die böse Nemesis, fürchten müsse. Was man von Leuten hört, die man hochachtet, und als einsichts- volle und rechtliche Menschen kennt, das glaubt man in der Regel, ohne weiter darüber zu grü- beln, ob sie sich nicht durch Vorurtheile und Leiden- schaften irre leiten lassen. Vor einem Jahre ward mir in Reutlingen der Judenspiegel nachgedruckt, gerade in dem Augenblick, als ich selbst eine dritte Auflage veranstalten wollte. Mir entstand dadurch ein in meinen Verhältnissen sehr fühlbarer Verlust, und ich wünschte in allem Ernst, daß dem Schelm vom Nachdrucker meine Seufzer und Thränen in seiner Sterbestunde, aber keinen Augenblick länger, wie glühende Kohlen auf der Seele bren- nen möchten. Mit der größten Erbitterung schimpfte und beklagte ich mich in der Neckar-Zeitung über das, mir vermeintlich geschehene Unrecht, und be- schloß ein Buch gegen den Nachdruck zu schreiben. Bei reiflicherm Nachdenken über diesen Gegenstand zeigten sich mir aber so viele wichtige und überwie- gende Gründe für den Nachdruck, daß ich, obgleich nach hartem Kampf mit mir selbst, meine Neigung zur Nache und meinen Eigennutz der bessern Ueber- zeugung aufopfern mußte. Wenn man geirrt und aus Jrrthum und Leidenschaft Andern Unrecht ge- than hat, so ist es nicht allein Pflicht, es zu be- reuen, man muß es suchen nach Möglichkeit zu vergüten. Jch bin Mensch, und schäme mich daher
die boͤſe Nemeſis, fuͤrchten muͤſſe. Was man von Leuten hoͤrt, die man hochachtet, und als einſichts- volle und rechtliche Menſchen kennt, das glaubt man in der Regel, ohne weiter daruͤber zu gruͤ- beln, ob ſie ſich nicht durch Vorurtheile und Leiden- ſchaften irre leiten laſſen. Vor einem Jahre ward mir in Reutlingen der Judenſpiegel nachgedruckt, gerade in dem Augenblick, als ich ſelbſt eine dritte Auflage veranſtalten wollte. Mir entſtand dadurch ein in meinen Verhaͤltniſſen ſehr fuͤhlbarer Verluſt, und ich wuͤnſchte in allem Ernſt, daß dem Schelm vom Nachdrucker meine Seufzer und Thraͤnen in ſeiner Sterbeſtunde, aber keinen Augenblick laͤnger, wie gluͤhende Kohlen auf der Seele bren- nen moͤchten. Mit der groͤßten Erbitterung ſchimpfte und beklagte ich mich in der Neckar-Zeitung uͤber das, mir vermeintlich geſchehene Unrecht, und be- ſchloß ein Buch gegen den Nachdruck zu ſchreiben. Bei reiflicherm Nachdenken uͤber dieſen Gegenſtand zeigten ſich mir aber ſo viele wichtige und uͤberwie- gende Gruͤnde fuͤr den Nachdruck, daß ich, obgleich nach hartem Kampf mit mir ſelbſt, meine Neigung zur Nache und meinen Eigennutz der beſſern Ueber- zeugung aufopfern mußte. Wenn man geirrt und aus Jrrthum und Leidenſchaft Andern Unrecht ge- than hat, ſo iſt es nicht allein Pflicht, es zu be- reuen, man muß es ſuchen nach Moͤglichkeit zu verguͤten. Jch bin Menſch, und ſchaͤme mich daher
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die boͤſe Nemeſis, fuͤrchten muͤſſe. Was man von
Leuten hoͤrt, die man hochachtet, und als einſichts-
volle und rechtliche Menſchen kennt, das glaubt
man in der Regel, ohne weiter daruͤber zu gruͤ-
beln, ob ſie ſich nicht durch Vorurtheile und Leiden-
ſchaften irre leiten laſſen. Vor einem Jahre ward
mir in Reutlingen der Judenſpiegel nachgedruckt,
gerade in dem Augenblick, als ich ſelbſt eine dritte
Auflage veranſtalten wollte. Mir entſtand dadurch
ein in meinen Verhaͤltniſſen ſehr fuͤhlbarer Verluſt,
und ich wuͤnſchte in allem Ernſt, daß dem Schelm
vom Nachdrucker meine Seufzer und Thraͤnen in
ſeiner Sterbeſtunde, aber keinen Augenblick
laͤnger, wie gluͤhende Kohlen auf der Seele bren-
nen moͤchten. Mit der groͤßten Erbitterung ſchimpfte
und beklagte ich mich in der Neckar-Zeitung uͤber
das, mir vermeintlich geſchehene Unrecht, und be-
ſchloß ein Buch gegen den Nachdruck zu ſchreiben.
Bei reiflicherm Nachdenken uͤber dieſen Gegenſtand
zeigten ſich mir aber ſo viele wichtige und uͤberwie-
gende Gruͤnde fuͤr den Nachdruck, daß ich, obgleich
nach hartem Kampf mit mir ſelbſt, meine Neigung
zur Nache und meinen Eigennutz der beſſern Ueber-
zeugung aufopfern mußte. Wenn man geirrt und
aus Jrrthum und Leidenſchaft Andern Unrecht ge-
than hat, ſo iſt es nicht allein Pflicht, es zu be-
reuen, man muß es ſuchen nach Moͤglichkeit zu
verguͤten. Jch bin Menſch, und ſchaͤme mich daher
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Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 3. Jerusalem [i. e. Aarau], 1823, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule03_1823/117>, abgerufen am 23.11.2024.
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