Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse. Tübingen, 1806.

Bild:
<< vorherige Seite

Zwischenzeit aus. Was im Norden Flechten
und Moose, das bewirken in den Tropen Portulacca,
Gomphrenen und andere niedrige Uferpflanzen. Die
Geschichte der Pflanzendecke, und ihre allmählige
Ausbreitung über die öde Erdrinde, hat ihre Epochen,
wie die Geschichte des spätern Menschengeschlechts.

Ist aber auch Fülle des Lebens überall verbreitet;
ist der Organismus auch unablässig bemüht, die durch
den Tod entfesselten Elemente zu neuen Gestalten zu
verbinden: so ist diese Lebensfülle und ihre Erneuerung
doch nach Verschiedenheit der Himmelsstriche
verschieden. Periodisch erstarrt die Natur in der kalten
Zone; denn Flüssigkeit ist Bedingniss zum Leben.
Thiere und Pflanzen (Laubmoose und andre Cryptogamen
abgerechnet) liegen hier viele Monate hindurch
im Winterschlaf vergraben. In einem grossen Theile
der Erde haben daher nur solche organische Wesen
sich entwickeln können, welche einer beträchtlichen
Entziehung von Wärmestoff widerstehen, oder einer
langen Unterbrechung der Lebensfunctionen fähig sind.
Je näher dagegen den Tropen, desto mehr nimmt Mannichfaltigkeit
der Bildungen, Anmuth der Form und
des Farbengemisches, ewige Jugend und Kraft des organischen
Lebens zu.

Diese Zunahme kann leicht von denen bezweifelt
werden, welche nie unsern Welttheil verlassen, oder
das Studium der allgemeinen Erdkunde vernachlässigt
haben. Wenn man aus unsern dicklaubigen Eichenwäldern
über die Alpen- oder Pyrenäen-Kette nach
Welschland oder Spanien hinabsteigt; wenn man gar

Zwischenzeit aus. Was im Norden Flechten
und Moose, das bewirken in den Tropen Portulacca,
Gomphrenen und andere niedrige Uferpflanzen. Die
Geschichte der Pflanzendecke, und ihre allmählige
Ausbreitung über die öde Erdrinde, hat ihre Epochen,
wie die Geschichte des spätern Menschengeschlechts.

Ist aber auch Fülle des Lebens überall verbreitet;
ist der Organismus auch unablässig bemüht, die durch
den Tod entfesselten Elemente zu neuen Gestalten zu
verbinden: so ist diese Lebensfülle und ihre Erneuerung
doch nach Verschiedenheit der Himmelsstriche
verschieden. Periodisch erstarrt die Natur in der kalten
Zone; denn Flüssigkeit ist Bedingniſs zum Leben.
Thiere und Pflanzen (Laubmoose und andre Cryptogamen
abgerechnet) liegen hier viele Monate hindurch
im Winterschlaf vergraben. In einem groſsen Theile
der Erde haben daher nur solche organische Wesen
sich entwickeln können, welche einer beträchtlichen
Entziehung von Wärmestoff widerstehen, oder einer
langen Unterbrechung der Lebensfunctionen fähig sind.
Je näher dagegen den Tropen, desto mehr nimmt Mannichfaltigkeit
der Bildungen, Anmuth der Form und
des Farbengemisches, ewige Jugend und Kraft des organischen
Lebens zu.

Diese Zunahme kann leicht von denen bezweifelt
werden, welche nie unsern Welttheil verlassen, oder
das Studium der allgemeinen Erdkunde vernachlässigt
haben. Wenn man aus unsern dicklaubigen Eichenwäldern
über die Alpen- oder Pyrenäen-Kette nach
Welschland oder Spanien hinabsteigt; wenn man gar

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0008" n="8"/>
Zwischenzeit aus. Was im Norden Flechten<lb/>
und Moose, das bewirken in den Tropen <hi rendition="#i">Portulacca</hi>,<lb/><hi rendition="#i">Gomphrenen</hi> und andere niedrige Uferpflanzen. Die<lb/>
Geschichte der Pflanzendecke, und ihre allmählige<lb/>
Ausbreitung über die öde Erdrinde, hat ihre Epochen,<lb/>
wie die Geschichte des spätern Menschengeschlechts.<lb/></p>
        <p>Ist aber auch Fülle des Lebens überall verbreitet;<lb/>
ist der Organismus auch unablässig bemüht, die durch<lb/>
den Tod entfesselten Elemente zu neuen Gestalten zu<lb/>
verbinden: so ist diese Lebensfülle und ihre Erneuerung<lb/>
doch nach Verschiedenheit der Himmelsstriche<lb/>
verschieden. Periodisch erstarrt die Natur in der kalten<lb/>
Zone; denn Flüssigkeit ist Bedingni&#x017F;s zum Leben.<lb/>
Thiere und Pflanzen (Laubmoose und andre Cryptogamen<lb/>
abgerechnet) liegen hier viele Monate hindurch<lb/>
im Winterschlaf vergraben. In einem gro&#x017F;sen Theile<lb/>
der Erde haben daher nur solche organische Wesen<lb/>
sich entwickeln können, welche einer beträchtlichen<lb/>
Entziehung von Wärmestoff widerstehen, oder einer<lb/>
langen Unterbrechung der Lebensfunctionen fähig sind.<lb/>
Je näher dagegen den Tropen, desto mehr nimmt Mannichfaltigkeit<lb/>
der Bildungen, Anmuth der Form und<lb/>
des Farbengemisches, ewige Jugend und Kraft des organischen<lb/>
Lebens zu.<lb/></p>
        <p>Diese Zunahme kann leicht von denen bezweifelt<lb/>
werden, welche nie unsern Welttheil verlassen, oder<lb/>
das Studium der allgemeinen Erdkunde vernachlässigt<lb/>
haben. Wenn man aus unsern dicklaubigen Eichenwäldern<lb/>
über die <placeName>Alpen-</placeName> oder <placeName>Pyrenäen-Kette</placeName> nach<lb/><placeName>Welschland</placeName> oder <placeName>Spanien</placeName> hinabsteigt; wenn man gar<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0008] Zwischenzeit aus. Was im Norden Flechten und Moose, das bewirken in den Tropen Portulacca, Gomphrenen und andere niedrige Uferpflanzen. Die Geschichte der Pflanzendecke, und ihre allmählige Ausbreitung über die öde Erdrinde, hat ihre Epochen, wie die Geschichte des spätern Menschengeschlechts. Ist aber auch Fülle des Lebens überall verbreitet; ist der Organismus auch unablässig bemüht, die durch den Tod entfesselten Elemente zu neuen Gestalten zu verbinden: so ist diese Lebensfülle und ihre Erneuerung doch nach Verschiedenheit der Himmelsstriche verschieden. Periodisch erstarrt die Natur in der kalten Zone; denn Flüssigkeit ist Bedingniſs zum Leben. Thiere und Pflanzen (Laubmoose und andre Cryptogamen abgerechnet) liegen hier viele Monate hindurch im Winterschlaf vergraben. In einem groſsen Theile der Erde haben daher nur solche organische Wesen sich entwickeln können, welche einer beträchtlichen Entziehung von Wärmestoff widerstehen, oder einer langen Unterbrechung der Lebensfunctionen fähig sind. Je näher dagegen den Tropen, desto mehr nimmt Mannichfaltigkeit der Bildungen, Anmuth der Form und des Farbengemisches, ewige Jugend und Kraft des organischen Lebens zu. Diese Zunahme kann leicht von denen bezweifelt werden, welche nie unsern Welttheil verlassen, oder das Studium der allgemeinen Erdkunde vernachlässigt haben. Wenn man aus unsern dicklaubigen Eichenwäldern über die Alpen- oder Pyrenäen-Kette nach Welschland oder Spanien hinabsteigt; wenn man gar

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2012-11-06T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
SUB Göttingen: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-06T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-06T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen.
  • Der Zeilenfall wurde beibehalten, die Silbentrennung aber wurde aufgehoben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_physiognomik_1806
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_physiognomik_1806/8
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse. Tübingen, 1806, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_physiognomik_1806/8>, abgerufen am 24.04.2024.