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Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 3. Jerusalem [i. e. Aarau], 1823.

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Die Censur, ursprünglich eine der saubern
Erfindungen der weißen Rabbiner, um den mensch-
lichen Geist in Fesseln zu erhalten, ist nachmals an
die Despoten übergegangen, als eine Schutzwehr
ihrer wurmstichigen und baufälligen Throne gegen
demagogische Angriffe und Ansichten. Manche übri-
gens freisinnige Männer haben es gewagt, die Cen-
sur zu vertheidigen, als ein Mittel der Verbreitung
unsittlicher und irreligiöser Schriften zu wehren.
Hätten die Büchercensuren keinen andern Zweck,
und auch nie einen andern gehabt, als das Er-
scheinen wirklich unsittlicher Werke, d. h. sol-
cher zu verhindern, in denen das Laster mit sehr
gefälligen und reitzenden Farben geschildert wird;
so möchte man vielleicht geneigt seyn, sie gelten zu
lassen. Nur müßte keinem engbrüstigen Censor es
erlaubt seyn, den Jnhalt eines Buchs zu durchstrei-
chen und unleserlich zu machen, weil ihm einige
Stellen darin anstößig waren; er müßte es unver-
letzt dem Verfasser zurückgeben, und diesem müßte
es frei stehen, sich an eine andere liberalere Behörde
zu wenden. Die Begriffe vom Sittlichen und Un-
sittlichen sind ja überdies so verschieden, daß einem
Censor darüber gar keine bestimmte Vorschriften
von der Behörde gegeben werden können; der
Schriftsteller ist folglich immer der guten oder übeln
Laune eines oft unwissenden, eigensinnigen und al-
bernen Menschen überlassen, der aus den schönsten

Blumen

Die Cenſur, urſpruͤnglich eine der ſaubern
Erfindungen der weißen Rabbiner, um den menſch-
lichen Geiſt in Feſſeln zu erhalten, iſt nachmals an
die Despoten uͤbergegangen, als eine Schutzwehr
ihrer wurmſtichigen und baufaͤlligen Throne gegen
demagogiſche Angriffe und Anſichten. Manche uͤbri-
gens freiſinnige Maͤnner haben es gewagt, die Cen-
ſur zu vertheidigen, als ein Mittel der Verbreitung
unſittlicher und irreligioͤſer Schriften zu wehren.
Haͤtten die Buͤchercenſuren keinen andern Zweck,
und auch nie einen andern gehabt, als das Er-
ſcheinen wirklich unſittlicher Werke, d. h. ſol-
cher zu verhindern, in denen das Laſter mit ſehr
gefaͤlligen und reitzenden Farben geſchildert wird;
ſo moͤchte man vielleicht geneigt ſeyn, ſie gelten zu
laſſen. Nur muͤßte keinem engbruͤſtigen Cenſor es
erlaubt ſeyn, den Jnhalt eines Buchs zu durchſtrei-
chen und unleſerlich zu machen, weil ihm einige
Stellen darin anſtoͤßig waren; er muͤßte es unver-
letzt dem Verfaſſer zuruͤckgeben, und dieſem muͤßte
es frei ſtehen, ſich an eine andere liberalere Behoͤrde
zu wenden. Die Begriffe vom Sittlichen und Un-
ſittlichen ſind ja uͤberdies ſo verſchieden, daß einem
Cenſor daruͤber gar keine beſtimmte Vorſchriften
von der Behoͤrde gegeben werden koͤnnen; der
Schriftſteller iſt folglich immer der guten oder uͤbeln
Laune eines oft unwiſſenden, eigenſinnigen und al-
bernen Menſchen uͤberlaſſen, der aus den ſchoͤnſten

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[208/0208] Die Cenſur, urſpruͤnglich eine der ſaubern Erfindungen der weißen Rabbiner, um den menſch- lichen Geiſt in Feſſeln zu erhalten, iſt nachmals an die Despoten uͤbergegangen, als eine Schutzwehr ihrer wurmſtichigen und baufaͤlligen Throne gegen demagogiſche Angriffe und Anſichten. Manche uͤbri- gens freiſinnige Maͤnner haben es gewagt, die Cen- ſur zu vertheidigen, als ein Mittel der Verbreitung unſittlicher und irreligioͤſer Schriften zu wehren. Haͤtten die Buͤchercenſuren keinen andern Zweck, und auch nie einen andern gehabt, als das Er- ſcheinen wirklich unſittlicher Werke, d. h. ſol- cher zu verhindern, in denen das Laſter mit ſehr gefaͤlligen und reitzenden Farben geſchildert wird; ſo moͤchte man vielleicht geneigt ſeyn, ſie gelten zu laſſen. Nur muͤßte keinem engbruͤſtigen Cenſor es erlaubt ſeyn, den Jnhalt eines Buchs zu durchſtrei- chen und unleſerlich zu machen, weil ihm einige Stellen darin anſtoͤßig waren; er muͤßte es unver- letzt dem Verfaſſer zuruͤckgeben, und dieſem muͤßte es frei ſtehen, ſich an eine andere liberalere Behoͤrde zu wenden. Die Begriffe vom Sittlichen und Un- ſittlichen ſind ja uͤberdies ſo verſchieden, daß einem Cenſor daruͤber gar keine beſtimmte Vorſchriften von der Behoͤrde gegeben werden koͤnnen; der Schriftſteller iſt folglich immer der guten oder uͤbeln Laune eines oft unwiſſenden, eigenſinnigen und al- bernen Menſchen uͤberlaſſen, der aus den ſchoͤnſten Blumen

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Zitationshilfe: Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 3. Jerusalem [i. e. Aarau], 1823, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule03_1823/208>, abgerufen am 04.05.2024.