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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

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gezogen, senkt sich der Blick auf das feuchte Laubdach des tief liegenden Waldes. Der Ruhesitz, nach welchem er und sein Freund Gregorius von Nazianz47 so lange sich gesehnt, ist endlich gefunden. Die dichterisch mythische Anspielung am Ende des Briefes erklingt wie eine Stimme, die aus einer anderen, früheren Welt in die christliche herüberschallt.

Auch des Basilius Homilien über das Hexaemeron zeugen von seinem Naturgefühl. Er beschreibt die Milde der ewig heiteren Nächte in Kleinasien, wo, wie er sich ausdrückt, die Sterne, "die ewigen Blüthen des Himmels", den Geist des Menschen vom Sichtbaren zum Unsichtbaren erheben.48 Wenn er in der Sage von der Weltschöpfung die "Schönheit des Meeres" preisen will, so beschreibt er den Anblick der grenzenlosen Fläche in ihren verschiedenen, wechselnden Zuständen: "wie sie, vom Hauch der Lüfte sanft bewegt, vielfarbig, bald weißes, bald blaues, bald röthliches Licht zurückwirft, wie sie die Küste liebkost in ihren friedlichen Spielen." Dieselbe sentimentalschwermüthige, der Natur zugewandte Stimmung finden wir bei Gregorius von Nyssa, dem Bruder des Großen Basilius. "Wenn ich", ruft er aus, "jeden Felsenrücken, jeden Thalgrund, jede Ebene mit neuentsprossenem Grase bedeckt sehe, dann den mannigfaltigen Schmuck der Bäume, und zu meinen Füßen die Lilien, doppelt von der Natur ausgestattet mit Wohlgeruch und mit Farbenreiz; wenn ich in der Ferne sehe das Meer, zu dem hin die wandelnde Wolke führt: so wird mein Gemüth von Schwermuth ergriffen, die nicht ohne Wonne ist. Verschwinden dann im Herbste die Früchte, fallen die Blätter, starren die Aeste des Baumes ihres Schmuckes beraubt; so versenken wir

gezogen, senkt sich der Blick auf das feuchte Laubdach des tief liegenden Waldes. Der Ruhesitz, nach welchem er und sein Freund Gregorius von Nazianz47 so lange sich gesehnt, ist endlich gefunden. Die dichterisch mythische Anspielung am Ende des Briefes erklingt wie eine Stimme, die aus einer anderen, früheren Welt in die christliche herüberschallt.

Auch des Basilius Homilien über das Hexaëmeron zeugen von seinem Naturgefühl. Er beschreibt die Milde der ewig heiteren Nächte in Kleinasien, wo, wie er sich ausdrückt, die Sterne, „die ewigen Blüthen des Himmels", den Geist des Menschen vom Sichtbaren zum Unsichtbaren erheben.48 Wenn er in der Sage von der Weltschöpfung die „Schönheit des Meeres" preisen will, so beschreibt er den Anblick der grenzenlosen Fläche in ihren verschiedenen, wechselnden Zuständen: „wie sie, vom Hauch der Lüfte sanft bewegt, vielfarbig, bald weißes, bald blaues, bald röthliches Licht zurückwirft, wie sie die Küste liebkost in ihren friedlichen Spielen." Dieselbe sentimentalschwermüthige, der Natur zugewandte Stimmung finden wir bei Gregorius von Nyssa, dem Bruder des Großen Basilius. „Wenn ich", ruft er aus, „jeden Felsenrücken, jeden Thalgrund, jede Ebene mit neuentsprossenem Grase bedeckt sehe, dann den mannigfaltigen Schmuck der Bäume, und zu meinen Füßen die Lilien, doppelt von der Natur ausgestattet mit Wohlgeruch und mit Farbenreiz; wenn ich in der Ferne sehe das Meer, zu dem hin die wandelnde Wolke führt: so wird mein Gemüth von Schwermuth ergriffen, die nicht ohne Wonne ist. Verschwinden dann im Herbste die Früchte, fallen die Blätter, starren die Aeste des Baumes ihres Schmuckes beraubt; so versenken wir

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[29/0034] gezogen, senkt sich der Blick auf das feuchte Laubdach des tief liegenden Waldes. Der Ruhesitz, nach welchem er und sein Freund Gregorius von Nazianz ⁴⁷ so lange sich gesehnt, ist endlich gefunden. Die dichterisch mythische Anspielung am Ende des Briefes erklingt wie eine Stimme, die aus einer anderen, früheren Welt in die christliche herüberschallt. Auch des Basilius Homilien über das Hexaëmeron zeugen von seinem Naturgefühl. Er beschreibt die Milde der ewig heiteren Nächte in Kleinasien, wo, wie er sich ausdrückt, die Sterne, „die ewigen Blüthen des Himmels", den Geist des Menschen vom Sichtbaren zum Unsichtbaren erheben. ⁴⁸ Wenn er in der Sage von der Weltschöpfung die „Schönheit des Meeres" preisen will, so beschreibt er den Anblick der grenzenlosen Fläche in ihren verschiedenen, wechselnden Zuständen: „wie sie, vom Hauch der Lüfte sanft bewegt, vielfarbig, bald weißes, bald blaues, bald röthliches Licht zurückwirft, wie sie die Küste liebkost in ihren friedlichen Spielen." Dieselbe sentimentalschwermüthige, der Natur zugewandte Stimmung finden wir bei Gregorius von Nyssa, dem Bruder des Großen Basilius. „Wenn ich", ruft er aus, „jeden Felsenrücken, jeden Thalgrund, jede Ebene mit neuentsprossenem Grase bedeckt sehe, dann den mannigfaltigen Schmuck der Bäume, und zu meinen Füßen die Lilien, doppelt von der Natur ausgestattet mit Wohlgeruch und mit Farbenreiz; wenn ich in der Ferne sehe das Meer, zu dem hin die wandelnde Wolke führt: so wird mein Gemüth von Schwermuth ergriffen, die nicht ohne Wonne ist. Verschwinden dann im Herbste die Früchte, fallen die Blätter, starren die Aeste des Baumes ihres Schmuckes beraubt; so versenken wir

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/34>, abgerufen am 18.04.2024.