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Humboldt, Alexander von: Ueber die Anwendung des Galvanischen Reizmittels auf die praktische Heilkunde. Ein Schreiben des Hrn. Obergerbraths von Humboldt an den Herausgeber. In: Journal für die Chirurgie, Geburtshülfe und gerichtliche Arzneykunde, Bd. 1 (1797), S. 447-471.

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bey Anlegung der wirksamsten Metalle. Kaum aber
wurden die Cruralnerven durch schwache elektrische Schlä-
ge gereitzt, so waren deutliche Muskelcontractionen her-
vorgerufen Auch die Schenkel der Vespa crabro, der
Blatta orientalis, des Cerambyx cerdo und anderer
Jnsekten, zeigten denselben Unterschied in der Empfäng-
lichkeit für den Galvanischen und elektrischen Stimulus. --
Unter diesen Verhältnissen kann der Metallreitz wol nicht
als ein untrügliches Prüfungsmittel des wahren Todes
betrachtet werden! Es verkündigt den Untergang der Er-
regbarkeit schon dann, wenn dieselbe noch wirklich vor-
handen ist.

Mein zweyter und dritter Einwurf ist von der Un-
abhängigkeit der Organe von einander hergenommen.
Man entblößt einen oder einige Nerven des Cadavers.
Jst man gewiß, daß, wenn der Metallreitz auf diese
nicht wirkt, denn auch wirklich der allgemeine Tod
der Jrritabilität eingetreten sey? nicht blos hypotheti-
sche Sätze, und physiologische Möglichkeiten sprechen dage-
gen, sondern wirkliche Erfahrungen. Jch habe im Som-
mer 1793 einen Frosch secirt, welcher mit voller Muskel-
kraft im Zimmer umherhüpfte. Jn den abgelößten Hin-
terschenkeln waren die Nerven von schönem gebänderten An-
sehen. Aber selbst in den ersten Secunden brachten die
wirksamsten Metalle auch nicht eine Spur von Contra-
ctionen hervor. Die vorderen Extremitäten waren er-
regbar für den Galvanischen Reitz. Selten hatte mich

bey Anlegung der wirkſamſten Metalle. Kaum aber
wurden die Cruralnerven durch ſchwache elektriſche Schlaͤ-
ge gereitzt, ſo waren deutliche Muſkelcontractionen her-
vorgerufen Auch die Schenkel der Veſpa crabro, der
Blatta orientalis, des Cerambyx cerdo und anderer
Jnſekten, zeigten denſelben Unterſchied in der Empfaͤng-
lichkeit fuͤr den Galvaniſchen und elektriſchen Stimulus. —
Unter dieſen Verhaͤltniſſen kann der Metallreitz wol nicht
als ein untruͤgliches Pruͤfungsmittel des wahren Todes
betrachtet werden! Es verkuͤndigt den Untergang der Er-
regbarkeit ſchon dann, wenn dieſelbe noch wirklich vor-
handen iſt.

Mein zweyter und dritter Einwurf iſt von der Un-
abhaͤngigkeit der Organe von einander hergenommen.
Man entbloͤßt einen oder einige Nerven des Cadavers.
Jſt man gewiß, daß, wenn der Metallreitz auf dieſe
nicht wirkt, denn auch wirklich der allgemeine Tod
der Jrritabilitaͤt eingetreten ſey? nicht blos hypotheti-
ſche Saͤtze, und phyſiologiſche Moͤglichkeiten ſprechen dage-
gen, ſondern wirkliche Erfahrungen. Jch habe im Som-
mer 1793 einen Froſch ſecirt, welcher mit voller Muſkel-
kraft im Zimmer umherhuͤpfte. Jn den abgeloͤßten Hin-
terſchenkeln waren die Nerven von ſchoͤnem gebaͤnderten An-
ſehen. Aber ſelbſt in den erſten Secunden brachten die
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[454/0009] bey Anlegung der wirkſamſten Metalle. Kaum aber wurden die Cruralnerven durch ſchwache elektriſche Schlaͤ- ge gereitzt, ſo waren deutliche Muſkelcontractionen her- vorgerufen Auch die Schenkel der Veſpa crabro, der Blatta orientalis, des Cerambyx cerdo und anderer Jnſekten, zeigten denſelben Unterſchied in der Empfaͤng- lichkeit fuͤr den Galvaniſchen und elektriſchen Stimulus. — Unter dieſen Verhaͤltniſſen kann der Metallreitz wol nicht als ein untruͤgliches Pruͤfungsmittel des wahren Todes betrachtet werden! Es verkuͤndigt den Untergang der Er- regbarkeit ſchon dann, wenn dieſelbe noch wirklich vor- handen iſt. Mein zweyter und dritter Einwurf iſt von der Un- abhaͤngigkeit der Organe von einander hergenommen. Man entbloͤßt einen oder einige Nerven des Cadavers. Jſt man gewiß, daß, wenn der Metallreitz auf dieſe nicht wirkt, denn auch wirklich der allgemeine Tod der Jrritabilitaͤt eingetreten ſey? nicht blos hypotheti- ſche Saͤtze, und phyſiologiſche Moͤglichkeiten ſprechen dage- gen, ſondern wirkliche Erfahrungen. Jch habe im Som- mer 1793 einen Froſch ſecirt, welcher mit voller Muſkel- kraft im Zimmer umherhuͤpfte. Jn den abgeloͤßten Hin- terſchenkeln waren die Nerven von ſchoͤnem gebaͤnderten An- ſehen. Aber ſelbſt in den erſten Secunden brachten die wirkſamſten Metalle auch nicht eine Spur von Contra- ctionen hervor. Die vorderen Extremitaͤten waren er- regbar fuͤr den Galvaniſchen Reitz. Selten hatte mich

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ueber die Anwendung des Galvanischen Reizmittels auf die praktische Heilkunde. Ein Schreiben des Hrn. Obergerbraths von Humboldt an den Herausgeber. In: Journal für die Chirurgie, Geburtshülfe und gerichtliche Arzneykunde, Bd. 1 (1797), S. 447-471, hier S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_reizmittel_1797/9>, abgerufen am 27.04.2024.