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Humboldt, Alexander von: Ueber zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen. In: Jahrbuch für 1837. Herausgegeben von H. C. Schumacher. Stuttgart und Tübingen, 1837, S. 176-206.

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Besteigung des Chimborazo.
und erinnerte in der Ferne fast an Masten- und
Baumstämme. Die steilen Mauern führten uns, durch
die Schneeregion, zu einem gegen den Gipfel gerich-
teten schmalen Grath, einem Felskamm, der es uns
allein möglich machte, vorzudringen, denn der Schnee
war damals so weich, dass man fast nicht wagen
konnte, seine Oberfläche zu betreten. Der Kamm
bestand aus sehr verwittertem bröckligen Gestein.
Es war oft zellig, wie ein basaltartiger Mandelstein.

Der Pfad wurde immer schmaler und steiler. Die
Eingebornen verliessen uns alle bis auf einen in der
Höhe von 15600 Fuss. Alle Bitten und Drohungen
waren vergeblich. Die Indianer behaupteten von Athem-
losigkeit mehr als wir zu leiden. Wir blieben allein,
Bonpland, unser liebenswürdiger Freund, der jün-
gere Sohn des Marques de Selvalegre, Carlos Mon-
tufar
, der in dem späteren Freiheitskampfe (auf
General Morillo's Befehl) erschossen wurde, ein Me-
stize aus dem nahen Dorfe San Juan und ich. Wir
gelangten mit grosser Anstrengung und Geduld höher
als wir hoffen durften, da wir meist ganz in Nebel
gehüllt waren. Der Kamm (im Spanischen sehr be-
deutsam Cuchilla, gleichsam Messerrücken genannt)
hatte oft nur die Breite von acht bis zehn Zoll;
zur Linken war der Absturz mit Schnee bedeckt,
dessen Oberfläche durch Frost wie verglaset erschien.
Die dünneisige Spiegelfläche hatte gegen 30° Neigung.
Zur Rechten senkte sich unser Blick schaurig in einen
achthundert oder tausend Fuss tiefen Abgrund, aus
dem schneelose Felsmassen senkrecht hervorragten.
Wir hielten den Körper immer mehr nach die-
ser Seite hin geneigt, denn der Absturz zur linken
schien noch gefahrdrohender, weil sich dort keine

Besteigung des Chimborazo.
und erinnerte in der Ferne fast an Masten- und
Baumstämme. Die steilen Mauern führten uns, durch
die Schneeregion, zu einem gegen den Gipfel gerich-
teten schmalen Grath, einem Felskamm, der es uns
allein möglich machte, vorzudringen, denn der Schnee
war damals so weich, dass man fast nicht wagen
konnte, seine Oberfläche zu betreten. Der Kamm
bestand aus sehr verwittertem bröckligen Gestein.
Es war oft zellig, wie ein basaltartiger Mandelstein.

Der Pfad wurde immer schmaler und steiler. Die
Eingebornen verliessen uns alle bis auf einen in der
Höhe von 15600 Fuss. Alle Bitten und Drohungen
waren vergeblich. Die Indianer behaupteten von Athem-
losigkeit mehr als wir zu leiden. Wir blieben allein,
Bonpland, unser liebenswürdiger Freund, der jün-
gere Sohn des Marquès de Selvalegre, Carlos Mon-
tufar
, der in dem späteren Freiheitskampfe (auf
General Morillo's Befehl) erschossen wurde, ein Me-
stize aus dem nahen Dorfe San Juan und ich. Wir
gelangten mit grosser Anstrengung und Geduld höher
als wir hoffen durften, da wir meist ganz in Nebel
gehüllt waren. Der Kamm (im Spanischen sehr be-
deutsam Cuchilla, gleichsam Messerrücken genannt)
hatte oft nur die Breite von acht bis zehn Zoll;
zur Linken war der Absturz mit Schnee bedeckt,
dessen Oberfläche durch Frost wie verglaset erschien.
Die dünneisige Spiegelfläche hatte gegen 30° Neigung.
Zur Rechten senkte sich unser Blick schaurig in einen
achthundert oder tausend Fuss tiefen Abgrund, aus
dem schneelose Felsmassen senkrecht hervorragten.
Wir hielten den Körper immer mehr nach die-
ser Seite hin geneigt, denn der Absturz zur linken
schien noch gefahrdrohender, weil sich dort keine

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[188/0015] Besteigung des Chimborazo. und erinnerte in der Ferne fast an Masten- und Baumstämme. Die steilen Mauern führten uns, durch die Schneeregion, zu einem gegen den Gipfel gerich- teten schmalen Grath, einem Felskamm, der es uns allein möglich machte, vorzudringen, denn der Schnee war damals so weich, dass man fast nicht wagen konnte, seine Oberfläche zu betreten. Der Kamm bestand aus sehr verwittertem bröckligen Gestein. Es war oft zellig, wie ein basaltartiger Mandelstein. Der Pfad wurde immer schmaler und steiler. Die Eingebornen verliessen uns alle bis auf einen in der Höhe von 15600 Fuss. Alle Bitten und Drohungen waren vergeblich. Die Indianer behaupteten von Athem- losigkeit mehr als wir zu leiden. Wir blieben allein, Bonpland, unser liebenswürdiger Freund, der jün- gere Sohn des Marquès de Selvalegre, Carlos Mon- tufar, der in dem späteren Freiheitskampfe (auf General Morillo's Befehl) erschossen wurde, ein Me- stize aus dem nahen Dorfe San Juan und ich. Wir gelangten mit grosser Anstrengung und Geduld höher als wir hoffen durften, da wir meist ganz in Nebel gehüllt waren. Der Kamm (im Spanischen sehr be- deutsam Cuchilla, gleichsam Messerrücken genannt) hatte oft nur die Breite von acht bis zehn Zoll; zur Linken war der Absturz mit Schnee bedeckt, dessen Oberfläche durch Frost wie verglaset erschien. Die dünneisige Spiegelfläche hatte gegen 30° Neigung. Zur Rechten senkte sich unser Blick schaurig in einen achthundert oder tausend Fuss tiefen Abgrund, aus dem schneelose Felsmassen senkrecht hervorragten. Wir hielten den Körper immer mehr nach die- ser Seite hin geneigt, denn der Absturz zur linken schien noch gefahrdrohender, weil sich dort keine

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ueber zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen. In: Jahrbuch für 1837. Herausgegeben von H. C. Schumacher. Stuttgart und Tübingen, 1837, S. 176-206, hier S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_versuche_1837/15>, abgerufen am 25.04.2024.