Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 1. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822.

Bild:
<< vorherige Seite

stolz *) nie in lächerlichen Hochmuth, in ungerechte
Verachtung oder gar in religiöse Unduldsamkeit ge-

*) Der Nationalstolz äußert sich freilich oft auf eine
sonderbare Weise. Mancher weiß von seinem Va-
terlande nichts weiter zu rühmen, als daß es viele
Erdäpfeln, schöne Pferde und große Ochsen hat.
So hörte ich einmal, wie ein Graf von B --, ein
Däne aus einem, in diplomatischer Rücksicht sehr
berühmten Geschlecht, eine ganze Tischgesellsaft un-
aufhörlich von den fetten Gänsen seines Vaterlan-
des unterhielt. -- Jm Preußischen, wo ungeachtet
der ruhmvollen Bemühungen der Regierung, in
manchen Gegenden die Schafzucht weit besser, als
die Kinderzucht gedeiht, fragte einmal ein Land-
schulmeister, ein invalider Husar, seine Zöglinge:
"Sagt mir, Jhr Kinder, was für ein Landsmann
war unser Herr Christus?" Die Kinder stutzten.
"Gottlose Buben, hab' ich's Euch nicht tausendmal
gesagt? Ein Preu" ""Een Preiße!"" schnarrten
die Jungen schluchzend. "Ganz recht, ein Preuße!"
rief jetzt der Lehrer, und strich sich mit selbstgefäl-
ligem Schmunzeln den Schnurrbart. Manchem ächt
preußischen Patrioten möchte dieser Schulmonarch,
der das Preußenthum seineu Zöglingen so meister-
haft einzuprägen verstand, nicht übel gefallen ha-
ben; der Pfarrer aber, ein sehr würdiger Mann,
erzählte mir mit Thränen selbst dies Geschichtchen,
von dessen Wahrheit ich daher völlig überzeugt bin.
Die Einwohner von Forchheim, in Franken, lassen
es sich nicht abstreiten, daß Pontius Pilatus in ih-
rem Städtchen oder dessen Umgebung geboren sey.--
Jn einem Gasthofe Norddeutschlands hörte ich ein-

ſtolz *) nie in laͤcherlichen Hochmuth, in ungerechte
Verachtung oder gar in religioͤſe Unduldſamkeit ge-

*) Der Nationalſtolz aͤußert ſich freilich oft auf eine
ſonderbare Weiſe. Mancher weiß von ſeinem Va-
terlande nichts weiter zu ruͤhmen, als daß es viele
Erdaͤpfeln, ſchoͤne Pferde und große Ochſen hat.
So hoͤrte ich einmal, wie ein Graf von B —, ein
Daͤne aus einem, in diplomatiſcher Ruͤckſicht ſehr
beruͤhmten Geſchlecht, eine ganze Tiſchgeſellſaft un-
aufhoͤrlich von den fetten Gaͤnſen ſeines Vaterlan-
des unterhielt. — Jm Preußiſchen, wo ungeachtet
der ruhmvollen Bemuͤhungen der Regierung, in
manchen Gegenden die Schafzucht weit beſſer, als
die Kinderzucht gedeiht, fragte einmal ein Land-
ſchulmeiſter, ein invalider Huſar, ſeine Zoͤglinge:
„Sagt mir, Jhr Kinder, was fuͤr ein Landsmann
war unſer Herr Chriſtus?‟ Die Kinder ſtutzten.
„Gottloſe Buben, hab’ ich’s Euch nicht tauſendmal
geſagt? Ein Preu‟ „„Een Preiße!‟‟ ſchnarrten
die Jungen ſchluchzend. „Ganz recht, ein Preuße!‟
rief jetzt der Lehrer, und ſtrich ſich mit ſelbſtgefaͤl-
ligem Schmunzeln den Schnurrbart. Manchem aͤcht
preußiſchen Patrioten moͤchte dieſer Schulmonarch,
der das Preußenthum ſeineu Zoͤglingen ſo meiſter-
haft einzupraͤgen verſtand, nicht uͤbel gefallen ha-
ben; der Pfarrer aber, ein ſehr wuͤrdiger Mann,
erzaͤhlte mir mit Thraͤnen ſelbſt dies Geſchichtchen,
von deſſen Wahrheit ich daher voͤllig uͤberzeugt bin.
Die Einwohner von Forchheim, in Franken, laſſen
es ſich nicht abſtreiten, daß Pontius Pilatus in ih-
rem Staͤdtchen oder deſſen Umgebung geboren ſey.—
Jn einem Gaſthofe Norddeutſchlands hoͤrte ich ein-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0055" n="21"/>
&#x017F;tolz <note xml:id="seg2pn_5_1" next="#seg2pn_5_2" place="foot" n="*)">Der National&#x017F;tolz a&#x0364;ußert &#x017F;ich freilich oft auf eine<lb/>
&#x017F;onderbare Wei&#x017F;e. Mancher weiß von &#x017F;einem Va-<lb/>
terlande nichts weiter zu ru&#x0364;hmen, als daß es viele<lb/>
Erda&#x0364;pfeln, &#x017F;cho&#x0364;ne Pferde und große Och&#x017F;en hat.<lb/>
So ho&#x0364;rte ich einmal, wie ein Graf von B &#x2014;, ein<lb/>
Da&#x0364;ne aus einem, in diplomati&#x017F;cher Ru&#x0364;ck&#x017F;icht &#x017F;ehr<lb/>
beru&#x0364;hmten Ge&#x017F;chlecht, eine ganze Ti&#x017F;chge&#x017F;ell&#x017F;aft un-<lb/>
aufho&#x0364;rlich von den fetten Ga&#x0364;n&#x017F;en &#x017F;eines Vaterlan-<lb/>
des unterhielt. &#x2014; Jm Preußi&#x017F;chen, wo ungeachtet<lb/>
der ruhmvollen Bemu&#x0364;hungen der Regierung, in<lb/>
manchen Gegenden die Schafzucht weit be&#x017F;&#x017F;er, als<lb/>
die Kinderzucht gedeiht, fragte einmal ein Land-<lb/>
&#x017F;chulmei&#x017F;ter, ein invalider Hu&#x017F;ar, &#x017F;eine Zo&#x0364;glinge:<lb/>
&#x201E;Sagt mir, Jhr Kinder, was fu&#x0364;r ein Landsmann<lb/>
war un&#x017F;er Herr Chri&#x017F;tus?&#x201F; Die Kinder &#x017F;tutzten.<lb/>
&#x201E;Gottlo&#x017F;e Buben, hab&#x2019; ich&#x2019;s Euch nicht tau&#x017F;endmal<lb/>
ge&#x017F;agt? Ein Preu&#x201F; &#x201E;&#x201E;Een Preiße!&#x201F;&#x201F; &#x017F;chnarrten<lb/>
die Jungen &#x017F;chluchzend. &#x201E;Ganz recht, ein Preuße!&#x201F;<lb/>
rief jetzt der Lehrer, und &#x017F;trich &#x017F;ich mit &#x017F;elb&#x017F;tgefa&#x0364;l-<lb/>
ligem Schmunzeln den Schnurrbart. Manchem a&#x0364;cht<lb/>
preußi&#x017F;chen Patrioten mo&#x0364;chte die&#x017F;er Schulmonarch,<lb/>
der das Preußenthum &#x017F;eineu Zo&#x0364;glingen &#x017F;o mei&#x017F;ter-<lb/>
haft einzupra&#x0364;gen ver&#x017F;tand, nicht u&#x0364;bel gefallen ha-<lb/>
ben; der Pfarrer aber, ein &#x017F;ehr wu&#x0364;rdiger Mann,<lb/>
erza&#x0364;hlte mir mit Thra&#x0364;nen &#x017F;elb&#x017F;t dies Ge&#x017F;chichtchen,<lb/>
von de&#x017F;&#x017F;en Wahrheit ich daher vo&#x0364;llig u&#x0364;berzeugt bin.<lb/>
Die Einwohner von Forchheim, in Franken, la&#x017F;&#x017F;en<lb/>
es &#x017F;ich nicht ab&#x017F;treiten, daß Pontius Pilatus in ih-<lb/>
rem Sta&#x0364;dtchen oder de&#x017F;&#x017F;en Umgebung geboren &#x017F;ey.&#x2014;<lb/>
Jn einem Ga&#x017F;thofe Norddeut&#x017F;chlands ho&#x0364;rte ich ein-</note> nie in la&#x0364;cherlichen Hochmuth, in ungerechte<lb/>
Verachtung oder gar in religio&#x0364;&#x017F;e Unduld&#x017F;amkeit ge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0055] ſtolz *) nie in laͤcherlichen Hochmuth, in ungerechte Verachtung oder gar in religioͤſe Unduldſamkeit ge- *) Der Nationalſtolz aͤußert ſich freilich oft auf eine ſonderbare Weiſe. Mancher weiß von ſeinem Va- terlande nichts weiter zu ruͤhmen, als daß es viele Erdaͤpfeln, ſchoͤne Pferde und große Ochſen hat. So hoͤrte ich einmal, wie ein Graf von B —, ein Daͤne aus einem, in diplomatiſcher Ruͤckſicht ſehr beruͤhmten Geſchlecht, eine ganze Tiſchgeſellſaft un- aufhoͤrlich von den fetten Gaͤnſen ſeines Vaterlan- des unterhielt. — Jm Preußiſchen, wo ungeachtet der ruhmvollen Bemuͤhungen der Regierung, in manchen Gegenden die Schafzucht weit beſſer, als die Kinderzucht gedeiht, fragte einmal ein Land- ſchulmeiſter, ein invalider Huſar, ſeine Zoͤglinge: „Sagt mir, Jhr Kinder, was fuͤr ein Landsmann war unſer Herr Chriſtus?‟ Die Kinder ſtutzten. „Gottloſe Buben, hab’ ich’s Euch nicht tauſendmal geſagt? Ein Preu‟ „„Een Preiße!‟‟ ſchnarrten die Jungen ſchluchzend. „Ganz recht, ein Preuße!‟ rief jetzt der Lehrer, und ſtrich ſich mit ſelbſtgefaͤl- ligem Schmunzeln den Schnurrbart. Manchem aͤcht preußiſchen Patrioten moͤchte dieſer Schulmonarch, der das Preußenthum ſeineu Zoͤglingen ſo meiſter- haft einzupraͤgen verſtand, nicht uͤbel gefallen ha- ben; der Pfarrer aber, ein ſehr wuͤrdiger Mann, erzaͤhlte mir mit Thraͤnen ſelbſt dies Geſchichtchen, von deſſen Wahrheit ich daher voͤllig uͤberzeugt bin. Die Einwohner von Forchheim, in Franken, laſſen es ſich nicht abſtreiten, daß Pontius Pilatus in ih- rem Staͤdtchen oder deſſen Umgebung geboren ſey.— Jn einem Gaſthofe Norddeutſchlands hoͤrte ich ein-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule01_1822/55
Zitationshilfe: Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 1. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule01_1822/55>, abgerufen am 22.11.2024.