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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

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So viel wahres und vortreffliches auch im einzelnen in diesen Aeußerungen liegt, so können sie doch keinesweges auf das ganze Alterthum ausgedehnt werden. Auch dürfen wir es wohl eine beschränkte Ansicht nennen, unter dem Alterthum, wenn dasselbe der neueren Zeit entgegengesetzt werden soll, immer nur ausschließlich die hellenische und römische Welt zu verstehen. Tiefes Naturgefühl spricht sich in den ältesten Dichtungen der Hebräer und Inder aus: also bei Volksstämmen sehr verschiedener, semitischer und indogermanischer Abkunft.

Wir können auf die Sinnesart der alten Völker nur aus den Aeußerungen der Naturgefühle schließen, welche in den Ueberbleibseln ihrer Litteratur ausgesprochen sind; wir müssen daher diesen Aeußerungen um so sorgfältiger nachspüren und sie um so vorsichtiger beurtheilen, als sie sich unter den großen Formen der lyrischen und epischen Dichtung nur sparsam darbieten. In dem hellenischen Alterthum, in dem Blüthenalter der Menschheit, finden wir allerdings den zartesten Ausdruck tiefer Naturempfindung den dichterischen Darstellungen menschlicher Leidenschaft, einer der Sagengeschichte entnommenen Handlung beigemischt; aber das eigentlich Naturbeschreibende zeigt sich dann nur als ein Beiwerk, weil in der griechischen Kunstbildung sich alles gleichsam im Kreise der Menschheit bewegt.

Beschreibung der Natur in ihrer gestaltenreichen Mannigfaltigkeit, Naturdichtung als ein abgesonderter Zweig der Litteratur war den Griechen völlig fremd. Auch die Landschaft erscheint bei ihnen nur als Hintergrund eines Gemäldes, vor dem menschliche Gestalten sich bewegen. Leidenschaften in Thaten ausbrechend fesselten fast allein den

So viel wahres und vortreffliches auch im einzelnen in diesen Aeußerungen liegt, so können sie doch keinesweges auf das ganze Alterthum ausgedehnt werden. Auch dürfen wir es wohl eine beschränkte Ansicht nennen, unter dem Alterthum, wenn dasselbe der neueren Zeit entgegengesetzt werden soll, immer nur ausschließlich die hellenische und römische Welt zu verstehen. Tiefes Naturgefühl spricht sich in den ältesten Dichtungen der Hebräer und Inder aus: also bei Volksstämmen sehr verschiedener, semitischer und indogermanischer Abkunft.

Wir können auf die Sinnesart der alten Völker nur aus den Aeußerungen der Naturgefühle schließen, welche in den Ueberbleibseln ihrer Litteratur ausgesprochen sind; wir müssen daher diesen Aeußerungen um so sorgfältiger nachspüren und sie um so vorsichtiger beurtheilen, als sie sich unter den großen Formen der lyrischen und epischen Dichtung nur sparsam darbieten. In dem hellenischen Alterthum, in dem Blüthenalter der Menschheit, finden wir allerdings den zartesten Ausdruck tiefer Naturempfindung den dichterischen Darstellungen menschlicher Leidenschaft, einer der Sagengeschichte entnommenen Handlung beigemischt; aber das eigentlich Naturbeschreibende zeigt sich dann nur als ein Beiwerk, weil in der griechischen Kunstbildung sich alles gleichsam im Kreise der Menschheit bewegt.

Beschreibung der Natur in ihrer gestaltenreichen Mannigfaltigkeit, Naturdichtung als ein abgesonderter Zweig der Litteratur war den Griechen völlig fremd. Auch die Landschaft erscheint bei ihnen nur als Hintergrund eines Gemäldes, vor dem menschliche Gestalten sich bewegen. Leidenschaften in Thaten ausbrechend fesselten fast allein den

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[7/0012] So viel wahres und vortreffliches auch im einzelnen in diesen Aeußerungen liegt, so können sie doch keinesweges auf das ganze Alterthum ausgedehnt werden. Auch dürfen wir es wohl eine beschränkte Ansicht nennen, unter dem Alterthum, wenn dasselbe der neueren Zeit entgegengesetzt werden soll, immer nur ausschließlich die hellenische und römische Welt zu verstehen. Tiefes Naturgefühl spricht sich in den ältesten Dichtungen der Hebräer und Inder aus: also bei Volksstämmen sehr verschiedener, semitischer und indogermanischer Abkunft. Wir können auf die Sinnesart der alten Völker nur aus den Aeußerungen der Naturgefühle schließen, welche in den Ueberbleibseln ihrer Litteratur ausgesprochen sind; wir müssen daher diesen Aeußerungen um so sorgfältiger nachspüren und sie um so vorsichtiger beurtheilen, als sie sich unter den großen Formen der lyrischen und epischen Dichtung nur sparsam darbieten. In dem hellenischen Alterthum, in dem Blüthenalter der Menschheit, finden wir allerdings den zartesten Ausdruck tiefer Naturempfindung den dichterischen Darstellungen menschlicher Leidenschaft, einer der Sagengeschichte entnommenen Handlung beigemischt; aber das eigentlich Naturbeschreibende zeigt sich dann nur als ein Beiwerk, weil in der griechischen Kunstbildung sich alles gleichsam im Kreise der Menschheit bewegt. Beschreibung der Natur in ihrer gestaltenreichen Mannigfaltigkeit, Naturdichtung als ein abgesonderter Zweig der Litteratur war den Griechen völlig fremd. Auch die Landschaft erscheint bei ihnen nur als Hintergrund eines Gemäldes, vor dem menschliche Gestalten sich bewegen. Leidenschaften in Thaten ausbrechend fesselten fast allein den

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/12>, abgerufen am 26.04.2024.