzt En¬
gelsgestalt annahmen, unter welcher sie von langen seidenen
Flören umhüllt durch den Himmel schwebten. Hierauf ließen
sich dieselben auf blauen, rothen und grünen Sammetkissen
von herzförmiger und viereckiger Gestalt nieder, welche auf
einem Gewässer unter den Dielen des Zimmers schwammen,
bis sie in wirkliche Fleischengel verwandelt wurden: Diese
Metamorphose zu dem höchsten Grade der Vollkommenheit,
wovon die G. indeß nicht Augenzeuge war, ging ihrer Mei¬
nung nach so von Statten, daß Gott ein Kalb schlachtete,
in eine Menge von Stücken zertheilte, und diese an Ketten
band, mit denen sie in den Himmel aufgezogen wurden, wo
jedem Engel ein Stück gegeben wurde, um sich mit demsel¬
ben zu verleiblichen. Aber nicht blos die Menschen wurden
zu höheren Gestalten gleichsam auferbaut, um ihre Auferstehung
zu feiern, sondern auch Thiere wurden vor ihren Augen durch
einen wahren Schöpfungsproceß hervorgerufen, wie sie dann

Analog war folgendes Bild. Auf einer Sandflaͤche war ein
weißes Laken ausgebreitet, welches von mehreren Damen
hinweggezogen wurde, worauf eine Menge von Maͤnnern zum
Vorſchein kamen, welche als Leichen darunter gelegen hatten,
und jetzt auferſtanden. Jene Damen waren ſehr prachtvoll
gekleidet in Gelb und Blau, die vornehmeren trugen ſilberne
Gewaͤnder mit Guirlanden beſetzt, und Kronen auf den Haͤup¬
tern. Die Damen waͤhlten ſich je einen Mann aus. Die
Scene war von Fleiſchengeln umgeben, welche ſich wie im
Reifenſpiel Kraͤnze von Wieſenblumen gegenſeitig reichten, und
das Ganze zeigte eine außerordentliche Pracht. — Ein großer
Teich ſchloß eine Menge verwuͤnſchter Menſchen unter Fiſchge¬
ſtalt ein, welche von Damen in einem Kahne herausgeholt,
und Maͤnnern uͤbergeben wurden, welche in Gruben unter
Mooskraͤnzen verborgen mit den Damen heimliche Geſpraͤche
fuͤhrten. Eine Reminiscenz aus einem Zauberroman, in wel¬
chem eine Seejungfer halb Menſch halb Fiſch allmonatlich
ihren Bach unter voller Menſchengeſtalt verließ, um mit einem
Ritter in braͤutlicher Liebe zu koſen, gab der G. Veranlaſ¬
ſung, daß ſie dergleichen Seejungfern fuͤr verwuͤnſchte Men¬
ſchen hielt, welche wie wir alle ihre Strafen abbuͤßten, aber
nach dem Willen Gottes Menſchen wurden, und zuletzt En¬
gelsgeſtalt annahmen, unter welcher ſie von langen ſeidenen
Floͤren umhuͤllt durch den Himmel ſchwebten. Hierauf ließen
ſich dieſelben auf blauen, rothen und gruͤnen Sammetkiſſen
von herzfoͤrmiger und viereckiger Geſtalt nieder, welche auf
einem Gewaͤſſer unter den Dielen des Zimmers ſchwammen,
bis ſie in wirkliche Fleiſchengel verwandelt wurden: Dieſe
Metamorphoſe zu dem hoͤchſten Grade der Vollkommenheit,
wovon die G. indeß nicht Augenzeuge war, ging ihrer Mei¬
nung nach ſo von Statten, daß Gott ein Kalb ſchlachtete,
in eine Menge von Stuͤcken zertheilte, und dieſe an Ketten
band, mit denen ſie in den Himmel aufgezogen wurden, wo
jedem Engel ein Stuͤck gegeben wurde, um ſich mit demſel¬
ben zu verleiblichen. Aber nicht blos die Menſchen wurden
zu hoͤheren Geſtalten gleichſam auferbaut, um ihre Auferſtehung
zu feiern, ſondern auch Thiere wurden vor ihren Augen durch
einen wahren Schoͤpfungsproceß hervorgerufen, wie ſie dann

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0152" n="144"/>
        <p>Analog war folgendes Bild. Auf einer Sandfla&#x0364;che war ein<lb/>
weißes Laken ausgebreitet, welches von mehreren Damen<lb/>
hinweggezogen wurde, worauf eine Menge von Ma&#x0364;nnern zum<lb/>
Vor&#x017F;chein kamen, welche als Leichen darunter gelegen hatten,<lb/>
und jetzt aufer&#x017F;tanden. Jene Damen waren &#x017F;ehr prachtvoll<lb/>
gekleidet in Gelb und Blau, die vornehmeren trugen &#x017F;ilberne<lb/>
Gewa&#x0364;nder mit Guirlanden be&#x017F;etzt, und Kronen auf den Ha&#x0364;up¬<lb/>
tern. Die Damen wa&#x0364;hlten &#x017F;ich je einen Mann aus. Die<lb/>
Scene war von Flei&#x017F;chengeln umgeben, welche &#x017F;ich wie im<lb/>
Reifen&#x017F;piel Kra&#x0364;nze von Wie&#x017F;enblumen gegen&#x017F;eitig reichten, und<lb/>
das Ganze zeigte eine außerordentliche Pracht. &#x2014; Ein großer<lb/>
Teich &#x017F;chloß eine Menge verwu&#x0364;n&#x017F;chter Men&#x017F;chen unter Fi&#x017F;chge¬<lb/>
&#x017F;talt ein, welche von Damen in einem Kahne herausgeholt,<lb/>
und Ma&#x0364;nnern u&#x0364;bergeben wurden, welche in Gruben unter<lb/>
Mooskra&#x0364;nzen verborgen mit den Damen heimliche Ge&#x017F;pra&#x0364;che<lb/>
fu&#x0364;hrten. Eine Reminiscenz aus einem Zauberroman, in wel¬<lb/>
chem eine Seejungfer halb Men&#x017F;ch halb Fi&#x017F;ch allmonatlich<lb/>
ihren Bach unter voller Men&#x017F;chenge&#x017F;talt verließ, um mit einem<lb/>
Ritter in bra&#x0364;utlicher Liebe zu ko&#x017F;en, gab der G. Veranla&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;ung, daß &#x017F;ie dergleichen Seejungfern fu&#x0364;r verwu&#x0364;n&#x017F;chte Men¬<lb/>
&#x017F;chen hielt, welche wie wir alle ihre Strafen abbu&#x0364;ßten, aber<lb/>
nach dem Willen Gottes Men&#x017F;chen wurden, und zuletzt En¬<lb/>
gelsge&#x017F;talt annahmen, unter welcher &#x017F;ie von langen &#x017F;eidenen<lb/>
Flo&#x0364;ren umhu&#x0364;llt durch den Himmel &#x017F;chwebten. Hierauf ließen<lb/>
&#x017F;ich die&#x017F;elben auf blauen, rothen und gru&#x0364;nen Sammetki&#x017F;&#x017F;en<lb/>
von herzfo&#x0364;rmiger und viereckiger Ge&#x017F;talt nieder, welche auf<lb/>
einem Gewa&#x0364;&#x017F;&#x017F;er unter den Dielen des Zimmers &#x017F;chwammen,<lb/>
bis &#x017F;ie in wirkliche Flei&#x017F;chengel verwandelt wurden: Die&#x017F;e<lb/>
Metamorpho&#x017F;e zu dem ho&#x0364;ch&#x017F;ten Grade der Vollkommenheit,<lb/>
wovon die G. indeß nicht Augenzeuge war, ging ihrer Mei¬<lb/>
nung nach &#x017F;o von Statten, daß Gott ein Kalb &#x017F;chlachtete,<lb/>
in eine Menge von Stu&#x0364;cken zertheilte, und die&#x017F;e an Ketten<lb/>
band, mit denen &#x017F;ie in den Himmel aufgezogen wurden, wo<lb/>
jedem Engel ein Stu&#x0364;ck gegeben wurde, um &#x017F;ich mit dem&#x017F;el¬<lb/>
ben zu verleiblichen. Aber nicht blos die Men&#x017F;chen wurden<lb/>
zu ho&#x0364;heren Ge&#x017F;talten gleich&#x017F;am auferbaut, um ihre Aufer&#x017F;tehung<lb/>
zu feiern, &#x017F;ondern auch Thiere wurden vor ihren Augen durch<lb/>
einen wahren Scho&#x0364;pfungsproceß hervorgerufen, wie &#x017F;ie dann<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0152] Analog war folgendes Bild. Auf einer Sandflaͤche war ein weißes Laken ausgebreitet, welches von mehreren Damen hinweggezogen wurde, worauf eine Menge von Maͤnnern zum Vorſchein kamen, welche als Leichen darunter gelegen hatten, und jetzt auferſtanden. Jene Damen waren ſehr prachtvoll gekleidet in Gelb und Blau, die vornehmeren trugen ſilberne Gewaͤnder mit Guirlanden beſetzt, und Kronen auf den Haͤup¬ tern. Die Damen waͤhlten ſich je einen Mann aus. Die Scene war von Fleiſchengeln umgeben, welche ſich wie im Reifenſpiel Kraͤnze von Wieſenblumen gegenſeitig reichten, und das Ganze zeigte eine außerordentliche Pracht. — Ein großer Teich ſchloß eine Menge verwuͤnſchter Menſchen unter Fiſchge¬ ſtalt ein, welche von Damen in einem Kahne herausgeholt, und Maͤnnern uͤbergeben wurden, welche in Gruben unter Mooskraͤnzen verborgen mit den Damen heimliche Geſpraͤche fuͤhrten. Eine Reminiscenz aus einem Zauberroman, in wel¬ chem eine Seejungfer halb Menſch halb Fiſch allmonatlich ihren Bach unter voller Menſchengeſtalt verließ, um mit einem Ritter in braͤutlicher Liebe zu koſen, gab der G. Veranlaſ¬ ſung, daß ſie dergleichen Seejungfern fuͤr verwuͤnſchte Men¬ ſchen hielt, welche wie wir alle ihre Strafen abbuͤßten, aber nach dem Willen Gottes Menſchen wurden, und zuletzt En¬ gelsgeſtalt annahmen, unter welcher ſie von langen ſeidenen Floͤren umhuͤllt durch den Himmel ſchwebten. Hierauf ließen ſich dieſelben auf blauen, rothen und gruͤnen Sammetkiſſen von herzfoͤrmiger und viereckiger Geſtalt nieder, welche auf einem Gewaͤſſer unter den Dielen des Zimmers ſchwammen, bis ſie in wirkliche Fleiſchengel verwandelt wurden: Dieſe Metamorphoſe zu dem hoͤchſten Grade der Vollkommenheit, wovon die G. indeß nicht Augenzeuge war, ging ihrer Mei¬ nung nach ſo von Statten, daß Gott ein Kalb ſchlachtete, in eine Menge von Stuͤcken zertheilte, und dieſe an Ketten band, mit denen ſie in den Himmel aufgezogen wurden, wo jedem Engel ein Stuͤck gegeben wurde, um ſich mit demſel¬ ben zu verleiblichen. Aber nicht blos die Menſchen wurden zu hoͤheren Geſtalten gleichſam auferbaut, um ihre Auferſtehung zu feiern, ſondern auch Thiere wurden vor ihren Augen durch einen wahren Schoͤpfungsproceß hervorgerufen, wie ſie dann

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/152
Zitationshilfe: Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/152>, abgerufen am 28.04.2024.