um sich, tobte und schrie, und mußte durch Coercitivmaaß- regeln verhindert werden, Schaden anzurichten. Durch Dar¬ reichung von gelinden Abführungen wurde diese Aufregung schnell beschwichtigt, ja er schien bald zur völligen Besinnung zurück¬ zukehren, und zuckte bei der Frage nach seiner göttlichen Ab¬ kunft mit den Achseln, indem er äußerte, daß dies nicht so gemeint gewesen sei. Da es demnach den Anschein hatte, als ob jene Wahnvorstellung nur die Folge eines ausschweifenden Branntweinsgenusses gewesen sei, so wurde er schon im näch¬ sten Monate wieder aus der Charite entlassen.
Indeß der fortgesetzte Mißbrauch spirituöser Getränke weckte bald wieder die kaum beseitigte Verstandesbethörung; er hielt sich für einen Gottesgesandten, welcher die Leiden des Lebens tragen müsse, glaubte Apostel zu sein, und ließ das Kopf- und Barthaar wachsen, um sich ein ehrwürdiges Ansehen zu geben. Erneuerte Wuthanfälle machten seine abermalige Aufnahme in die Charite am 19. April 1845 nöthig, welches nicht ohne einen Volksauflauf bewirkt werden konnte, da er auf dem Wege dort¬ hin von seinem Begleiter sich losriß, eilig die Kleider abwarf, um nackend eine Predigt auf der Straße zu halten, so daß es zu einem Handgemenge kam, in welchem er eine Verwundung an der Hand davontrug. In die Irrenabtheilung gebracht, mußte er wegen seines gewaltthätigen Betragens in den Zwangs¬ stuhl gesetzt werden. Sein sinnloses Schwatzen, Schreien und Lärmen machte jede Unterredung mit ihm unmöglich, und man konnte nur soviel in seinem Wortschwall unterscheiden, daß er sich für einen Abgesandten Gottes und für einen Apostel Christi halte. Nach einigen Tagen beruhigte er sich, und gab nun an, daß er aus Nahrungssorgen an großer Angst litt, welche zuletzt die Vorstellung hervorrief, daß Mörder im Hinterhalte lauer¬ ten, und in jedem Augenblicke bereit seien, hervorzuspringen und Hand an ihn zu legen. Dies sei auch, fügte er hinzu, die Ursache seiner Raserei gewesen. Ferner behauptete er, Gott habe ihm mit vernehmlicher Stimme zugerufen, er sei sein Vater, werde ihn beschützen, ihm nicht ein Haar auf seinem Haupte krümmen lassen, und gab zu verstehen, daß er sich deshalb für einen Gottgesandten halte. Doch wollte er sich nicht näher hierüber erklären, und begnügte sich mit der Be¬
um ſich, tobte und ſchrie, und mußte durch Coercitivmaaß- regeln verhindert werden, Schaden anzurichten. Durch Dar¬ reichung von gelinden Abfuͤhrungen wurde dieſe Aufregung ſchnell beſchwichtigt, ja er ſchien bald zur voͤlligen Beſinnung zuruͤck¬ zukehren, und zuckte bei der Frage nach ſeiner goͤttlichen Ab¬ kunft mit den Achſeln, indem er aͤußerte, daß dies nicht ſo gemeint geweſen ſei. Da es demnach den Anſchein hatte, als ob jene Wahnvorſtellung nur die Folge eines ausſchweifenden Branntweinsgenuſſes geweſen ſei, ſo wurde er ſchon im naͤch¬ ſten Monate wieder aus der Charité entlaſſen.
Indeß der fortgeſetzte Mißbrauch ſpirituoͤſer Getraͤnke weckte bald wieder die kaum beſeitigte Verſtandesbethoͤrung; er hielt ſich fuͤr einen Gottesgeſandten, welcher die Leiden des Lebens tragen muͤſſe, glaubte Apoſtel zu ſein, und ließ das Kopf- und Barthaar wachſen, um ſich ein ehrwuͤrdiges Anſehen zu geben. Erneuerte Wuthanfaͤlle machten ſeine abermalige Aufnahme in die Charité am 19. April 1845 noͤthig, welches nicht ohne einen Volksauflauf bewirkt werden konnte, da er auf dem Wege dort¬ hin von ſeinem Begleiter ſich losriß, eilig die Kleider abwarf, um nackend eine Predigt auf der Straße zu halten, ſo daß es zu einem Handgemenge kam, in welchem er eine Verwundung an der Hand davontrug. In die Irrenabtheilung gebracht, mußte er wegen ſeines gewaltthaͤtigen Betragens in den Zwangs¬ ſtuhl geſetzt werden. Sein ſinnloſes Schwatzen, Schreien und Laͤrmen machte jede Unterredung mit ihm unmoͤglich, und man konnte nur ſoviel in ſeinem Wortſchwall unterſcheiden, daß er ſich fuͤr einen Abgeſandten Gottes und fuͤr einen Apoſtel Chriſti halte. Nach einigen Tagen beruhigte er ſich, und gab nun an, daß er aus Nahrungsſorgen an großer Angſt litt, welche zuletzt die Vorſtellung hervorrief, daß Moͤrder im Hinterhalte lauer¬ ten, und in jedem Augenblicke bereit ſeien, hervorzuſpringen und Hand an ihn zu legen. Dies ſei auch, fuͤgte er hinzu, die Urſache ſeiner Raſerei geweſen. Ferner behauptete er, Gott habe ihm mit vernehmlicher Stimme zugerufen, er ſei ſein Vater, werde ihn beſchuͤtzen, ihm nicht ein Haar auf ſeinem Haupte kruͤmmen laſſen, und gab zu verſtehen, daß er ſich deshalb fuͤr einen Gottgeſandten halte. Doch wollte er ſich nicht naͤher hieruͤber erklaͤren, und begnuͤgte ſich mit der Be¬
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um ſich, tobte und ſchrie, und mußte durch Coercitivmaaß-
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beſchwichtigt, ja er ſchien bald zur voͤlligen Beſinnung zuruͤck¬
zukehren, und zuckte bei der Frage nach ſeiner goͤttlichen Ab¬
kunft mit den Achſeln, indem er aͤußerte, daß dies nicht ſo
gemeint geweſen ſei. Da es demnach den Anſchein hatte, als
ob jene Wahnvorſtellung nur die Folge eines ausſchweifenden
Branntweinsgenuſſes geweſen ſei, ſo wurde er ſchon im naͤch¬
ſten Monate wieder aus der Charité entlaſſen.
Indeß der fortgeſetzte Mißbrauch ſpirituoͤſer Getraͤnke weckte
bald wieder die kaum beſeitigte Verſtandesbethoͤrung; er hielt
ſich fuͤr einen Gottesgeſandten, welcher die Leiden des Lebens
tragen muͤſſe, glaubte Apoſtel zu ſein, und ließ das Kopf- und
Barthaar wachſen, um ſich ein ehrwuͤrdiges Anſehen zu geben.
Erneuerte Wuthanfaͤlle machten ſeine abermalige Aufnahme in
die Charité am 19. April 1845 noͤthig, welches nicht ohne einen
Volksauflauf bewirkt werden konnte, da er auf dem Wege dort¬
hin von ſeinem Begleiter ſich losriß, eilig die Kleider abwarf,
um nackend eine Predigt auf der Straße zu halten, ſo daß es
zu einem Handgemenge kam, in welchem er eine Verwundung
an der Hand davontrug. In die Irrenabtheilung gebracht,
mußte er wegen ſeines gewaltthaͤtigen Betragens in den Zwangs¬
ſtuhl geſetzt werden. Sein ſinnloſes Schwatzen, Schreien und
Laͤrmen machte jede Unterredung mit ihm unmoͤglich, und man
konnte nur ſoviel in ſeinem Wortſchwall unterſcheiden, daß er
ſich fuͤr einen Abgeſandten Gottes und fuͤr einen Apoſtel Chriſti
halte. Nach einigen Tagen beruhigte er ſich, und gab nun an,
daß er aus Nahrungsſorgen an großer Angſt litt, welche zuletzt
die Vorſtellung hervorrief, daß Moͤrder im Hinterhalte lauer¬
ten, und in jedem Augenblicke bereit ſeien, hervorzuſpringen
und Hand an ihn zu legen. Dies ſei auch, fuͤgte er hinzu,
die Urſache ſeiner Raſerei geweſen. Ferner behauptete er, Gott
habe ihm mit vernehmlicher Stimme zugerufen, er ſei ſein
Vater, werde ihn beſchuͤtzen, ihm nicht ein Haar auf ſeinem
Haupte kruͤmmen laſſen, und gab zu verſtehen, daß er ſich
deshalb fuͤr einen Gottgeſandten halte. Doch wollte er ſich
nicht naͤher hieruͤber erklaͤren, und begnuͤgte ſich mit der Be¬
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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/130>, abgerufen am 16.02.2025.
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