ein paar hundert Städte, Flecken und Dörfer mehr vorkommen, als in dem Lände enthalten sind, und auch in dem Nekrolog einige Dutzend Todte auf- geführt werden, die sich noch unter den Lebendigen befinden; so schadet dies beiden Büchern durchaus nichts; denn Werke der Art können nie zu voll- ständig seyn.
Die in dem ersten Buch Mosis enthaltenen Nachrichten von dem hohen Alter der Urväter des Menschengeschlechts, die Vielen unglaublich und wunderbar dünken, dürfen uns gar nicht befremden. Wir haben durch mancherlei künstliche und zweck- mäßige Mittel das Leben in einen sehr kurzen, ge- drängten Auszug gebracht, der sich gegen die Le- benszeit jener Urväter gerade so verhält, wie Luthers kleiner Katechismus gegen die Bibel, oder wie das Dichtergenie eines August Kuhn (Aaron Kohn) gegen das Genie eines Schiller, Göthe, Müllner oder Byron. Wie sehr haben sich nicht die Men- schen seit vierzig Jahren geändert! Unsere Knaben, wenn sie das A B C noch nicht wissen, tragen schon Brillen. Jm sechsten Jahr bekommen sie Hämorr- hoiden, im siebenten das Podagra; im achten wer- den sie hypochondrisch; im neunten reden sie von weiblichen Geheimnissen und Ehestandssachen klüger und erfahrner, wie Albertus Magnus; im zehnten sind sie sterblich verliebt; im eilften wollen sie hei- rathen. Kaum sind sie zu Gottes Tische gewesen, so werden sie Herr Doktor, und wollen wie Karl
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ein paar hundert Staͤdte, Flecken und Doͤrfer mehr vorkommen, als in dem Laͤnde enthalten ſind, und auch in dem Nekrolog einige Dutzend Todte auf- gefuͤhrt werden, die ſich noch unter den Lebendigen befinden; ſo ſchadet dies beiden Buͤchern durchaus nichts; denn Werke der Art koͤnnen nie zu voll- ſtaͤndig ſeyn.
Die in dem erſten Buch Moſis enthaltenen Nachrichten von dem hohen Alter der Urvaͤter des Menſchengeſchlechts, die Vielen unglaublich und wunderbar duͤnken, duͤrfen uns gar nicht befremden. Wir haben durch mancherlei kuͤnſtliche und zweck- maͤßige Mittel das Leben in einen ſehr kurzen, ge- draͤngten Auszug gebracht, der ſich gegen die Le- benszeit jener Urvaͤter gerade ſo verhaͤlt, wie Luthers kleiner Katechismus gegen die Bibel, oder wie das Dichtergenie eines Auguſt Kuhn (Aaron Kohn) gegen das Genie eines Schiller, Goͤthe, Muͤllner oder Byron. Wie ſehr haben ſich nicht die Men- ſchen ſeit vierzig Jahren geaͤndert! Unſere Knaben, wenn ſie das A B C noch nicht wiſſen, tragen ſchon Brillen. Jm ſechsten Jahr bekommen ſie Haͤmorr- hoiden, im ſiebenten das Podagra; im achten wer- den ſie hypochondriſch; im neunten reden ſie von weiblichen Geheimniſſen und Eheſtandsſachen kluͤger und erfahrner, wie Albertus Magnus; im zehnten ſind ſie ſterblich verliebt; im eilften wollen ſie hei- rathen. Kaum ſind ſie zu Gottes Tiſche geweſen, ſo werden ſie Herr Doktor, und wollen wie Karl
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ein paar hundert Staͤdte, Flecken und Doͤrfer mehr
vorkommen, als in dem Laͤnde enthalten ſind, und
auch in dem Nekrolog einige Dutzend Todte auf-
gefuͤhrt werden, die ſich noch unter den Lebendigen
befinden; ſo ſchadet dies beiden Buͤchern durchaus
nichts; denn Werke der Art koͤnnen nie zu voll-
ſtaͤndig ſeyn.
Die in dem erſten Buch Moſis enthaltenen
Nachrichten von dem hohen Alter der Urvaͤter des
Menſchengeſchlechts, die Vielen unglaublich und
wunderbar duͤnken, duͤrfen uns gar nicht befremden.
Wir haben durch mancherlei kuͤnſtliche und zweck-
maͤßige Mittel das Leben in einen ſehr kurzen, ge-
draͤngten Auszug gebracht, der ſich gegen die Le-
benszeit jener Urvaͤter gerade ſo verhaͤlt, wie Luthers
kleiner Katechismus gegen die Bibel, oder wie das
Dichtergenie eines Auguſt Kuhn (Aaron Kohn)
gegen das Genie eines Schiller, Goͤthe, Muͤllner
oder Byron. Wie ſehr haben ſich nicht die Men-
ſchen ſeit vierzig Jahren geaͤndert! Unſere Knaben,
wenn ſie das A B C noch nicht wiſſen, tragen ſchon
Brillen. Jm ſechsten Jahr bekommen ſie Haͤmorr-
hoiden, im ſiebenten das Podagra; im achten wer-
den ſie hypochondriſch; im neunten reden ſie von
weiblichen Geheimniſſen und Eheſtandsſachen kluͤger
und erfahrner, wie Albertus Magnus; im zehnten
ſind ſie ſterblich verliebt; im eilften wollen ſie hei-
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ſo werden ſie Herr Doktor, und wollen wie Karl
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Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 1. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule01_1822/357>, abgerufen am 22.11.2024.
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