than hatte. Wenige Tage nachher erhob sich ein Zank zwischen dem Weibe des Frommen und der Mutter des todten Mädchens unter der Schilfdecke, und das Weib des Horchers sprach zu der letztern: Komm mit mir, ich will dir deine Tochter zeigen, die unter einer Decke von Schilf begraben ist. Als nun im folgenden Jahr der fromme Mann des Nachts wieder zu dem Grabe der beiden Verstorbe- nen schlich, hörte er eine zur andern sagen: Komm, meine Gesellin, laß uns in der Welt umher laufen, und hinter dem Vorhange Gottes lauschen, um zu hören, welches Uebel die Menschen in diesem Jahre betreffen wird. Ach, meine Gesellin, antwortete die Todte unter dem Schilf, laß mich in Ruhe. Was zwischen uns geredet worden, ist schon allen Lebenden auf Erden bekannt *)."
"Die Seele kömmt nicht eher in das Paradies zu dem heiligen, hochgelobten Gott, sie kann auch nicht eher in einen andern Leib wandern, bevor nicht der erste Leib begraben ist. Bis dahin sucht der unreine Geist den Leichnam zu besudeln, wel- ches der armen Seele die größten Schmerzen ver- ursacht. Darum muß man die Leiche vor Einbruch der Nacht beerdigen, denn der unreine Geist, der Teufel, verbreitet sich zur Nachtzeit über die ganze Erde, um einen Leib ohne Seele zu finden, dessen er sich dann als Abtritt bedient **)."
*) M. s. im Talmud das Buch Berachoth.
**) M. s. im Talmud das Buch Sohar, Parascha Emor.
than hatte. Wenige Tage nachher erhob ſich ein Zank zwiſchen dem Weibe des Frommen und der Mutter des todten Maͤdchens unter der Schilfdecke, und das Weib des Horchers ſprach zu der letztern: Komm mit mir, ich will dir deine Tochter zeigen, die unter einer Decke von Schilf begraben iſt. Als nun im folgenden Jahr der fromme Mann des Nachts wieder zu dem Grabe der beiden Verſtorbe- nen ſchlich, hoͤrte er eine zur andern ſagen: Komm, meine Geſellin, laß uns in der Welt umher laufen, und hinter dem Vorhange Gottes lauſchen, um zu hoͤren, welches Uebel die Menſchen in dieſem Jahre betreffen wird. Ach, meine Geſellin, antwortete die Todte unter dem Schilf, laß mich in Ruhe. Was zwiſchen uns geredet worden, iſt ſchon allen Lebenden auf Erden bekannt *).«
»Die Seele koͤmmt nicht eher in das Paradies zu dem heiligen, hochgelobten Gott, ſie kann auch nicht eher in einen andern Leib wandern, bevor nicht der erſte Leib begraben iſt. Bis dahin ſucht der unreine Geiſt den Leichnam zu beſudeln, wel- ches der armen Seele die groͤßten Schmerzen ver- urſacht. Darum muß man die Leiche vor Einbruch der Nacht beerdigen, denn der unreine Geiſt, der Teufel, verbreitet ſich zur Nachtzeit uͤber die ganze Erde, um einen Leib ohne Seele zu finden, deſſen er ſich dann als Abtritt bedient **).«
*) M. ſ. im Talmud das Buch Berachoth.
**) M. ſ. im Talmud das Buch Sohar, Paraſcha Emor.
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than hatte. Wenige Tage nachher erhob ſich ein
Zank zwiſchen dem Weibe des Frommen und der
Mutter des todten Maͤdchens unter der Schilfdecke,
und das Weib des Horchers ſprach zu der letztern:
Komm mit mir, ich will dir deine Tochter zeigen,
die unter einer Decke von Schilf begraben iſt. Als
nun im folgenden Jahr der fromme Mann des
Nachts wieder zu dem Grabe der beiden Verſtorbe-
nen ſchlich, hoͤrte er eine zur andern ſagen: Komm,
meine Geſellin, laß uns in der Welt umher laufen,
und hinter dem Vorhange Gottes lauſchen, um zu
hoͤren, welches Uebel die Menſchen in dieſem Jahre
betreffen wird. Ach, meine Geſellin, antwortete
die Todte unter dem Schilf, laß mich in Ruhe.
Was zwiſchen uns geredet worden, iſt ſchon allen
Lebenden auf Erden bekannt *).«
»Die Seele koͤmmt nicht eher in das Paradies
zu dem heiligen, hochgelobten Gott, ſie kann auch
nicht eher in einen andern Leib wandern, bevor
nicht der erſte Leib begraben iſt. Bis dahin ſucht
der unreine Geiſt den Leichnam zu beſudeln, wel-
ches der armen Seele die groͤßten Schmerzen ver-
urſacht. Darum muß man die Leiche vor Einbruch
der Nacht beerdigen, denn der unreine Geiſt, der
Teufel, verbreitet ſich zur Nachtzeit uͤber die ganze
Erde, um einen Leib ohne Seele zu finden, deſſen
er ſich dann als Abtritt bedient **).«
*) M. ſ. im Talmud das Buch Berachoth.
**) M. ſ. im Talmud das Buch Sohar, Paraſcha Emor.
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Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 1. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule01_1822/225>, abgerufen am 24.11.2024.
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