Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 1. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822.

Bild:
<< vorherige Seite

ten und Tausenden, wie mit Einheiten
spielen? Und wenn wir erst in der Ge-
schichte eines Stammvaters das Schick-
sal seines Geschlechts, wie es sich Jahr-
hunderte hinab allmählig fort entwickelt
hat, schon anticipirt finden, und er zu
befehlen und zu weissagen scheint, wozu
erst Zeit und individuelle Lage dasselbe
bestimmen konnten: dann staunen wir,
und denken selten, daß es Zeitbedürfniß
war, an Einen Namen anzuketten, was
sich irgend an ihn hängen ließ, nur um
dem Gedächtniß seine Lasten zu erleich-
tern, nicht um zu lügen und die Nachwelt
zu betrügen
*). So urtheilt ein geistreicher,
tief in Geschichte und Sprache der Vorwelt einge-
weihter Mann, und gehen wir von diesen vernünf-
tigen Grundsätzen aus, so wird uns Manches, was
uns sehr wunderbar und abentheuerlich dünkt, äus-
serst einfach und natürlich erscheinen. Uebrigens
hatte, wie Eichhorn und andere große Männer be-
wiesen haben, das alte Testament das traurige
Schicksal der meisten Bucher des neuen. Es ward
durch fremde spätere Zusätze und Weglassungen von
den Juden häufig entstellt. Unter dem Vorwande,
veraltete und unverständliche Worte mit zeitgemäs-
sern und verständlichern zu vertauschen, schob man
oft einen ganz andern, von dem ursprünglichen
wesentlich verschiedenen Jnhalt in den Grundtext,
und im Laufe der Zeit schlichen sich auch die Rand-
glossen der Abschreiber mit hinein. Auf solche Weise
kam viel Wundervolles, Unglaubliches und Alber-
nes in diese heiligen Bücher, von dem sie früher
gar nichts enthielten. Daß dies kein leeres Vor-
geben jener Männer sey, zeigt die große Verschie-

*) M. s. Eichhorns Einleitung in das alte Testament,
2te Aufl. Leipzig 1787. Theil 2. S. 259.

ten und Tauſenden, wie mit Einheiten
ſpielen? Und wenn wir erſt in der Ge-
ſchichte eines Stammvaters das Schick-
ſal ſeines Geſchlechts, wie es ſich Jahr-
hunderte hinab allmaͤhlig fort entwickelt
hat, ſchon anticipirt finden, und er zu
befehlen und zu weiſſagen ſcheint, wozu
erſt Zeit und individuelle Lage daſſelbe
beſtimmen konnten: dann ſtaunen wir,
und denken ſelten, daß es Zeitbeduͤrfniß
war, an Einen Namen anzuketten, was
ſich irgend an ihn haͤngen ließ, nur um
dem Gedaͤchtniß ſeine Laſten zu erleich-
tern, nicht um zu luͤgen und die Nachwelt
zu betruͤgen
*). So urtheilt ein geiſtreicher,
tief in Geſchichte und Sprache der Vorwelt einge-
weihter Mann, und gehen wir von dieſen vernuͤnf-
tigen Grundſaͤtzen aus, ſo wird uns Manches, was
uns ſehr wunderbar und abentheuerlich duͤnkt, aͤuſ-
ſerſt einfach und natuͤrlich erſcheinen. Uebrigens
hatte, wie Eichhorn und andere große Maͤnner be-
wieſen haben, das alte Teſtament das traurige
Schickſal der meiſten Bucher des neuen. Es ward
durch fremde ſpaͤtere Zuſaͤtze und Weglaſſungen von
den Juden haͤufig entſtellt. Unter dem Vorwande,
veraltete und unverſtaͤndliche Worte mit zeitgemaͤſ-
ſern und verſtaͤndlichern zu vertauſchen, ſchob man
oft einen ganz andern, von dem urſpruͤnglichen
weſentlich verſchiedenen Jnhalt in den Grundtext,
und im Laufe der Zeit ſchlichen ſich auch die Rand-
gloſſen der Abſchreiber mit hinein. Auf ſolche Weiſe
kam viel Wundervolles, Unglaubliches und Alber-
nes in dieſe heiligen Buͤcher, von dem ſie fruͤher
gar nichts enthielten. Daß dies kein leeres Vor-
geben jener Maͤnner ſey, zeigt die große Verſchie-

*) M. ſ. Eichhorns Einleitung in das alte Teſtament,
2te Aufl. Leipzig 1787. Theil 2. S. 259.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0359" n="325"/>
ten und Tau&#x017F;enden, wie mit Einheiten<lb/>
&#x017F;pielen? Und wenn wir er&#x017F;t in der Ge-<lb/>
&#x017F;chichte eines Stammvaters das Schick-<lb/>
&#x017F;al &#x017F;eines Ge&#x017F;chlechts, wie es &#x017F;ich Jahr-<lb/>
hunderte hinab allma&#x0364;hlig fort entwickelt<lb/>
hat, &#x017F;chon anticipirt finden, und er zu<lb/>
befehlen und zu wei&#x017F;&#x017F;agen &#x017F;cheint, wozu<lb/>
er&#x017F;t Zeit und individuelle Lage da&#x017F;&#x017F;elbe<lb/>
be&#x017F;timmen konnten: dann &#x017F;taunen wir,<lb/>
und denken &#x017F;elten, daß es Zeitbedu&#x0364;rfniß<lb/>
war, an Einen Namen anzuketten, was<lb/>
&#x017F;ich irgend an ihn ha&#x0364;ngen ließ, nur um<lb/>
dem Geda&#x0364;chtniß &#x017F;eine La&#x017F;ten zu erleich-<lb/>
tern, nicht um zu lu&#x0364;gen und die Nachwelt<lb/>
zu betru&#x0364;gen</hi><note place="foot" n="*)">M. &#x017F;. Eichhorns Einleitung in das alte Te&#x017F;tament,<lb/>
2te Aufl. Leipzig 1787. Theil 2. S. 259.</note>. So urtheilt ein gei&#x017F;treicher,<lb/>
tief in Ge&#x017F;chichte und Sprache der Vorwelt einge-<lb/>
weihter Mann, und gehen wir von die&#x017F;en vernu&#x0364;nf-<lb/>
tigen Grund&#x017F;a&#x0364;tzen aus, &#x017F;o wird uns Manches, was<lb/>
uns &#x017F;ehr wunderbar und abentheuerlich du&#x0364;nkt, a&#x0364;u&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er&#x017F;t einfach und natu&#x0364;rlich er&#x017F;cheinen. Uebrigens<lb/>
hatte, wie Eichhorn und andere große Ma&#x0364;nner be-<lb/>
wie&#x017F;en haben, das alte Te&#x017F;tament das traurige<lb/>
Schick&#x017F;al der mei&#x017F;ten Bucher des neuen. Es ward<lb/>
durch fremde &#x017F;pa&#x0364;tere Zu&#x017F;a&#x0364;tze und Wegla&#x017F;&#x017F;ungen von<lb/>
den Juden ha&#x0364;ufig ent&#x017F;tellt. Unter dem Vorwande,<lb/>
veraltete und unver&#x017F;ta&#x0364;ndliche Worte mit zeitgema&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ern und ver&#x017F;ta&#x0364;ndlichern zu vertau&#x017F;chen, &#x017F;chob man<lb/>
oft einen ganz andern, von dem ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen<lb/>
we&#x017F;entlich ver&#x017F;chiedenen Jnhalt in den Grundtext,<lb/>
und im Laufe der Zeit &#x017F;chlichen &#x017F;ich auch die Rand-<lb/>
glo&#x017F;&#x017F;en der Ab&#x017F;chreiber mit hinein. Auf &#x017F;olche Wei&#x017F;e<lb/>
kam viel Wundervolles, Unglaubliches und Alber-<lb/>
nes in die&#x017F;e heiligen Bu&#x0364;cher, von dem &#x017F;ie fru&#x0364;her<lb/>
gar nichts enthielten. Daß dies kein leeres Vor-<lb/>
geben jener Ma&#x0364;nner &#x017F;ey, zeigt die große Ver&#x017F;chie-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[325/0359] ten und Tauſenden, wie mit Einheiten ſpielen? Und wenn wir erſt in der Ge- ſchichte eines Stammvaters das Schick- ſal ſeines Geſchlechts, wie es ſich Jahr- hunderte hinab allmaͤhlig fort entwickelt hat, ſchon anticipirt finden, und er zu befehlen und zu weiſſagen ſcheint, wozu erſt Zeit und individuelle Lage daſſelbe beſtimmen konnten: dann ſtaunen wir, und denken ſelten, daß es Zeitbeduͤrfniß war, an Einen Namen anzuketten, was ſich irgend an ihn haͤngen ließ, nur um dem Gedaͤchtniß ſeine Laſten zu erleich- tern, nicht um zu luͤgen und die Nachwelt zu betruͤgen *). So urtheilt ein geiſtreicher, tief in Geſchichte und Sprache der Vorwelt einge- weihter Mann, und gehen wir von dieſen vernuͤnf- tigen Grundſaͤtzen aus, ſo wird uns Manches, was uns ſehr wunderbar und abentheuerlich duͤnkt, aͤuſ- ſerſt einfach und natuͤrlich erſcheinen. Uebrigens hatte, wie Eichhorn und andere große Maͤnner be- wieſen haben, das alte Teſtament das traurige Schickſal der meiſten Bucher des neuen. Es ward durch fremde ſpaͤtere Zuſaͤtze und Weglaſſungen von den Juden haͤufig entſtellt. Unter dem Vorwande, veraltete und unverſtaͤndliche Worte mit zeitgemaͤſ- ſern und verſtaͤndlichern zu vertauſchen, ſchob man oft einen ganz andern, von dem urſpruͤnglichen weſentlich verſchiedenen Jnhalt in den Grundtext, und im Laufe der Zeit ſchlichen ſich auch die Rand- gloſſen der Abſchreiber mit hinein. Auf ſolche Weiſe kam viel Wundervolles, Unglaubliches und Alber- nes in dieſe heiligen Buͤcher, von dem ſie fruͤher gar nichts enthielten. Daß dies kein leeres Vor- geben jener Maͤnner ſey, zeigt die große Verſchie- *) M. ſ. Eichhorns Einleitung in das alte Teſtament, 2te Aufl. Leipzig 1787. Theil 2. S. 259.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule01_1822/359
Zitationshilfe: Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 1. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule01_1822/359>, abgerufen am 22.11.2024.