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Humboldt, Alexander von: Ueber die Anwendung des Galvanischen Reizmittels auf die praktische Heilkunde. Ein Schreiben des Hrn. Obergerbraths von Humboldt an den Herausgeber. In: Journal für die Chirurgie, Geburtshülfe und gerichtliche Arzneykunde, Bd. 1 (1797), S. 447-471.

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Jch darf den Metallreitz nicht als ein untrügli-
ches
Prüfungsmittel des wahren Todes betrachten, weil
1) das elektrische Fluidum noch Spuren der Reitz-Em-
pfänglichkeit in einem Nerven offenbaret, welcher von
dem Galvanischen nicht mehr bemerkbar afficirt wird;
2) weil das Experiment nur an einigen Theilen ange-
stellt werden kann, und die Unerregbarkeit dieser noch
nicht die Unerregbarkeit des ganzen Nervensystems bewei-
set; 3) weil man einzelne Beyspiele kennt, in denen der
Metallreitz in Organen unwirksam war, welche kurz
vorher, und doch selbst nach dessen Anwendung, willkühr-
lich bewegt werden konnten, und 4) weil es sehr denk-
bar ist, daß Theile, welche eine Zeitlang alle Reizbar-
keit verloren zu haben scheinen, dieselbe nachmahls wie-
der erlangen.

Da zur Hervorbringung einer fibrösen Erschütte-
rung, mit abnehmender Erregbarkeit die Stärke
des anzuwendenden Reitzes zunehmen muß; so wird
nur derjenige Reitz, welcher das Maximum intensiver
Stärke enthält, mit Sicherheit andeuten können,
ob bereits alle Lebenskraft verschwunden, oder ob noch
ein Rest von Reitz-Empfänglichkeit übrig sey. Sie wis-
sen aus meinen chemischen Versuchen über Stimmung
der Erregbarkeit, daß die alkalischen Solutionen in sehr
erregbaren Organen ohngefähr eben so, als das Gal-
vanische Experiment in den minder erregbaren, wirkt.
Dürfen wir darum ein Organ für absolut unreitzbar hal-

Chirurg. Journ. I. Band. 3 Stück. H h

Jch darf den Metallreitz nicht als ein untruͤgli-
ches
Pruͤfungsmittel des wahren Todes betrachten, weil
1) das elektriſche Fluidum noch Spuren der Reitz-Em-
pfaͤnglichkeit in einem Nerven offenbaret, welcher von
dem Galvaniſchen nicht mehr bemerkbar afficirt wird;
2) weil das Experiment nur an einigen Theilen ange-
ſtellt werden kann, und die Unerregbarkeit dieſer noch
nicht die Unerregbarkeit des ganzen Nervenſyſtems bewei-
ſet; 3) weil man einzelne Beyſpiele kennt, in denen der
Metallreitz in Organen unwirkſam war, welche kurz
vorher, und doch ſelbſt nach deſſen Anwendung, willkuͤhr-
lich bewegt werden konnten, und 4) weil es ſehr denk-
bar iſt, daß Theile, welche eine Zeitlang alle Reizbar-
keit verloren zu haben ſcheinen, dieſelbe nachmahls wie-
der erlangen.

Da zur Hervorbringung einer fibroͤſen Erſchuͤtte-
rung, mit abnehmender Erregbarkeit die Staͤrke
des anzuwendenden Reitzes zunehmen muß; ſo wird
nur derjenige Reitz, welcher das Maximum intenſiver
Staͤrke enthaͤlt, mit Sicherheit andeuten koͤnnen,
ob bereits alle Lebenskraft verſchwunden, oder ob noch
ein Reſt von Reitz-Empfaͤnglichkeit uͤbrig ſey. Sie wiſ-
ſen aus meinen chemiſchen Verſuchen uͤber Stimmung
der Erregbarkeit, daß die alkaliſchen Solutionen in ſehr
erregbaren Organen ohngefaͤhr eben ſo, als das Gal-
vaniſche Experiment in den minder erregbaren, wirkt.
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Chirurg. Journ. I. Band. 3 Stuͤck. H h
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[451/0006] Jch darf den Metallreitz nicht als ein untruͤgli- ches Pruͤfungsmittel des wahren Todes betrachten, weil 1) das elektriſche Fluidum noch Spuren der Reitz-Em- pfaͤnglichkeit in einem Nerven offenbaret, welcher von dem Galvaniſchen nicht mehr bemerkbar afficirt wird; 2) weil das Experiment nur an einigen Theilen ange- ſtellt werden kann, und die Unerregbarkeit dieſer noch nicht die Unerregbarkeit des ganzen Nervenſyſtems bewei- ſet; 3) weil man einzelne Beyſpiele kennt, in denen der Metallreitz in Organen unwirkſam war, welche kurz vorher, und doch ſelbſt nach deſſen Anwendung, willkuͤhr- lich bewegt werden konnten, und 4) weil es ſehr denk- bar iſt, daß Theile, welche eine Zeitlang alle Reizbar- keit verloren zu haben ſcheinen, dieſelbe nachmahls wie- der erlangen. Da zur Hervorbringung einer fibroͤſen Erſchuͤtte- rung, mit abnehmender Erregbarkeit die Staͤrke des anzuwendenden Reitzes zunehmen muß; ſo wird nur derjenige Reitz, welcher das Maximum intenſiver Staͤrke enthaͤlt, mit Sicherheit andeuten koͤnnen, ob bereits alle Lebenskraft verſchwunden, oder ob noch ein Reſt von Reitz-Empfaͤnglichkeit uͤbrig ſey. Sie wiſ- ſen aus meinen chemiſchen Verſuchen uͤber Stimmung der Erregbarkeit, daß die alkaliſchen Solutionen in ſehr erregbaren Organen ohngefaͤhr eben ſo, als das Gal- vaniſche Experiment in den minder erregbaren, wirkt. Duͤrfen wir darum ein Organ fuͤr abſolut unreitzbar hal- Chirurg. Journ. I. Band. 3 Stuͤck. H h

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ueber die Anwendung des Galvanischen Reizmittels auf die praktische Heilkunde. Ein Schreiben des Hrn. Obergerbraths von Humboldt an den Herausgeber. In: Journal für die Chirurgie, Geburtshülfe und gerichtliche Arzneykunde, Bd. 1 (1797), S. 447-471, hier S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_reizmittel_1797/6>, abgerufen am 28.04.2024.