der Bedingungen, welche die Entstehung einer selbstständigen Seelenstörung aus einem übrigens glücklich abgelaufenen Fie¬ ber veranlassen, ist im Allgemeinen sehr schwierig, und Alles, was sich darüber im vorliegenden Falle ohne gewagte Voraus¬ setzungen sagen läßt, dürfte sich darauf beschränken, daß unter den Verhältnissen des Wochenbettes, welche so oft die Entste¬ hung einer Geisteskrankheit begünstigen, die außerordentliche Lebhaftigkeit der Fieberdelirien eine tiefe Erschütterung des Ge¬ müths bewirkte, welche eine Exaltation des in ihm stark her¬ vortretenden religiösen Gefühls veranlaßte, dessen Erregung vorzugsweise durch die himmlischen Bilder, und durch die To¬ desgedanken in den Stunden der wiederkehrenden Besinnung gesteigert und dauernd erhalten wurde. Ihre von jeher sehr geschäftige und bilderreiche Phantasie setzte daher das mit un¬ gestümer Lebhaftigkeit begonnene und durch heftige Gefühle be¬ schleunigte Spiel zur Bethörung des Geistes fort, nachdem das Fieber schon zu seinem vollen Ablauf gelangt war. Wie see¬ lig sie sich aber auch in den Augenblicken der himmlischen Vi¬ sionen gefühlt hatte, so war doch ihr geistig körperlicher Zu¬ stand in eine so heftige Erschütterung versetzt worden, als daß sie sich derselben nicht durch peinliche Gefühle hätte bewußt werden sollen, welche die Phantasie als treues Echo aller An¬ klänge des Gemüths in analogen Bildern symbolisirte. Sie glaubte dann, der Teufel verfolge sie, und wenn sie ihn auch damals noch nicht leibhaftig sah, so kam es ihr doch vor, als ob er hinter ihrem Rücken huste, und sie ergreifen wolle, um sie gewaltsam von den Ihrigen loszureißen und auf immer zu trennen. Aus dieser Vorstellung ging eine andere hervor, welche sich auf lange Zeit in ihrem Bewußtsein als der eigent¬ liche Ausgangspunkt ihres Wahnsinns fixirte. Sie glaubte nämlich eine schwere Sünderin zu sein, der Gott ihr Kind zur Strafe nehmen wolle, indem dasselbe seinem Zorn zur Sühne für das ganze Menschengeschlecht gebracht werden solle. Von dem heftigsten Entsetzen wurde sie in ihrem Muttergefühl getroffen, als sie in ihrem Innern die Offenbarung zu ver¬ nehmen wähnte, daß sie selbst dies Opfer vollziehen müsse, daher sie dann wiederholt in rasender Angst aus dem Bette sprang, um das Kind zu ergreifen und sich mit ihm ins Was¬
der Bedingungen, welche die Entſtehung einer ſelbſtſtaͤndigen Seelenſtoͤrung aus einem uͤbrigens gluͤcklich abgelaufenen Fie¬ ber veranlaſſen, iſt im Allgemeinen ſehr ſchwierig, und Alles, was ſich daruͤber im vorliegenden Falle ohne gewagte Voraus¬ ſetzungen ſagen laͤßt, duͤrfte ſich darauf beſchraͤnken, daß unter den Verhaͤltniſſen des Wochenbettes, welche ſo oft die Entſte¬ hung einer Geiſteskrankheit beguͤnſtigen, die außerordentliche Lebhaftigkeit der Fieberdelirien eine tiefe Erſchuͤtterung des Ge¬ muͤths bewirkte, welche eine Exaltation des in ihm ſtark her¬ vortretenden religioͤſen Gefuͤhls veranlaßte, deſſen Erregung vorzugsweiſe durch die himmliſchen Bilder, und durch die To¬ desgedanken in den Stunden der wiederkehrenden Beſinnung geſteigert und dauernd erhalten wurde. Ihre von jeher ſehr geſchaͤftige und bilderreiche Phantaſie ſetzte daher das mit un¬ geſtuͤmer Lebhaftigkeit begonnene und durch heftige Gefuͤhle be¬ ſchleunigte Spiel zur Bethoͤrung des Geiſtes fort, nachdem das Fieber ſchon zu ſeinem vollen Ablauf gelangt war. Wie ſee¬ lig ſie ſich aber auch in den Augenblicken der himmliſchen Vi¬ ſionen gefuͤhlt hatte, ſo war doch ihr geiſtig koͤrperlicher Zu¬ ſtand in eine ſo heftige Erſchuͤtterung verſetzt worden, als daß ſie ſich derſelben nicht durch peinliche Gefuͤhle haͤtte bewußt werden ſollen, welche die Phantaſie als treues Echo aller An¬ klaͤnge des Gemuͤths in analogen Bildern ſymboliſirte. Sie glaubte dann, der Teufel verfolge ſie, und wenn ſie ihn auch damals noch nicht leibhaftig ſah, ſo kam es ihr doch vor, als ob er hinter ihrem Ruͤcken huſte, und ſie ergreifen wolle, um ſie gewaltſam von den Ihrigen loszureißen und auf immer zu trennen. Aus dieſer Vorſtellung ging eine andere hervor, welche ſich auf lange Zeit in ihrem Bewußtſein als der eigent¬ liche Ausgangspunkt ihres Wahnſinns fixirte. Sie glaubte naͤmlich eine ſchwere Suͤnderin zu ſein, der Gott ihr Kind zur Strafe nehmen wolle, indem daſſelbe ſeinem Zorn zur Suͤhne fuͤr das ganze Menſchengeſchlecht gebracht werden ſolle. Von dem heftigſten Entſetzen wurde ſie in ihrem Muttergefuͤhl getroffen, als ſie in ihrem Innern die Offenbarung zu ver¬ nehmen waͤhnte, daß ſie ſelbſt dies Opfer vollziehen muͤſſe, daher ſie dann wiederholt in raſender Angſt aus dem Bette ſprang, um das Kind zu ergreifen und ſich mit ihm ins Waſ¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0141"n="133"/>
der Bedingungen, welche die Entſtehung einer ſelbſtſtaͤndigen<lb/>
Seelenſtoͤrung aus einem uͤbrigens gluͤcklich abgelaufenen Fie¬<lb/>
ber veranlaſſen, iſt im Allgemeinen ſehr ſchwierig, und Alles,<lb/>
was ſich daruͤber im vorliegenden Falle ohne gewagte Voraus¬<lb/>ſetzungen ſagen laͤßt, duͤrfte ſich darauf beſchraͤnken, daß unter<lb/>
den Verhaͤltniſſen des Wochenbettes, welche ſo oft die Entſte¬<lb/>
hung einer Geiſteskrankheit beguͤnſtigen, die außerordentliche<lb/>
Lebhaftigkeit der Fieberdelirien eine tiefe Erſchuͤtterung des Ge¬<lb/>
muͤths bewirkte, welche eine Exaltation des in ihm ſtark her¬<lb/>
vortretenden religioͤſen Gefuͤhls veranlaßte, deſſen Erregung<lb/>
vorzugsweiſe durch die himmliſchen Bilder, und durch die To¬<lb/>
desgedanken in den Stunden der wiederkehrenden Beſinnung<lb/>
geſteigert und dauernd erhalten wurde. Ihre von jeher ſehr<lb/>
geſchaͤftige und bilderreiche Phantaſie ſetzte daher das mit un¬<lb/>
geſtuͤmer Lebhaftigkeit begonnene und durch heftige Gefuͤhle be¬<lb/>ſchleunigte Spiel zur Bethoͤrung des Geiſtes fort, nachdem das<lb/>
Fieber ſchon zu ſeinem vollen Ablauf gelangt war. Wie ſee¬<lb/>
lig ſie ſich aber auch in den Augenblicken der himmliſchen Vi¬<lb/>ſionen gefuͤhlt hatte, ſo war doch ihr geiſtig koͤrperlicher Zu¬<lb/>ſtand in eine ſo heftige Erſchuͤtterung verſetzt worden, als daß<lb/>ſie ſich derſelben nicht durch peinliche Gefuͤhle haͤtte bewußt<lb/>
werden ſollen, welche die Phantaſie als treues Echo aller An¬<lb/>
klaͤnge des Gemuͤths in analogen Bildern ſymboliſirte. Sie<lb/>
glaubte dann, der Teufel verfolge ſie, und wenn ſie ihn auch<lb/>
damals noch nicht leibhaftig ſah, ſo kam es ihr doch vor, als<lb/>
ob er hinter ihrem Ruͤcken huſte, und ſie ergreifen wolle, um<lb/>ſie gewaltſam von den Ihrigen loszureißen und auf immer zu<lb/>
trennen. Aus dieſer Vorſtellung ging eine andere hervor,<lb/>
welche ſich auf lange Zeit in ihrem Bewußtſein als der eigent¬<lb/>
liche Ausgangspunkt ihres Wahnſinns fixirte. Sie glaubte<lb/>
naͤmlich eine ſchwere Suͤnderin zu ſein, der Gott ihr Kind<lb/>
zur Strafe nehmen wolle, indem daſſelbe ſeinem Zorn zur<lb/>
Suͤhne fuͤr das ganze Menſchengeſchlecht gebracht werden ſolle.<lb/>
Von dem heftigſten Entſetzen wurde ſie in ihrem Muttergefuͤhl<lb/>
getroffen, als ſie in ihrem Innern die Offenbarung zu ver¬<lb/>
nehmen waͤhnte, daß ſie ſelbſt dies Opfer vollziehen muͤſſe,<lb/>
daher ſie dann wiederholt in raſender Angſt aus dem Bette<lb/>ſprang, um das Kind zu ergreifen und ſich mit ihm ins Waſ¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[133/0141]
der Bedingungen, welche die Entſtehung einer ſelbſtſtaͤndigen
Seelenſtoͤrung aus einem uͤbrigens gluͤcklich abgelaufenen Fie¬
ber veranlaſſen, iſt im Allgemeinen ſehr ſchwierig, und Alles,
was ſich daruͤber im vorliegenden Falle ohne gewagte Voraus¬
ſetzungen ſagen laͤßt, duͤrfte ſich darauf beſchraͤnken, daß unter
den Verhaͤltniſſen des Wochenbettes, welche ſo oft die Entſte¬
hung einer Geiſteskrankheit beguͤnſtigen, die außerordentliche
Lebhaftigkeit der Fieberdelirien eine tiefe Erſchuͤtterung des Ge¬
muͤths bewirkte, welche eine Exaltation des in ihm ſtark her¬
vortretenden religioͤſen Gefuͤhls veranlaßte, deſſen Erregung
vorzugsweiſe durch die himmliſchen Bilder, und durch die To¬
desgedanken in den Stunden der wiederkehrenden Beſinnung
geſteigert und dauernd erhalten wurde. Ihre von jeher ſehr
geſchaͤftige und bilderreiche Phantaſie ſetzte daher das mit un¬
geſtuͤmer Lebhaftigkeit begonnene und durch heftige Gefuͤhle be¬
ſchleunigte Spiel zur Bethoͤrung des Geiſtes fort, nachdem das
Fieber ſchon zu ſeinem vollen Ablauf gelangt war. Wie ſee¬
lig ſie ſich aber auch in den Augenblicken der himmliſchen Vi¬
ſionen gefuͤhlt hatte, ſo war doch ihr geiſtig koͤrperlicher Zu¬
ſtand in eine ſo heftige Erſchuͤtterung verſetzt worden, als daß
ſie ſich derſelben nicht durch peinliche Gefuͤhle haͤtte bewußt
werden ſollen, welche die Phantaſie als treues Echo aller An¬
klaͤnge des Gemuͤths in analogen Bildern ſymboliſirte. Sie
glaubte dann, der Teufel verfolge ſie, und wenn ſie ihn auch
damals noch nicht leibhaftig ſah, ſo kam es ihr doch vor, als
ob er hinter ihrem Ruͤcken huſte, und ſie ergreifen wolle, um
ſie gewaltſam von den Ihrigen loszureißen und auf immer zu
trennen. Aus dieſer Vorſtellung ging eine andere hervor,
welche ſich auf lange Zeit in ihrem Bewußtſein als der eigent¬
liche Ausgangspunkt ihres Wahnſinns fixirte. Sie glaubte
naͤmlich eine ſchwere Suͤnderin zu ſein, der Gott ihr Kind
zur Strafe nehmen wolle, indem daſſelbe ſeinem Zorn zur
Suͤhne fuͤr das ganze Menſchengeſchlecht gebracht werden ſolle.
Von dem heftigſten Entſetzen wurde ſie in ihrem Muttergefuͤhl
getroffen, als ſie in ihrem Innern die Offenbarung zu ver¬
nehmen waͤhnte, daß ſie ſelbſt dies Opfer vollziehen muͤſſe,
daher ſie dann wiederholt in raſender Angſt aus dem Bette
ſprang, um das Kind zu ergreifen und ſich mit ihm ins Waſ¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/141>, abgerufen am 26.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.