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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

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fruchtbar durch die Dämpfe, die sie benetzen. Der umgebende Wald, in welchem sich vielartige Bäume zusammendrängen, schließt mich ab wie in eine feste Burg. Die Einöde ist von zwei tiefen Thalschluchten begrenzt. Auf der einen Seite bildet der Fluß, wo er vom Berge schäumend herabstürzt, ein schwer zu überschreitendes Hinderniß, auf der anderen verschließt ein breiter Bergrücken den Eingang. Meine Hütte ist auf dem Gipfel so gelegen, daß ich die weite Ebene überschaue, wie den ganzen Lauf des Iris, welcher schöner und wasserreicher ist als der Strymon bei Amphipolis. Der Fluß meiner Einöde, reißender als irgend einer, den ich kenne, bricht sich an der vorspringenden Felswand und wälzt sich schäumend in den Abgrund: dem Bergwanderer ein anmuthiger, wundervoller Anblick, den Eingeborenen nutzbar zu reichlichem Fischfang. Soll ich Dir beschreiben die befruchtenden Dämpfe, welche aus der (feuchten) Erde, die kühlen Lüfte, welche aus dem (bewegten) Wasserspiegel aufsteigen? soll ich reden von dem lieblichen Gesang der Vögel und der Fülle blühender Kräuter? Was mich vor allem reizt, ist die stille Ruhe der Gegend. Sie wird bisweilen nur von Jägern besucht; denn meine Wildniß nährt Hirsche und Heerden wilder Ziegen, nicht eure Bären und eure Wölfe. Wie möchte ich einen anderen Ort mit diesem vertauschen! Alkmäon, nachdem er die Echinaden gefunden, wollte nicht weiter umherirren."46 Es sprechen sich in dieser einfachen Schilderung der Landschaft und des Waldlebens Gefühle aus, welche sich mit denen der modernen Zeit inniger verschmelzen als alles, was uns aus dem griechischen und römischen Alterthume überkommen ist. Von der einsamen Berghütte, in die Basilius sich zurück-

fruchtbar durch die Dämpfe, die sie benetzen. Der umgebende Wald, in welchem sich vielartige Bäume zusammendrängen, schließt mich ab wie in eine feste Burg. Die Einöde ist von zwei tiefen Thalschluchten begrenzt. Auf der einen Seite bildet der Fluß, wo er vom Berge schäumend herabstürzt, ein schwer zu überschreitendes Hinderniß, auf der anderen verschließt ein breiter Bergrücken den Eingang. Meine Hütte ist auf dem Gipfel so gelegen, daß ich die weite Ebene überschaue, wie den ganzen Lauf des Iris, welcher schöner und wasserreicher ist als der Strymon bei Amphipolis. Der Fluß meiner Einöde, reißender als irgend einer, den ich kenne, bricht sich an der vorspringenden Felswand und wälzt sich schäumend in den Abgrund: dem Bergwanderer ein anmuthiger, wundervoller Anblick, den Eingeborenen nutzbar zu reichlichem Fischfang. Soll ich Dir beschreiben die befruchtenden Dämpfe, welche aus der (feuchten) Erde, die kühlen Lüfte, welche aus dem (bewegten) Wasserspiegel aufsteigen? soll ich reden von dem lieblichen Gesang der Vögel und der Fülle blühender Kräuter? Was mich vor allem reizt, ist die stille Ruhe der Gegend. Sie wird bisweilen nur von Jägern besucht; denn meine Wildniß nährt Hirsche und Heerden wilder Ziegen, nicht eure Bären und eure Wölfe. Wie möchte ich einen anderen Ort mit diesem vertauschen! Alkmäon, nachdem er die Echinaden gefunden, wollte nicht weiter umherirren."46 Es sprechen sich in dieser einfachen Schilderung der Landschaft und des Waldlebens Gefühle aus, welche sich mit denen der modernen Zeit inniger verschmelzen als alles, was uns aus dem griechischen und römischen Alterthume überkommen ist. Von der einsamen Berghütte, in die Basilius sich zurück-

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[28/0033] fruchtbar durch die Dämpfe, die sie benetzen. Der umgebende Wald, in welchem sich vielartige Bäume zusammendrängen, schließt mich ab wie in eine feste Burg. Die Einöde ist von zwei tiefen Thalschluchten begrenzt. Auf der einen Seite bildet der Fluß, wo er vom Berge schäumend herabstürzt, ein schwer zu überschreitendes Hinderniß, auf der anderen verschließt ein breiter Bergrücken den Eingang. Meine Hütte ist auf dem Gipfel so gelegen, daß ich die weite Ebene überschaue, wie den ganzen Lauf des Iris, welcher schöner und wasserreicher ist als der Strymon bei Amphipolis. Der Fluß meiner Einöde, reißender als irgend einer, den ich kenne, bricht sich an der vorspringenden Felswand und wälzt sich schäumend in den Abgrund: dem Bergwanderer ein anmuthiger, wundervoller Anblick, den Eingeborenen nutzbar zu reichlichem Fischfang. Soll ich Dir beschreiben die befruchtenden Dämpfe, welche aus der (feuchten) Erde, die kühlen Lüfte, welche aus dem (bewegten) Wasserspiegel aufsteigen? soll ich reden von dem lieblichen Gesang der Vögel und der Fülle blühender Kräuter? Was mich vor allem reizt, ist die stille Ruhe der Gegend. Sie wird bisweilen nur von Jägern besucht; denn meine Wildniß nährt Hirsche und Heerden wilder Ziegen, nicht eure Bären und eure Wölfe. Wie möchte ich einen anderen Ort mit diesem vertauschen! Alkmäon, nachdem er die Echinaden gefunden, wollte nicht weiter umherirren." ⁴⁶ Es sprechen sich in dieser einfachen Schilderung der Landschaft und des Waldlebens Gefühle aus, welche sich mit denen der modernen Zeit inniger verschmelzen als alles, was uns aus dem griechischen und römischen Alterthume überkommen ist. Von der einsamen Berghütte, in die Basilius sich zurück-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/33>, abgerufen am 18.04.2024.