überhaupt die Rede seyn kann, wo nicht irgend einmal ein Marien - oder Heiligenbild, der Knochen eines Esels oder der Leichnam eines Mönchs große Wunder gethan und viele Gläubige zu Wallfahr- ten angereitzt hätte. Es würde uns zu weit führen, die Betrügereien der Pfaffen ihren Wallfahrtsor- ten Zugang und Ansehen zu verschaffen, hier dar- stellen zu wollen; allein schändlich ist es, wenn selbst Regierungen nicht bloß dergleichen Unfug zulassen, sondern ihm noch recht kräftigen Vorschub thun, weil es doch Geld ins Land bringt. Verflucht sei der Gewinn jedes Volks, den es so unwürdigen Mitteln verdankt! Jede weise Regierung, die wirk- lich das Beste ihrer Unterthanen bezweckt, sollte nicht bloß das Pilgern nach ausländischen Wall- fahrtsorten verbieten, sondern auch im eigenen Lan- de alle Wallfahrtsorte aufheben; um dem Aber- glauben, der Liederlichkeit, dem Müssiggange und den Verbrechen ein Ziel zu setzen, die mancher Bö- sewicht durch seine Wallfahrt abzubüßen meint. Ferne sei es, der weltlichen Macht die Befugniß zu gestatten, sich um die Glaubens - und Gewissens- sachen ihrer Untergebenen zu kümmern; wenn aber die letztern durch Pfaffentrug und albernen Wahn verblendet zur Beruhigung ihrer Seele Mittel er- wählen, die nicht blos ihren irdischen Wohlstand zerrütten, sondern selbst ihre Sittlichkeit vernichten und sie zu nützlichen Bürgern unfähig machen müs-
uͤberhaupt die Rede ſeyn kann, wo nicht irgend einmal ein Marien - oder Heiligenbild, der Knochen eines Eſels oder der Leichnam eines Moͤnchs große Wunder gethan und viele Glaͤubige zu Wallfahr- ten angereitzt haͤtte. Es wuͤrde uns zu weit fuͤhren, die Betruͤgereien der Pfaffen ihren Wallfahrtsor- ten Zugang und Anſehen zu verſchaffen, hier dar- ſtellen zu wollen; allein ſchaͤndlich iſt es, wenn ſelbſt Regierungen nicht bloß dergleichen Unfug zulaſſen, ſondern ihm noch recht kraͤftigen Vorſchub thun, weil es doch Geld ins Land bringt. Verflucht ſei der Gewinn jedes Volks, den es ſo unwuͤrdigen Mitteln verdankt! Jede weiſe Regierung, die wirk- lich das Beſte ihrer Unterthanen bezweckt, ſollte nicht bloß das Pilgern nach auslaͤndiſchen Wall- fahrtsorten verbieten, ſondern auch im eigenen Lan- de alle Wallfahrtsorte aufheben; um dem Aber- glauben, der Liederlichkeit, dem Muͤſſiggange und den Verbrechen ein Ziel zu ſetzen, die mancher Boͤ- ſewicht durch ſeine Wallfahrt abzubuͤßen meint. Ferne ſei es, der weltlichen Macht die Befugniß zu geſtatten, ſich um die Glaubens - und Gewiſſens- ſachen ihrer Untergebenen zu kuͤmmern; wenn aber die letztern durch Pfaffentrug und albernen Wahn verblendet zur Beruhigung ihrer Seele Mittel er- waͤhlen, die nicht blos ihren irdiſchen Wohlſtand zerruͤtten, ſondern ſelbſt ihre Sittlichkeit vernichten und ſie zu nuͤtzlichen Buͤrgern unfaͤhig machen muͤſ-
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uͤberhaupt die Rede ſeyn kann, wo nicht irgend
einmal ein Marien - oder Heiligenbild, der Knochen
eines Eſels oder der Leichnam eines Moͤnchs große
Wunder gethan und viele Glaͤubige zu Wallfahr-
ten angereitzt haͤtte. Es wuͤrde uns zu weit fuͤhren,
die Betruͤgereien der Pfaffen ihren Wallfahrtsor-
ten Zugang und Anſehen zu verſchaffen, hier dar-
ſtellen zu wollen; allein ſchaͤndlich iſt es, wenn ſelbſt
Regierungen nicht bloß dergleichen Unfug zulaſſen,
ſondern ihm noch recht kraͤftigen Vorſchub thun,
weil es doch Geld ins Land bringt. Verflucht ſei
der Gewinn jedes Volks, den es ſo unwuͤrdigen
Mitteln verdankt! Jede weiſe Regierung, die wirk-
lich das Beſte ihrer Unterthanen bezweckt, ſollte
nicht bloß das Pilgern nach auslaͤndiſchen Wall-
fahrtsorten verbieten, ſondern auch im eigenen Lan-
de alle Wallfahrtsorte aufheben; um dem Aber-
glauben, der Liederlichkeit, dem Muͤſſiggange und
den Verbrechen ein Ziel zu ſetzen, die mancher Boͤ-
ſewicht durch ſeine Wallfahrt abzubuͤßen meint.
Ferne ſei es, der weltlichen Macht die Befugniß
zu geſtatten, ſich um die Glaubens - und Gewiſſens-
ſachen ihrer Untergebenen zu kuͤmmern; wenn aber
die letztern durch Pfaffentrug und albernen Wahn
verblendet zur Beruhigung ihrer Seele Mittel er-
waͤhlen, die nicht blos ihren irdiſchen Wohlſtand
zerruͤtten, ſondern ſelbſt ihre Sittlichkeit vernichten
und ſie zu nuͤtzlichen Buͤrgern unfaͤhig machen muͤſ-
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Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 3. Jerusalem [i. e. Aarau], 1823, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule03_1823/314>, abgerufen am 22.11.2024.
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