Der unglückliche Kandidat saß verzweifelnd da, wie ein armer Sünder, über den man so eben den Stab gebrochen hat. Er that noch ein paar kräftige Züge, seufzte, und warf darauf voll Un- muth den schönen porzellänenen Kopf auf den Bo- den, daß er in Stücke zersprang.
Ganz Recht, bester Freund, sagte der trösten- de Seelenhirt; ärgert dich deine Hand, so haue sie ab, und wirf sie von dir; ärgert dich deine Pfeife, so wirf sie entzwei.
Voll Wehmuth betrachtete der junge Mann Gottes die Trümmer seiner Lieblingspfeife! Der Kopf war ein Geschenk von Christinchen, der hol- den, mannbaren Küstertochter, die auf dem Wege der Gnade und in den Betstunden beim Pfarrer mit ihm bekannt geworden war. Sie selbst hatte dies Angebinde mit der geist- und sinnvollen Auf- schrift: "Wandle auf Rosen und Vergißmeinnicht," auf dem Jahrmarkte für ihn auserkiest, und mit einem zärtlichen Kuß in Ehren ihm überreicht. Was sollte er vorschützen, womit sich entschuldigen, ohne zu lügen, wenn Christinchen darnach fragte, und das geschahe gewiß, wenn sie ihn heute Abend nach der Betstunde, das heißt um eilf Uhr, ihrem Ver- sprechen gemäß, besuchte, da sie mit ihm ohnehin ein Wörtchen im Vertrauen über die Wirkungen der Gnade und über ihren Seelenzustand zu spre- chen hatte! Eine Thräne schimmerte in dem Auge
Der ungluͤckliche Kandidat ſaß verzweifelnd da, wie ein armer Suͤnder, uͤber den man ſo eben den Stab gebrochen hat. Er that noch ein paar kraͤftige Zuͤge, ſeufzte, und warf darauf voll Un- muth den ſchoͤnen porzellaͤnenen Kopf auf den Bo- den, daß er in Stuͤcke zerſprang.
Ganz Recht, beſter Freund, ſagte der troͤſten- de Seelenhirt; aͤrgert dich deine Hand, ſo haue ſie ab, und wirf ſie von dir; aͤrgert dich deine Pfeife, ſo wirf ſie entzwei.
Voll Wehmuth betrachtete der junge Mann Gottes die Truͤmmer ſeiner Lieblingspfeife! Der Kopf war ein Geſchenk von Chriſtinchen, der hol- den, mannbaren Kuͤſtertochter, die auf dem Wege der Gnade und in den Betſtunden beim Pfarrer mit ihm bekannt geworden war. Sie ſelbſt hatte dies Angebinde mit der geiſt- und ſinnvollen Auf- ſchrift: »Wandle auf Roſen und Vergißmeinnicht,« auf dem Jahrmarkte fuͤr ihn auserkiest, und mit einem zaͤrtlichen Kuß in Ehren ihm uͤberreicht. Was ſollte er vorſchuͤtzen, womit ſich entſchuldigen, ohne zu luͤgen, wenn Chriſtinchen darnach fragte, und das geſchahe gewiß, wenn ſie ihn heute Abend nach der Betſtunde, das heißt um eilf Uhr, ihrem Ver- ſprechen gemaͤß, beſuchte, da ſie mit ihm ohnehin ein Woͤrtchen im Vertrauen uͤber die Wirkungen der Gnade und uͤber ihren Seelenzuſtand zu ſpre- chen hatte! Eine Thraͤne ſchimmerte in dem Auge
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Der ungluͤckliche Kandidat ſaß verzweifelnd
da, wie ein armer Suͤnder, uͤber den man ſo eben
den Stab gebrochen hat. Er that noch ein paar
kraͤftige Zuͤge, ſeufzte, und warf darauf voll Un-
muth den ſchoͤnen porzellaͤnenen Kopf auf den Bo-
den, daß er in Stuͤcke zerſprang.
Ganz Recht, beſter Freund, ſagte der troͤſten-
de Seelenhirt; aͤrgert dich deine Hand, ſo haue ſie
ab, und wirf ſie von dir; aͤrgert dich deine Pfeife,
ſo wirf ſie entzwei.
Voll Wehmuth betrachtete der junge Mann
Gottes die Truͤmmer ſeiner Lieblingspfeife! Der
Kopf war ein Geſchenk von Chriſtinchen, der hol-
den, mannbaren Kuͤſtertochter, die auf dem Wege
der Gnade und in den Betſtunden beim Pfarrer
mit ihm bekannt geworden war. Sie ſelbſt hatte
dies Angebinde mit der geiſt- und ſinnvollen Auf-
ſchrift: »Wandle auf Roſen und Vergißmeinnicht,«
auf dem Jahrmarkte fuͤr ihn auserkiest, und mit
einem zaͤrtlichen Kuß in Ehren ihm uͤberreicht. Was
ſollte er vorſchuͤtzen, womit ſich entſchuldigen, ohne
zu luͤgen, wenn Chriſtinchen darnach fragte, und
das geſchahe gewiß, wenn ſie ihn heute Abend nach
der Betſtunde, das heißt um eilf Uhr, ihrem Ver-
ſprechen gemaͤß, beſuchte, da ſie mit ihm ohnehin
ein Woͤrtchen im Vertrauen uͤber die Wirkungen
der Gnade und uͤber ihren Seelenzuſtand zu ſpre-
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Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 3. Jerusalem [i. e. Aarau], 1823, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule03_1823/250>, abgerufen am 22.11.2024.
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