Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.Meeres, stört mich kein Mensch; und wenn ich mich früh Morgens in einem dichten und rauhen Wald verborgen halte, verlasse ich denselben vor Abend nicht. Nächst meinem Atticus ist mir nichts so lieb als die Einsamkeit; in ihr pflege ich meinen Verkehr mit den Wissenschaften, doch wird dieser oft durch Thränen unterbrochen. Ich kämpfe (als Vater) dagegen an, so viel ich es vermag, aber noch bin ich solch einem Kampfe nicht gewachsen." Man hat mehrfach bemerkt, daß in diesen Briefen und in denen des jüngeren Plinius Anklänge moderner Sentimentalität nicht zu verkennen seien. Ich finde darin nur Anklänge tiefer Gemüthlichkeit, die in jedem Zeitalter, bei jedem Volksstamme aus dem schmerzlich beklommenen Busen emporsteigen. Die Kenntniß der großen Dichterwerke des Virgil, des Horatius und des Tibullus ist mit der allgemeinen Verbreitung der römischen Litteratur so innigst verwebt, daß es überflüssig wäre hier bei einzelnen Zeugnissen des zarten und immer regen Naturgefühls, das einige dieser Werke belebt, zu verweilen. In Virgils National-Epos konnte nach der Natur dieser Dichtung die Beschreibung des Landschaftlichen allerdings nur als Beiwerk erscheinen und einen sehr kleinen Raum einnehmen. Individuelle Auffassung bestimmter Localitäten28 bemerkt man nicht, wohl aber in mildem Farbenton ein inniges Verständniß der Natur. Wo ist das sanfte Spiel der Meereswogen, wo die Ruhe der Nacht glücklicher beschrieben? Wie contrastiren mit diesen heiteren Bildern die kräftigen Darstellungen des einbrechenden Ungewitters im ersten Buche vom Landbau, der Meerfahrt und Landung bei den Strophaden, des Felsensturzes oder des flammensprühenden Aetna's in der Aeneis!29 Meeres, stört mich kein Mensch; und wenn ich mich früh Morgens in einem dichten und rauhen Wald verborgen halte, verlasse ich denselben vor Abend nicht. Nächst meinem Atticus ist mir nichts so lieb als die Einsamkeit; in ihr pflege ich meinen Verkehr mit den Wissenschaften, doch wird dieser oft durch Thränen unterbrochen. Ich kämpfe (als Vater) dagegen an, so viel ich es vermag, aber noch bin ich solch einem Kampfe nicht gewachsen." Man hat mehrfach bemerkt, daß in diesen Briefen und in denen des jüngeren Plinius Anklänge moderner Sentimentalität nicht zu verkennen seien. Ich finde darin nur Anklänge tiefer Gemüthlichkeit, die in jedem Zeitalter, bei jedem Volksstamme aus dem schmerzlich beklommenen Busen emporsteigen. Die Kenntniß der großen Dichterwerke des Virgil, des Horatius und des Tibullus ist mit der allgemeinen Verbreitung der römischen Litteratur so innigst verwebt, daß es überflüssig wäre hier bei einzelnen Zeugnissen des zarten und immer regen Naturgefühls, das einige dieser Werke belebt, zu verweilen. In Virgils National-Epos konnte nach der Natur dieser Dichtung die Beschreibung des Landschaftlichen allerdings nur als Beiwerk erscheinen und einen sehr kleinen Raum einnehmen. Individuelle Auffassung bestimmter Localitäten28 bemerkt man nicht, wohl aber in mildem Farbenton ein inniges Verständniß der Natur. Wo ist das sanfte Spiel der Meereswogen, wo die Ruhe der Nacht glücklicher beschrieben? Wie contrastiren mit diesen heiteren Bildern die kräftigen Darstellungen des einbrechenden Ungewitters im ersten Buche vom Landbau, der Meerfahrt und Landung bei den Strophaden, des Felsensturzes oder des flammensprühenden Aetna's in der Aeneis!29 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0024" n="19"/> Meeres, stört mich kein Mensch; und wenn ich mich früh Morgens in einem dichten und rauhen Wald verborgen halte, verlasse ich denselben vor Abend nicht. Nächst meinem Atticus ist mir nichts so lieb als die Einsamkeit; in ihr pflege ich meinen Verkehr mit den Wissenschaften, doch wird dieser oft durch Thränen unterbrochen. Ich kämpfe (als Vater) dagegen an, so viel ich es vermag, aber noch bin ich solch einem Kampfe nicht gewachsen." Man hat mehrfach bemerkt, daß in diesen Briefen und in denen des jüngeren Plinius Anklänge moderner Sentimentalität nicht zu verkennen seien. 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Meeres, stört mich kein Mensch; und wenn ich mich früh Morgens in einem dichten und rauhen Wald verborgen halte, verlasse ich denselben vor Abend nicht. Nächst meinem Atticus ist mir nichts so lieb als die Einsamkeit; in ihr pflege ich meinen Verkehr mit den Wissenschaften, doch wird dieser oft durch Thränen unterbrochen. Ich kämpfe (als Vater) dagegen an, so viel ich es vermag, aber noch bin ich solch einem Kampfe nicht gewachsen." Man hat mehrfach bemerkt, daß in diesen Briefen und in denen des jüngeren Plinius Anklänge moderner Sentimentalität nicht zu verkennen seien. Ich finde darin nur Anklänge tiefer Gemüthlichkeit, die in jedem Zeitalter, bei jedem Volksstamme aus dem schmerzlich beklommenen Busen emporsteigen.
Die Kenntniß der großen Dichterwerke des Virgil, des Horatius und des Tibullus ist mit der allgemeinen Verbreitung der römischen Litteratur so innigst verwebt, daß es überflüssig wäre hier bei einzelnen Zeugnissen des zarten und immer regen Naturgefühls, das einige dieser Werke belebt, zu verweilen. In Virgils National-Epos konnte nach der Natur dieser Dichtung die Beschreibung des Landschaftlichen allerdings nur als Beiwerk erscheinen und einen sehr kleinen Raum einnehmen. Individuelle Auffassung bestimmter Localitäten
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bemerkt man nicht, wohl aber in mildem Farbenton ein inniges Verständniß der Natur. Wo ist das sanfte Spiel der Meereswogen, wo die Ruhe der Nacht glücklicher beschrieben? Wie contrastiren mit diesen heiteren Bildern die kräftigen Darstellungen des einbrechenden Ungewitters im ersten Buche vom Landbau, der Meerfahrt und Landung bei den Strophaden, des Felsensturzes oder des flammensprühenden Aetna's in der Aeneis!
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