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Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 1. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822.

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Despotismus eines Caligula und Nero. Dieser
tödtet nur den Körper; jener tödtet zugleich Körper
und Geist. Einen Caligula kann man erdolchen;
ein Nero erdolcht sich selbst; aber wer vermag es
einen reichen, mächtigen, durch den Aberglauben
eines Volkes geheiligten Priesterorden von vielen
Tausenden bei Seite zu schaffen? Oder wie sollte
es möglich seyn, daß eine solche Pfaffenkaste jemals
selbst Hand an sich legte, um die Menschheit von
sich zu befreien?

Vor der babylonischen Gefangenschaft hatten die
Juden keine Synagogen und Schulen. Jhre ganze
Gottesverehrung beschränkte sich auf den bloßen
Tempeldienst. Anstalten zum öffentlichen Unterrich-
te fehlten ganz, woferne man nicht etwa die Pro-
phetenschulen hieher rechnen will, in welcher aber
nur Leviten oder Priester gebildet, und besonders
im Traumdeuten, im Weissagen und Wahrsagen
unterrichtet wurden. Nach der Rückkehr aus der
babylonischen Gefangenschaft stiftete man Synago-
gen und Schulen, in denen Vorlesungen aus den
Büchern des alten Testaments gehalten wurden,
die dann jeder Levit mit willkührlichen Erklärungen
und Zusätzen vermehrte. Diese Leviten, welche un-
ter dem ganzen Volke zerstreuet wohnten, erfanden
immer mehr Satzungen und Vorschriften, für deren
Uebertretungen neue Opfer gebracht werden muß-
ten, die sie mit ihren Weibern und Kindern ver-
zehrten. Eitele Fabeln und Mährchen, weit un-

Despotismus eines Caligula und Nero. Dieſer
toͤdtet nur den Koͤrper; jener toͤdtet zugleich Koͤrper
und Geiſt. Einen Caligula kann man erdolchen;
ein Nero erdolcht ſich ſelbſt; aber wer vermag es
einen reichen, maͤchtigen, durch den Aberglauben
eines Volkes geheiligten Prieſterorden von vielen
Tauſenden bei Seite zu ſchaffen? Oder wie ſollte
es moͤglich ſeyn, daß eine ſolche Pfaffenkaſte jemals
ſelbſt Hand an ſich legte, um die Menſchheit von
ſich zu befreien?

Vor der babyloniſchen Gefangenſchaft hatten die
Juden keine Synagogen und Schulen. Jhre ganze
Gottesverehrung beſchraͤnkte ſich auf den bloßen
Tempeldienſt. Anſtalten zum oͤffentlichen Unterrich-
te fehlten ganz, woferne man nicht etwa die Pro-
phetenſchulen hieher rechnen will, in welcher aber
nur Leviten oder Prieſter gebildet, und beſonders
im Traumdeuten, im Weiſſagen und Wahrſagen
unterrichtet wurden. Nach der Ruͤckkehr aus der
babyloniſchen Gefangenſchaft ſtiftete man Synago-
gen und Schulen, in denen Vorleſungen aus den
Buͤchern des alten Teſtaments gehalten wurden,
die dann jeder Levit mit willkuͤhrlichen Erklaͤrungen
und Zuſaͤtzen vermehrte. Dieſe Leviten, welche un-
ter dem ganzen Volke zerſtreuet wohnten, erfanden
immer mehr Satzungen und Vorſchriften, fuͤr deren
Uebertretungen neue Opfer gebracht werden muß-
ten, die ſie mit ihren Weibern und Kindern ver-
zehrten. Eitele Fabeln und Maͤhrchen, weit un-

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[51/0085] Despotismus eines Caligula und Nero. Dieſer toͤdtet nur den Koͤrper; jener toͤdtet zugleich Koͤrper und Geiſt. Einen Caligula kann man erdolchen; ein Nero erdolcht ſich ſelbſt; aber wer vermag es einen reichen, maͤchtigen, durch den Aberglauben eines Volkes geheiligten Prieſterorden von vielen Tauſenden bei Seite zu ſchaffen? Oder wie ſollte es moͤglich ſeyn, daß eine ſolche Pfaffenkaſte jemals ſelbſt Hand an ſich legte, um die Menſchheit von ſich zu befreien? Vor der babyloniſchen Gefangenſchaft hatten die Juden keine Synagogen und Schulen. Jhre ganze Gottesverehrung beſchraͤnkte ſich auf den bloßen Tempeldienſt. Anſtalten zum oͤffentlichen Unterrich- te fehlten ganz, woferne man nicht etwa die Pro- phetenſchulen hieher rechnen will, in welcher aber nur Leviten oder Prieſter gebildet, und beſonders im Traumdeuten, im Weiſſagen und Wahrſagen unterrichtet wurden. Nach der Ruͤckkehr aus der babyloniſchen Gefangenſchaft ſtiftete man Synago- gen und Schulen, in denen Vorleſungen aus den Buͤchern des alten Teſtaments gehalten wurden, die dann jeder Levit mit willkuͤhrlichen Erklaͤrungen und Zuſaͤtzen vermehrte. Dieſe Leviten, welche un- ter dem ganzen Volke zerſtreuet wohnten, erfanden immer mehr Satzungen und Vorſchriften, fuͤr deren Uebertretungen neue Opfer gebracht werden muß- ten, die ſie mit ihren Weibern und Kindern ver- zehrten. Eitele Fabeln und Maͤhrchen, weit un-

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Zitationshilfe: Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 1. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule01_1822/85>, abgerufen am 23.11.2024.