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Humboldt, Alexander von: Über die Haupt-Ursachen der Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper. In: Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Aus dem Jahre 1827. Berlin, 1830, S. 295-316.

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So lange Beobachtungen über magnetische Inclination, Declination
und Intensität der Kräfte in den Reiseberichten zerstreut lagen und man
dieselben noch nicht durch magnetische Linien vereinigt hatte, konnte die
Lehre von der Vertheilung des Erdmagnetismus keine bedeutende Fort-
schritte machen. Auf diese Analogie gestützt, hat man angefangen, durch
sorgfältige Benutzung vereinzelter Thatsachen, die verwickelte Lehre von der
Verbreitung der Wärme zu vereinfachen. Orte, die eine gleiche mittlere
Wärme des Jahres, des Sommers oder des Winters haben, sind durch Curven
miteinander verbunden worden. So ist das von mir im Jahr 1817 entwickelte
System isothermer Linien(1) entstanden, welche die Parallel-Kreise un-
ter anderen Winkeln als die isochimonen und isotheren Linien durchkreu-
zen. Sie steigen gegen den Äquator herab, weil man im östlichen Asien
und im östlichen Theile von Nord-Amerika, auf gleichen Höhen über dem
Meeresspiegel, in einer südlicheren Breite die Temperatur suchen muß,
welche in unserem mittleren Europa, weiter gegen Norden hinauf, gefunden
wird. Der merkwürdige Umstand, daß die höchste Kultur des Völkerstam-
mes, zu dem wir gehören, sich unter fast gleichen Breiten in der gemäßigten
Zone an zwei entgegengesetzten Küsten, der östlichen des neuen Continents
und der westlichen des alten angesiedelt hat, mußte auf die Ungleichheit der
Wärme unter denselben Parallel-Kreisen früh aufmerksam machen. Man
fragte, um wie viel Thermometergrade der alte Continent wärmer, als der
neue sei, und erkannte erst spät, daß die isothermen Linien von der Breite
von Florida bis zu der von Labrador hin nicht mit einander parallel laufen,
daß die östlichen und westlichen Küsten von Nord-Amerika fast so verschie-
den, als die von West-Europa und Ost-Asien sind. Gestalt und Gliederung
der Continental-Massen und ihr Verhältniß zu den nahen Meeren, bestimmen
vorzüglich die Inflexion der isothermen Linien, die Richtung der gleich war-
men Zonen, in welche man sich den ganzen Erdball getheilt vorstellen kann.
Das Vorherrschen der Westwinde in den gemäßigten und kalten Himmels-
strichen begründet den Unterschied der Klimate an den Ost- und Westküsten
ein und desselben Continents. Die westlichen Winde, welche man als Gegen-
wirkungen der tropischen Passatwinde betrachtet, gelangen zu einer östlichen
Küste, wenn sie im Winter den vorliegenden, mit Schnee und Eis bedeckten

(1) De la distribution de la chaleur sur le globe in Mem. de la Soc. d'Arcueil T. III.

So lange Beobachtungen über magnetische Inclination, Declination
und Intensität der Kräfte in den Reiseberichten zerstreut lagen und man
dieselben noch nicht durch magnetische Linien vereinigt hatte, konnte die
Lehre von der Vertheilung des Erdmagnetismus keine bedeutende Fort-
schritte machen. Auf diese Analogie gestützt, hat man angefangen, durch
sorgfältige Benutzung vereinzelter Thatsachen, die verwickelte Lehre von der
Verbreitung der Wärme zu vereinfachen. Orte, die eine gleiche mittlere
Wärme des Jahres, des Sommers oder des Winters haben, sind durch Curven
miteinander verbunden worden. So ist das von mir im Jahr 1817 entwickelte
System isothermer Linien(1) entstanden, welche die Parallel-Kreise un-
ter anderen Winkeln als die isochimonen und isotheren Linien durchkreu-
zen. Sie steigen gegen den Äquator herab, weil man im östlichen Asien
und im östlichen Theile von Nord-Amerika, auf gleichen Höhen über dem
Meeresspiegel, in einer südlicheren Breite die Temperatur suchen muß,
welche in unserem mittleren Europa, weiter gegen Norden hinauf, gefunden
wird. Der merkwürdige Umstand, daß die höchste Kultur des Völkerstam-
mes, zu dem wir gehören, sich unter fast gleichen Breiten in der gemäßigten
Zone an zwei entgegengesetzten Küsten, der östlichen des neuen Continents
und der westlichen des alten angesiedelt hat, mußte auf die Ungleichheit der
Wärme unter denselben Parallel-Kreisen früh aufmerksam machen. Man
fragte, um wie viel Thermometergrade der alte Continent wärmer, als der
neue sei, und erkannte erst spät, daß die isothermen Linien von der Breite
von Florida bis zu der von Labrador hin nicht mit einander parallel laufen,
daß die östlichen und westlichen Küsten von Nord-Amerika fast so verschie-
den, als die von West-Europa und Ost-Asien sind. Gestalt und Gliederung
der Continental-Massen und ihr Verhältniß zu den nahen Meeren, bestimmen
vorzüglich die Inflexion der isothermen Linien, die Richtung der gleich war-
men Zonen, in welche man sich den ganzen Erdball getheilt vorstellen kann.
Das Vorherrschen der Westwinde in den gemäßigten und kalten Himmels-
strichen begründet den Unterschied der Klimate an den Ost- und Westküsten
ein und desselben Continents. Die westlichen Winde, welche man als Gegen-
wirkungen der tropischen Passatwinde betrachtet, gelangen zu einer östlichen
Küste, wenn sie im Winter den vorliegenden, mit Schnee und Eis bedeckten

(1) De la distribution de la chaleur sur le globe in Mem. de la Soc. d'Arcueil T. III.
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[310/0017] A. v. Humboldt So lange Beobachtungen über magnetische Inclination, Declination und Intensität der Kräfte in den Reiseberichten zerstreut lagen und man dieselben noch nicht durch magnetische Linien vereinigt hatte, konnte die Lehre von der Vertheilung des Erdmagnetismus keine bedeutende Fort- schritte machen. Auf diese Analogie gestützt, hat man angefangen, durch sorgfältige Benutzung vereinzelter Thatsachen, die verwickelte Lehre von der Verbreitung der Wärme zu vereinfachen. Orte, die eine gleiche mittlere Wärme des Jahres, des Sommers oder des Winters haben, sind durch Curven miteinander verbunden worden. So ist das von mir im Jahr 1817 entwickelte System isothermer Linien (1) entstanden, welche die Parallel-Kreise un- ter anderen Winkeln als die isochimonen und isotheren Linien durchkreu- zen. Sie steigen gegen den Äquator herab, weil man im östlichen Asien und im östlichen Theile von Nord-Amerika, auf gleichen Höhen über dem Meeresspiegel, in einer südlicheren Breite die Temperatur suchen muß, welche in unserem mittleren Europa, weiter gegen Norden hinauf, gefunden wird. Der merkwürdige Umstand, daß die höchste Kultur des Völkerstam- mes, zu dem wir gehören, sich unter fast gleichen Breiten in der gemäßigten Zone an zwei entgegengesetzten Küsten, der östlichen des neuen Continents und der westlichen des alten angesiedelt hat, mußte auf die Ungleichheit der Wärme unter denselben Parallel-Kreisen früh aufmerksam machen. Man fragte, um wie viel Thermometergrade der alte Continent wärmer, als der neue sei, und erkannte erst spät, daß die isothermen Linien von der Breite von Florida bis zu der von Labrador hin nicht mit einander parallel laufen, daß die östlichen und westlichen Küsten von Nord-Amerika fast so verschie- den, als die von West-Europa und Ost-Asien sind. Gestalt und Gliederung der Continental-Massen und ihr Verhältniß zu den nahen Meeren, bestimmen vorzüglich die Inflexion der isothermen Linien, die Richtung der gleich war- men Zonen, in welche man sich den ganzen Erdball getheilt vorstellen kann. Das Vorherrschen der Westwinde in den gemäßigten und kalten Himmels- strichen begründet den Unterschied der Klimate an den Ost- und Westküsten ein und desselben Continents. Die westlichen Winde, welche man als Gegen- wirkungen der tropischen Passatwinde betrachtet, gelangen zu einer östlichen Küste, wenn sie im Winter den vorliegenden, mit Schnee und Eis bedeckten (1) De la distribution de la chaleur sur le globe in Mem. de la Soc. d'Arcueil T. III.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Über die Haupt-Ursachen der Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper. In: Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Aus dem Jahre 1827. Berlin, 1830, S. 295-316, hier S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_ursachen_1830/17>, abgerufen am 23.04.2024.