Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.bach und Gottfried von Strasburg54 im Beginn des Jahrhunderts so sehr hervorheben, daß man sie die großen und classischen nennen kann. Aus ihren umfangreichen Werken würde man Beweise genug von tiefem Gefühl für die Natur, wie es zumal in Gleichnissen ausbricht, sammeln können; aber der Gedanke an unabhängige Naturschilderungen war auch ihnen fremd. Sie hemmten nicht den Fortschritt der Handlung, um bei der Betrachtung des ruhigen Lebens der Natur stille zu stehn. Wie verschieden davon sind die neueren dichterischen Compositionen! Bernardin de St. Pierre braucht die Ereignisse nur als Rahmen für sein Gemälde. Die lyrischen Dichter des dreizehnten Jahrhunderts, zumal wenn sie die Minne besingen (was sie nicht immer thun), reden oft genug von dem milden Mai, dem Gesang der Nachtigall, dem Thau, welcher an den Blüthen der Heide glänzt: aber immer nur in Beziehung der Gefühle, die sich darin abspiegeln sollen. Um traurende Stimmungen zu bezeichnen, wird der falben Blätter, der verstummenden Vögel, der in Schnee vergrabenen Saaten gedacht. Dieselben Gedanken, freilich schön und sehr verschiedenartig ausgedrückt, kehren unablässig wieder. Der seelenvolle Walther von der Vogelweide und der tiefsinnige Wolfram von Eschenbach, von dem wir leider nur wenige lyrische Gesänge besitzen, sind hier als glänzende Beispiele aufzuführen." "Die Frage, ob der Contact mit dem südlichen Italien oder durch die Kreuzzüge mit Kleinasien, Syrien und Palästina die deutsche Dichtkunst nicht mit neuen Naturbildern bereichert habe, kann im allgemeinen nur verneint werden. Man bemerkt nicht, daß die Bekanntschaft mit dem Orient bach und Gottfried von Strasburg54 im Beginn des Jahrhunderts so sehr hervorheben, daß man sie die großen und classischen nennen kann. Aus ihren umfangreichen Werken würde man Beweise genug von tiefem Gefühl für die Natur, wie es zumal in Gleichnissen ausbricht, sammeln können; aber der Gedanke an unabhängige Naturschilderungen war auch ihnen fremd. Sie hemmten nicht den Fortschritt der Handlung, um bei der Betrachtung des ruhigen Lebens der Natur stille zu stehn. Wie verschieden davon sind die neueren dichterischen Compositionen! Bernardin de St. Pierre braucht die Ereignisse nur als Rahmen für sein Gemälde. Die lyrischen Dichter des dreizehnten Jahrhunderts, zumal wenn sie die Minne besingen (was sie nicht immer thun), reden oft genug von dem milden Mai, dem Gesang der Nachtigall, dem Thau, welcher an den Blüthen der Heide glänzt: aber immer nur in Beziehung der Gefühle, die sich darin abspiegeln sollen. Um traurende Stimmungen zu bezeichnen, wird der falben Blätter, der verstummenden Vögel, der in Schnee vergrabenen Saaten gedacht. Dieselben Gedanken, freilich schön und sehr verschiedenartig ausgedrückt, kehren unablässig wieder. Der seelenvolle Walther von der Vogelweide und der tiefsinnige Wolfram von Eschenbach, von dem wir leider nur wenige lyrische Gesänge besitzen, sind hier als glänzende Beispiele aufzuführen." „Die Frage, ob der Contact mit dem südlichen Italien oder durch die Kreuzzüge mit Kleinasien, Syrien und Palästina die deutsche Dichtkunst nicht mit neuen Naturbildern bereichert habe, kann im allgemeinen nur verneint werden. Man bemerkt nicht, daß die Bekanntschaft mit dem Orient <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0040" n="35"/> bach und Gottfried von Strasburg<note xml:id="ftn53" next="#ftn53-text" place="end" n="54"/> im Beginn des Jahrhunderts so sehr hervorheben, daß man sie die großen und classischen nennen kann. Aus ihren umfangreichen Werken würde man Beweise genug von tiefem Gefühl für die Natur, wie es zumal in Gleichnissen ausbricht, sammeln können; aber der Gedanke an unabhängige Naturschilderungen war auch ihnen fremd. Sie hemmten nicht den Fortschritt der Handlung, um bei der Betrachtung des ruhigen Lebens der Natur stille zu stehn. Wie verschieden davon sind die neueren dichterischen Compositionen! Bernardin de St. Pierre braucht die Ereignisse nur als Rahmen für sein Gemälde. Die lyrischen Dichter des dreizehnten Jahrhunderts, zumal wenn sie die <hi rendition="#g">Minne</hi> besingen (was sie nicht immer thun), reden oft genug von dem milden Mai, dem Gesang der Nachtigall, dem Thau, welcher an den Blüthen der Heide glänzt: aber immer nur in Beziehung der Gefühle, die sich darin abspiegeln sollen. Um traurende Stimmungen zu bezeichnen, wird der falben Blätter, der verstummenden Vögel, der in Schnee vergrabenen Saaten gedacht. Dieselben Gedanken, freilich schön und sehr verschiedenartig ausgedrückt, kehren unablässig wieder. Der seelenvolle Walther von der Vogelweide und der tiefsinnige Wolfram von Eschenbach, von dem wir leider nur wenige lyrische Gesänge besitzen, sind hier als glänzende Beispiele aufzuführen."</p> <p>„Die Frage, ob der Contact mit dem südlichen Italien oder durch die Kreuzzüge mit Kleinasien, Syrien und Palästina die deutsche Dichtkunst nicht mit neuen Naturbildern bereichert habe, kann im allgemeinen nur verneint werden. Man bemerkt nicht, daß die Bekanntschaft mit dem Orient </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [35/0040]
bach und Gottfried von Strasburg
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im Beginn des Jahrhunderts so sehr hervorheben, daß man sie die großen und classischen nennen kann. Aus ihren umfangreichen Werken würde man Beweise genug von tiefem Gefühl für die Natur, wie es zumal in Gleichnissen ausbricht, sammeln können; aber der Gedanke an unabhängige Naturschilderungen war auch ihnen fremd. Sie hemmten nicht den Fortschritt der Handlung, um bei der Betrachtung des ruhigen Lebens der Natur stille zu stehn. Wie verschieden davon sind die neueren dichterischen Compositionen! Bernardin de St. Pierre braucht die Ereignisse nur als Rahmen für sein Gemälde. Die lyrischen Dichter des dreizehnten Jahrhunderts, zumal wenn sie die Minne besingen (was sie nicht immer thun), reden oft genug von dem milden Mai, dem Gesang der Nachtigall, dem Thau, welcher an den Blüthen der Heide glänzt: aber immer nur in Beziehung der Gefühle, die sich darin abspiegeln sollen. Um traurende Stimmungen zu bezeichnen, wird der falben Blätter, der verstummenden Vögel, der in Schnee vergrabenen Saaten gedacht. Dieselben Gedanken, freilich schön und sehr verschiedenartig ausgedrückt, kehren unablässig wieder. Der seelenvolle Walther von der Vogelweide und der tiefsinnige Wolfram von Eschenbach, von dem wir leider nur wenige lyrische Gesänge besitzen, sind hier als glänzende Beispiele aufzuführen."
„Die Frage, ob der Contact mit dem südlichen Italien oder durch die Kreuzzüge mit Kleinasien, Syrien und Palästina die deutsche Dichtkunst nicht mit neuen Naturbildern bereichert habe, kann im allgemeinen nur verneint werden. Man bemerkt nicht, daß die Bekanntschaft mit dem Orient
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