licher Freiheit, die völlige Besitzergreifung ihrer Person seitens der Dienstherrschaft unerträglich erscheinen läßt. Dazu tritt das soziale Stigma, das ihnen noch mehr als in der Neuen Welt an- haftet, - eine tüchtige Köchin berichtete mir kürz- lich, daß sie, die früher eine Reihe von Jahren auf Gütern als Mamsell beschäftigt war, jetzt keine solche Stellung mehr bekommen könne, weil sie inzwischen in Berlin als Köchin gedient habe und nunmehr der "Respekt" vor ihr fehle. Ein wesent- liches Moment ist auch das Gefühl der Rechtlosig- keit, das ihnen das einseitige Recht oder vielmehr Unrecht, dem sie bei uns unterstehen, und das drüben vollständig unbekannt ist, die Gesinde- ordnung gibt, ferner, last not least, die Sorge fürs Alter, oder richtiger gesagt, fürs Älterwerden.
Auch Dr. Conrad fand, daß bei uns vieles reformbedürftig sei. Die weitestgehende ihrer Forderungen war die der Abschaffung der Gesinde- ordnung und Unterstellung unter die Gewerbe- ordnung; aber sie modifiziert sie schließlich, indem sie sich mit der Abschaffung eines Teiles der 59 Ge- sindeordnungen zufrieden geben wollte. Außerdem schlug sie noch vor, den Mädchen die Anrede "Fräu- lein" zu gewähren, die Stellenvermittlung zu ver- bessern und die Mädchen etwa fünfmal in der Woche nach 9 Uhr nicht mehr zu beschäftigen. Das ist zu wenig, als daß es gelingen sollte, dadurch
licher Freiheit, die völlige Besitzergreifung ihrer Person seitens der Dienstherrschaft unerträglich erscheinen läßt. Dazu tritt das soziale Stigma, das ihnen noch mehr als in der Neuen Welt an- haftet, – eine tüchtige Köchin berichtete mir kürz- lich, daß sie, die früher eine Reihe von Jahren auf Gütern als Mamsell beschäftigt war, jetzt keine solche Stellung mehr bekommen könne, weil sie inzwischen in Berlin als Köchin gedient habe und nunmehr der „Respekt“ vor ihr fehle. Ein wesent- liches Moment ist auch das Gefühl der Rechtlosig- keit, das ihnen das einseitige Recht oder vielmehr Unrecht, dem sie bei uns unterstehen, und das drüben vollständig unbekannt ist, die Gesinde- ordnung gibt, ferner, last not least, die Sorge fürs Alter, oder richtiger gesagt, fürs Älterwerden.
Auch Dr. Conrad fand, daß bei uns vieles reformbedürftig sei. Die weitestgehende ihrer Forderungen war die der Abschaffung der Gesinde- ordnung und Unterstellung unter die Gewerbe- ordnung; aber sie modifiziert sie schließlich, indem sie sich mit der Abschaffung eines Teiles der 59 Ge- sindeordnungen zufrieden geben wollte. Außerdem schlug sie noch vor, den Mädchen die Anrede „Fräu- lein“ zu gewähren, die Stellenvermittlung zu ver- bessern und die Mädchen etwa fünfmal in der Woche nach 9 Uhr nicht mehr zu beschäftigen. Das ist zu wenig, als daß es gelingen sollte, dadurch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0092"n="88"/>
licher Freiheit, die völlige Besitzergreifung ihrer<lb/>
Person seitens der Dienstherrschaft unerträglich<lb/>
erscheinen läßt. Dazu tritt das soziale Stigma,<lb/>
das ihnen noch mehr als in der Neuen Welt an-<lb/>
haftet, – eine tüchtige Köchin berichtete mir kürz-<lb/>
lich, daß sie, die früher eine Reihe von Jahren auf<lb/>
Gütern als Mamsell beschäftigt war, jetzt keine<lb/>
solche Stellung mehr bekommen könne, weil sie<lb/>
inzwischen in Berlin als Köchin gedient habe und<lb/>
nunmehr der „Respekt“ vor ihr fehle. Ein wesent-<lb/>
liches Moment ist auch das Gefühl der Rechtlosig-<lb/>
keit, das ihnen das einseitige Recht oder vielmehr<lb/>
Unrecht, dem sie bei uns unterstehen, und das<lb/>
drüben vollständig unbekannt ist, die Gesinde-<lb/>
ordnung gibt, ferner, <hirendition="#aq">last not least</hi>, die Sorge fürs<lb/>
Alter, oder richtiger gesagt, fürs Älterwerden.</p><lb/><p>Auch Dr. Conrad fand, daß bei uns vieles<lb/>
reformbedürftig sei. Die weitestgehende ihrer<lb/>
Forderungen war die der Abschaffung der Gesinde-<lb/>
ordnung und Unterstellung unter die Gewerbe-<lb/>
ordnung; aber sie modifiziert sie schließlich, indem<lb/>
sie sich mit der Abschaffung eines Teiles der 59 Ge-<lb/>
sindeordnungen zufrieden geben wollte. Außerdem<lb/>
schlug sie noch vor, den Mädchen die Anrede „Fräu-<lb/>
lein“ zu gewähren, die Stellenvermittlung zu ver-<lb/>
bessern und die Mädchen etwa fünfmal in der<lb/>
Woche nach 9 Uhr nicht mehr zu beschäftigen. Das<lb/>
ist zu wenig, als daß es gelingen sollte, dadurch<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[88/0092]
licher Freiheit, die völlige Besitzergreifung ihrer
Person seitens der Dienstherrschaft unerträglich
erscheinen läßt. Dazu tritt das soziale Stigma,
das ihnen noch mehr als in der Neuen Welt an-
haftet, – eine tüchtige Köchin berichtete mir kürz-
lich, daß sie, die früher eine Reihe von Jahren auf
Gütern als Mamsell beschäftigt war, jetzt keine
solche Stellung mehr bekommen könne, weil sie
inzwischen in Berlin als Köchin gedient habe und
nunmehr der „Respekt“ vor ihr fehle. Ein wesent-
liches Moment ist auch das Gefühl der Rechtlosig-
keit, das ihnen das einseitige Recht oder vielmehr
Unrecht, dem sie bei uns unterstehen, und das
drüben vollständig unbekannt ist, die Gesinde-
ordnung gibt, ferner, last not least, die Sorge fürs
Alter, oder richtiger gesagt, fürs Älterwerden.
Auch Dr. Conrad fand, daß bei uns vieles
reformbedürftig sei. Die weitestgehende ihrer
Forderungen war die der Abschaffung der Gesinde-
ordnung und Unterstellung unter die Gewerbe-
ordnung; aber sie modifiziert sie schließlich, indem
sie sich mit der Abschaffung eines Teiles der 59 Ge-
sindeordnungen zufrieden geben wollte. Außerdem
schlug sie noch vor, den Mädchen die Anrede „Fräu-
lein“ zu gewähren, die Stellenvermittlung zu ver-
bessern und die Mädchen etwa fünfmal in der
Woche nach 9 Uhr nicht mehr zu beschäftigen. Das
ist zu wenig, als daß es gelingen sollte, dadurch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription.
(2020-12-07T10:34:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2020-12-07T10:34:09Z)
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: gekennzeichnet;
Druckfehler: gekennzeichnet;
fremdsprachliches Material: keine Angabe;
Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
i/j in Fraktur: keine Angabe;
Kolumnentitel: keine Angabe;
Kustoden: keine Angabe;
langes s (ſ): als s transkribiert;
Normalisierungen: keine Angabe;
rundes r (ꝛ): keine Angabe;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: wie Vorlage;
u/v bzw. U/V: keine Angabe;
Vokale mit übergest. e: keine Angabe;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/92>, abgerufen am 17.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.