Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 3. Stuttgart u. a., 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

Sehen scheidet. Galilei war damals schon 44, Kepler 37 Jahre alt; Tycho, der genaueste messende Astronom dieser großen Zeit, seit sieben Jahren todt. Ich habe schon früher (Kosmos Bd. II. S. 365) erwähnt, daß Kepler's drei Gesetze, die seinen Namen auf ewig verherrlicht haben, von keinem seiner Zeitgenossen, Galilei selbst nicht ausgenommen, mit Lob erwähnt worden sind. Auf rein empirischem Wege entdeckt, aber für das Ganze der Wissenschaft folgereicher als die vereinzelte Entdeckung ungesehener Weltkörper, gehören sie ganz der Zeit des natürlichen Sehens, der Tychonischen Zeit, ja den Tychonischen Beobachtungen selbst an: wenn auch der Druck der Astronomia nova, seu Physica coelestis de motibus Stellae Martis erst 1609 vollendet, und gar das dritte Gesetz, nach welchem sich die Quadrate der Umlaufszeiten zweier Planeten verhalten wie die Würfel der mittleren Entfernung, erst in der Harmonice Mundi 1619 entwickelt wurde.

Der Uebergang des natürlichen zum telescopischen Sehen, welcher das erste Zehnttheil des siebzehnten Jahrhunderts bezeichnet und für die Astronomie (die Kenntniß des Weltraumes) noch wichtiger wurde, als es für die Kenntniß der irdischen Räume das Jahr 1492 gewesen war, hat nicht bloß den Blick in die Schöpfung endlos erweitert; er hat auch, neben der Bereicherung des menschlichen Ideenkreises, durch Darlegung neuer und verwickelter Probleme das mathematische Wissen zu einem bisher nie erreichten Glanze erhoben. So wirkt die Stärkung sinnlicher Organe auf die Gedankenwelt, auf die Stärkung intellectueller Kraft, auf die Veredlung der Menschheit. Dem Fernrohr allein verdanken wir in kaum drittehalb

Sehen scheidet. Galilei war damals schon 44, Kepler 37 Jahre alt; Tycho, der genaueste messende Astronom dieser großen Zeit, seit sieben Jahren todt. Ich habe schon früher (Kosmos Bd. II. S. 365) erwähnt, daß Kepler's drei Gesetze, die seinen Namen auf ewig verherrlicht haben, von keinem seiner Zeitgenossen, Galilei selbst nicht ausgenommen, mit Lob erwähnt worden sind. Auf rein empirischem Wege entdeckt, aber für das Ganze der Wissenschaft folgereicher als die vereinzelte Entdeckung ungesehener Weltkörper, gehören sie ganz der Zeit des natürlichen Sehens, der Tychonischen Zeit, ja den Tychonischen Beobachtungen selbst an: wenn auch der Druck der Astronomia nova, seu Physica coelestis de motibus Stellae Martis erst 1609 vollendet, und gar das dritte Gesetz, nach welchem sich die Quadrate der Umlaufszeiten zweier Planeten verhalten wie die Würfel der mittleren Entfernung, erst in der Harmonice Mundi 1619 entwickelt wurde.

Der Uebergang des natürlichen zum telescopischen Sehen, welcher das erste Zehnttheil des siebzehnten Jahrhunderts bezeichnet und für die Astronomie (die Kenntniß des Weltraumes) noch wichtiger wurde, als es für die Kenntniß der irdischen Räume das Jahr 1492 gewesen war, hat nicht bloß den Blick in die Schöpfung endlos erweitert; er hat auch, neben der Bereicherung des menschlichen Ideenkreises, durch Darlegung neuer und verwickelter Probleme das mathematische Wissen zu einem bisher nie erreichten Glanze erhoben. So wirkt die Stärkung sinnlicher Organe auf die Gedankenwelt, auf die Stärkung intellectueller Kraft, auf die Veredlung der Menschheit. Dem Fernrohr allein verdanken wir in kaum drittehalb

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0080" n="75"/>
Sehen</hi> scheidet. Galilei war damals schon 44, Kepler 37 Jahre alt; Tycho, der genaueste messende Astronom dieser großen Zeit, seit sieben Jahren todt. Ich habe schon früher <hi rendition="#g">(Kosmos</hi> Bd. II. S. 365) erwähnt, daß Kepler's drei Gesetze, die seinen Namen auf ewig verherrlicht haben, von keinem seiner Zeitgenossen, Galilei selbst nicht ausgenommen, mit Lob erwähnt worden sind. Auf rein empirischem Wege entdeckt, aber für das Ganze der Wissenschaft folgereicher als die vereinzelte Entdeckung ungesehener Weltkörper, gehören sie ganz der Zeit des <hi rendition="#g">natürlichen Sehens,</hi> der <hi rendition="#g">Tychonischen Zeit,</hi> ja den Tychonischen Beobachtungen selbst an: wenn auch der Druck der <hi rendition="#g">Astronomia nova, seu Physica coelestis de motibus Stellae Martis</hi> erst 1609 vollendet, und gar das dritte Gesetz, nach welchem sich die Quadrate der Umlaufszeiten zweier Planeten verhalten wie die Würfel der mittleren Entfernung, erst in der <hi rendition="#g">Harmonice Mundi</hi> 1619 entwickelt wurde.</p>
              <p>Der Uebergang des <hi rendition="#g">natürlichen</hi> zum <hi rendition="#g">telescopischen</hi> Sehen, welcher das erste Zehnttheil des siebzehnten Jahrhunderts bezeichnet und für die <hi rendition="#g">Astronomie</hi> (die Kenntniß des Weltraumes) noch wichtiger wurde, als es für die Kenntniß der <hi rendition="#g">irdischen Räume</hi> das Jahr 1492 gewesen war, hat nicht bloß den Blick in die Schöpfung endlos erweitert; er hat auch, neben der Bereicherung des menschlichen Ideenkreises, durch Darlegung neuer und verwickelter Probleme das mathematische Wissen zu einem bisher nie erreichten Glanze erhoben. So wirkt die Stärkung sinnlicher Organe auf die Gedankenwelt, auf die Stärkung intellectueller Kraft, auf die Veredlung der Menschheit. Dem Fernrohr allein verdanken wir in kaum drittehalb
</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0080] Sehen scheidet. Galilei war damals schon 44, Kepler 37 Jahre alt; Tycho, der genaueste messende Astronom dieser großen Zeit, seit sieben Jahren todt. Ich habe schon früher (Kosmos Bd. II. S. 365) erwähnt, daß Kepler's drei Gesetze, die seinen Namen auf ewig verherrlicht haben, von keinem seiner Zeitgenossen, Galilei selbst nicht ausgenommen, mit Lob erwähnt worden sind. Auf rein empirischem Wege entdeckt, aber für das Ganze der Wissenschaft folgereicher als die vereinzelte Entdeckung ungesehener Weltkörper, gehören sie ganz der Zeit des natürlichen Sehens, der Tychonischen Zeit, ja den Tychonischen Beobachtungen selbst an: wenn auch der Druck der Astronomia nova, seu Physica coelestis de motibus Stellae Martis erst 1609 vollendet, und gar das dritte Gesetz, nach welchem sich die Quadrate der Umlaufszeiten zweier Planeten verhalten wie die Würfel der mittleren Entfernung, erst in der Harmonice Mundi 1619 entwickelt wurde. Der Uebergang des natürlichen zum telescopischen Sehen, welcher das erste Zehnttheil des siebzehnten Jahrhunderts bezeichnet und für die Astronomie (die Kenntniß des Weltraumes) noch wichtiger wurde, als es für die Kenntniß der irdischen Räume das Jahr 1492 gewesen war, hat nicht bloß den Blick in die Schöpfung endlos erweitert; er hat auch, neben der Bereicherung des menschlichen Ideenkreises, durch Darlegung neuer und verwickelter Probleme das mathematische Wissen zu einem bisher nie erreichten Glanze erhoben. So wirkt die Stärkung sinnlicher Organe auf die Gedankenwelt, auf die Stärkung intellectueller Kraft, auf die Veredlung der Menschheit. Dem Fernrohr allein verdanken wir in kaum drittehalb

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen (2013-04-18T11:04:31Z)



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos03_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos03_1850/80
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 3. Stuttgart u. a., 1850, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos03_1850/80>, abgerufen am 23.11.2024.