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Humboldt, Alexander von: Über die Haupt-Ursachen der Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper. In: Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Aus dem Jahre 1827. Berlin, 1830, S. 295-316.

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dritte Hauptgrund des milderen Klima's von Europa liegt darin, daß dieser
Welttheil sich weniger weit gegen den Nordpol erstreckt als Amerika und
Asien, ja daß er dem größten Busen eisfreien Meerwassers gegenüberliegt,
den man in der ganzen Polarzone kennt. Die kältesten Punkte der Erde,
neuerlichst uneigentlich Kälte-Pole genannt, fallen nicht wie der sonst so
scharfsinnige Brewster in der englischen Bearbeitung meiner Abhandlung
von den isothermen Linien zu beweisen gesucht hat, mit den magnetischen
Polen zusammen. Das Minimum der mittleren jährlichen Temperatur der
Erdoberfläche liegt, nach Capitain Sabine's Untersuchungen, im Nordwesten
von Melville's-Inseln, im Meridian der Behrings-Straße, wahrscheinlich in
82 bis 83 Grad Breite. Die Sommergrenze des Eises, welche zwischen Spitz-
bergen
und Ostgrönland sich bis zum 80 und 81sten Grade zurückzieht, findet
sich überall zwischen Nova-Zembla, den Knochen-Inseln von Neu-Sibirien
und dem westlichsten Amerikanischen Eiscap, schon im 75sten Grade der
Breite. Selbst die Wintergrenze des Eises, die Linie auf welcher die Eisdecke
sich unserm Welttheil am meisten nähert, umgiebt kaum die Bären-Insel.
Vom Scandinavischen Nordcap, welches ein südwestlicher Meeresstrohm er-
wärmt, ist die Fahrt zum südlichsten Vorgebirge von Spitzbergen selbst im
strengsten Winter nicht unterbrochen. Das Polareis vermindert sich überall,
wo es frei abfließen kann, wie in der Baffins-Bay und zwischen Island und
Spitzbergen. Die Lage des Atlantischen Oceans hat den wohlthätigsten Ein-
fluß auf die Existenz jenes, für das Klima von Nord-Europa so wichtigen,
Eis-freien Meerwassers in dem Meridian von Ostgrönland und Spitzbergen.

Dagegen häufen sich im Sommer die, aus der Baffins-Bay und Barrows-
Straße
südlich getriebenen Eisberge in dem großen Mittelmeere an, welches
die Geographen mit dem Namen der Hudsons-Bay bezeichnen. Diese An-
häufung vermehrt so sehr die Kälte in dem benachbarten Continent, daß
man in der Factorei York und bei der Mündung des Hayes-Flusses, nach
Capitain Franklin's neuesten handschriftlichen Berichten, in einer Breite
mit Nord-Preußen und Curland, am Ende des August und im Anfange des
September, beim Brunnengraben, in 4 Fuß Tiefe, überall Eis findet. Die
nördlichsten und südlichsten Grenzen des festen Polar-Eises, das heißt die
Sommer- und Wintergrenzen, von deren Lage die Temperatur der nördlichen
Continental-Massen abhängt, scheint in den historischen Zeiten, wie gründ-
lichere Untersuchungen endlich gelehrt haben, wenig verändert worden zu

dritte Hauptgrund des milderen Klima's von Europa liegt darin, daß dieser
Welttheil sich weniger weit gegen den Nordpol erstreckt als Amerika und
Asien, ja daß er dem größten Busen eisfreien Meerwassers gegenüberliegt,
den man in der ganzen Polarzone kennt. Die kältesten Punkte der Erde,
neuerlichst uneigentlich Kälte-Pole genannt, fallen nicht wie der sonst so
scharfsinnige Brewster in der englischen Bearbeitung meiner Abhandlung
von den isothermen Linien zu beweisen gesucht hat, mit den magnetischen
Polen zusammen. Das Minimum der mittleren jährlichen Temperatur der
Erdoberfläche liegt, nach Capitain Sabine's Untersuchungen, im Nordwesten
von Melville's-Inseln, im Meridian der Behrings-Straße, wahrscheinlich in
82 bis 83 Grad Breite. Die Sommergrenze des Eises, welche zwischen Spitz-
bergen
und Ostgrönland sich bis zum 80 und 81sten Grade zurückzieht, findet
sich überall zwischen Nova-Zembla, den Knochen-Inseln von Neu-Sibirien
und dem westlichsten Amerikanischen Eiscap, schon im 75sten Grade der
Breite. Selbst die Wintergrenze des Eises, die Linie auf welcher die Eisdecke
sich unserm Welttheil am meisten nähert, umgiebt kaum die Bären-Insel.
Vom Scandinavischen Nordcap, welches ein südwestlicher Meeresstrohm er-
wärmt, ist die Fahrt zum südlichsten Vorgebirge von Spitzbergen selbst im
strengsten Winter nicht unterbrochen. Das Polareis vermindert sich überall,
wo es frei abfließen kann, wie in der Baffins-Bay und zwischen Island und
Spitzbergen. Die Lage des Atlantischen Oceans hat den wohlthätigsten Ein-
fluß auf die Existenz jenes, für das Klima von Nord-Europa so wichtigen,
Eis-freien Meerwassers in dem Meridian von Ostgrönland und Spitzbergen.

Dagegen häufen sich im Sommer die, aus der Baffins-Bay und Barrows-
Straße
südlich getriebenen Eisberge in dem großen Mittelmeere an, welches
die Geographen mit dem Namen der Hudsons-Bay bezeichnen. Diese An-
häufung vermehrt so sehr die Kälte in dem benachbarten Continent, daß
man in der Factorei York und bei der Mündung des Hayes-Flusses, nach
Capitain Franklin's neuesten handschriftlichen Berichten, in einer Breite
mit Nord-Preußen und Curland, am Ende des August und im Anfange des
September, beim Brunnengraben, in 4 Fuß Tiefe, überall Eis findet. Die
nördlichsten und südlichsten Grenzen des festen Polar-Eises, das heißt die
Sommer- und Wintergrenzen, von deren Lage die Temperatur der nördlichen
Continental-Massen abhängt, scheint in den historischen Zeiten, wie gründ-
lichere Untersuchungen endlich gelehrt haben, wenig verändert worden zu

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[312/0019] A. v. Humboldt dritte Hauptgrund des milderen Klima's von Europa liegt darin, daß dieser Welttheil sich weniger weit gegen den Nordpol erstreckt als Amerika und Asien, ja daß er dem größten Busen eisfreien Meerwassers gegenüberliegt, den man in der ganzen Polarzone kennt. Die kältesten Punkte der Erde, neuerlichst uneigentlich Kälte-Pole genannt, fallen nicht wie der sonst so scharfsinnige Brewster in der englischen Bearbeitung meiner Abhandlung von den isothermen Linien zu beweisen gesucht hat, mit den magnetischen Polen zusammen. Das Minimum der mittleren jährlichen Temperatur der Erdoberfläche liegt, nach Capitain Sabine's Untersuchungen, im Nordwesten von Melville's-Inseln, im Meridian der Behrings-Straße, wahrscheinlich in 82 bis 83 Grad Breite. Die Sommergrenze des Eises, welche zwischen Spitz- bergen und Ostgrönland sich bis zum 80 und 81sten Grade zurückzieht, findet sich überall zwischen Nova-Zembla, den Knochen-Inseln von Neu-Sibirien und dem westlichsten Amerikanischen Eiscap, schon im 75sten Grade der Breite. Selbst die Wintergrenze des Eises, die Linie auf welcher die Eisdecke sich unserm Welttheil am meisten nähert, umgiebt kaum die Bären-Insel. Vom Scandinavischen Nordcap, welches ein südwestlicher Meeresstrohm er- wärmt, ist die Fahrt zum südlichsten Vorgebirge von Spitzbergen selbst im strengsten Winter nicht unterbrochen. Das Polareis vermindert sich überall, wo es frei abfließen kann, wie in der Baffins-Bay und zwischen Island und Spitzbergen. Die Lage des Atlantischen Oceans hat den wohlthätigsten Ein- fluß auf die Existenz jenes, für das Klima von Nord-Europa so wichtigen, Eis-freien Meerwassers in dem Meridian von Ostgrönland und Spitzbergen. Dagegen häufen sich im Sommer die, aus der Baffins-Bay und Barrows- Straße südlich getriebenen Eisberge in dem großen Mittelmeere an, welches die Geographen mit dem Namen der Hudsons-Bay bezeichnen. Diese An- häufung vermehrt so sehr die Kälte in dem benachbarten Continent, daß man in der Factorei York und bei der Mündung des Hayes-Flusses, nach Capitain Franklin's neuesten handschriftlichen Berichten, in einer Breite mit Nord-Preußen und Curland, am Ende des August und im Anfange des September, beim Brunnengraben, in 4 Fuß Tiefe, überall Eis findet. Die nördlichsten und südlichsten Grenzen des festen Polar-Eises, das heißt die Sommer- und Wintergrenzen, von deren Lage die Temperatur der nördlichen Continental-Massen abhängt, scheint in den historischen Zeiten, wie gründ- lichere Untersuchungen endlich gelehrt haben, wenig verändert worden zu

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Über die Haupt-Ursachen der Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper. In: Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Aus dem Jahre 1827. Berlin, 1830, S. 295-316, hier S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_ursachen_1830/19>, abgerufen am 29.03.2024.