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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

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Sacy in einem Manuscript aus der Bibliothek der alten Abtei St. Germain des Pres entdeckt worden ist, sind die Gruppenzeichen Punkte, also Nullen; denn in Indien, Tübet und Persien sind Nullen und Punkte identisch. Man schreibt im Gobar 3@ statt 30; 4@ statt 400; 6@ statt 6000. Die indischen Zahlen und die Kenntniß des Stellenwerths muß neuer sein als die Trennung der Inder und der Arier, denn das Zendvolk bediente sich der unbehülflichen Pehlwi-Zahlen. Für eine successive Vervollkommnung der Zahlenbezeichnung in Indien scheinen mir besonders die Tamul- Ziffern zu sprechen, welche durch neun Zeichen der Einheiten und durch besondere Gruppenzeichen für 10, 100 und 1000 alle Werthe mittelst links zugefügter Multiplicatoren ausdrücken. Für eine solche allmälige Vervollkommnung sprechen auch die sonderbaren arithmoi indikoi in einem vom Prof. Brandis in der Pariser Bibliothek aufgefundenen und mir gütigst zur Bekanntmachung mitgetheilten Scholion des Mönches Neophytos. Die neun Ziffern des Neophytos sind, außer der 4, ganz den jetzigen persischen ähnlich; aber diese neun Einheiten werden 10fach, 100fach, 1000fach dadurch erhöht, daß man ein oder zwei oder drei Nullzeichen darüber schreibt: gleichsam wie @ für zwanzig, @4 für vier und zwanzig, also durch Juxtaposition; @ für fünfhundert, @ für dreihundert und sechs. Denken wir uns statt der Null bloß Punkte, so haben wir die arabische Staubschrift, Gobar. So wie nach der oftmaligen Aeußerung meines Bruders, Wilhelms von Humboldt, das Sanskrit sehr unbestimmt durch die Benennungen indische und alt-indische Sprache bezeichnet wird, da es auf der indischen Halbinsel mehrere sehr alte, vom Sanskrit gar nicht abstammende Sprachen giebt, so ist auch der Ausdruck: indische, alt-indische Ziffern im allgemeinen sehr unbestimmt; und eine solche Unbestimmtheit bezieht sich sowohl auf die Gestaltung der Zahlzeichen als auf den Geist der Methoden, der sich ausspricht bald durch bloße Beifügung (Juxtaposition), bald durch Coefficienten und Indicatoren, bald durch eigentlichen Stellenwerth. Selbst die Existenz eines Nullzeichens ist, wie das Scholion des Neophytos beweist, in indischen Ziffern noch kein nothwendiges Bedingniß des einfachen Stellenwerthes. Die tamul-sprechenden Inder haben von ihrem Alphabet scheinbar abweichende Zahlzeichen, von denen die 2 und die 8 eine schwache
Sacy in einem Manuscript aus der Bibliothek der alten Abtei St. Germain des Prés entdeckt worden ist, sind die Gruppenzeichen Punkte, also Nullen; denn in Indien, Tübet und Persien sind Nullen und Punkte identisch. Man schreibt im Gobar 3 statt 30; 4 statt 400; 6 statt 6000. Die indischen Zahlen und die Kenntniß des Stellenwerths muß neuer sein als die Trennung der Inder und der Arier, denn das Zendvolk bediente sich der unbehülflichen Pehlwi-Zahlen. Für eine successive Vervollkommnung der Zahlenbezeichnung in Indien scheinen mir besonders die Tamul- Ziffern zu sprechen, welche durch neun Zeichen der Einheiten und durch besondere Gruppenzeichen für 10, 100 und 1000 alle Werthe mittelst links zugefügter Multiplicatoren ausdrücken. Für eine solche allmälige Vervollkommnung sprechen auch die sonderbaren ἀριθμοὶ ἰνδικοί in einem vom Prof. Brandis in der Pariser Bibliothek aufgefundenen und mir gütigst zur Bekanntmachung mitgetheilten Scholion des Mönches Neophytos. Die neun Ziffern des Neophytos sind, außer der 4, ganz den jetzigen persischen ähnlich; aber diese neun Einheiten werden 10fach, 100fach, 1000fach dadurch erhöht, daß man ein oder zwei oder drei Nullzeichen darüber schreibt: gleichsam wie  für zwanzig, 4 für vier und zwanzig, also durch Juxtaposition;  für fünfhundert,  für dreihundert und sechs. Denken wir uns statt der Null bloß Punkte, so haben wir die arabische Staubschrift, Gobar. So wie nach der oftmaligen Aeußerung meines Bruders, Wilhelms von Humboldt, das Sanskrit sehr unbestimmt durch die Benennungen indische und alt-indische Sprache bezeichnet wird, da es auf der indischen Halbinsel mehrere sehr alte, vom Sanskrit gar nicht abstammende Sprachen giebt, so ist auch der Ausdruck: indische, alt-indische Ziffern im allgemeinen sehr unbestimmt; und eine solche Unbestimmtheit bezieht sich sowohl auf die Gestaltung der Zahlzeichen als auf den Geist der Methoden, der sich ausspricht bald durch bloße Beifügung (Juxtaposition), bald durch Coefficienten und Indicatoren, bald durch eigentlichen Stellenwerth. Selbst die Existenz eines Nullzeichens ist, wie das Scholion des Neophytos beweist, in indischen Ziffern noch kein nothwendiges Bedingniß des einfachen Stellenwerthes. Die tamul-sprechenden Inder haben von ihrem Alphabet scheinbar abweichende Zahlzeichen, von denen die 2 und die 8 eine schwache
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[456/0461] ¹⁹ Sacy in einem Manuscript aus der Bibliothek der alten Abtei St. Germain des Prés entdeckt worden ist, sind die Gruppenzeichen Punkte, also Nullen; denn in Indien, Tübet und Persien sind Nullen und Punkte identisch. Man schreibt im Gobar 3 statt 30; 4 statt 400; 6 statt 6000. Die indischen Zahlen und die Kenntniß des Stellenwerths muß neuer sein als die Trennung der Inder und der Arier, denn das Zendvolk bediente sich der unbehülflichen Pehlwi-Zahlen. Für eine successive Vervollkommnung der Zahlenbezeichnung in Indien scheinen mir besonders die Tamul- Ziffern zu sprechen, welche durch neun Zeichen der Einheiten und durch besondere Gruppenzeichen für 10, 100 und 1000 alle Werthe mittelst links zugefügter Multiplicatoren ausdrücken. Für eine solche allmälige Vervollkommnung sprechen auch die sonderbaren ἀριθμοὶ ἰνδικοί in einem vom Prof. Brandis in der Pariser Bibliothek aufgefundenen und mir gütigst zur Bekanntmachung mitgetheilten Scholion des Mönches Neophytos. Die neun Ziffern des Neophytos sind, außer der 4, ganz den jetzigen persischen ähnlich; aber diese neun Einheiten werden 10fach, 100fach, 1000fach dadurch erhöht, daß man ein oder zwei oder drei Nullzeichen darüber schreibt: gleichsam wie  für zwanzig, 4 für vier und zwanzig, also durch Juxtaposition;  für fünfhundert,  für dreihundert und sechs. Denken wir uns statt der Null bloß Punkte, so haben wir die arabische Staubschrift, Gobar. So wie nach der oftmaligen Aeußerung meines Bruders, Wilhelms von Humboldt, das Sanskrit sehr unbestimmt durch die Benennungen indische und alt-indische Sprache bezeichnet wird, da es auf der indischen Halbinsel mehrere sehr alte, vom Sanskrit gar nicht abstammende Sprachen giebt, so ist auch der Ausdruck: indische, alt-indische Ziffern im allgemeinen sehr unbestimmt; und eine solche Unbestimmtheit bezieht sich sowohl auf die Gestaltung der Zahlzeichen als auf den Geist der Methoden, der sich ausspricht bald durch bloße Beifügung (Juxtaposition), bald durch Coefficienten und Indicatoren, bald durch eigentlichen Stellenwerth. Selbst die Existenz eines Nullzeichens ist, wie das Scholion des Neophytos beweist, in indischen Ziffern noch kein nothwendiges Bedingniß des einfachen Stellenwerthes. Die tamul-sprechenden Inder haben von ihrem Alphabet scheinbar abweichende Zahlzeichen, von denen die 2 und die 8 eine schwache

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/461>, abgerufen am 09.05.2024.