Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.I. Naturbeschreibung. -- Naturgefühl nach Verschiedenheit der Zeiten und der Völkerstämme. Es ist oftmals ausgesprochen worden, daß die Freude an der Natur, wenn auch dem Alterthume nicht fremd, doch in ihm als Ausdruck des Gefühls sparsamer und minder lebhaft gewesen sei denn in der neueren Zeit. "Wenn man sich", sagt Schiller4 in seinen Betrachtungen über die naive und sentimentale Dichtung, "der schönen Natur erinnert, welche die alten Griechen umgab; wenn man nachdenkt, wie vertraut dieses Volk unter seinem glücklichen Himmel mit der freien Natur leben konnte, wie sehr viel näher seine Vorstellungsart, seine Empfindungsweise, seine Sitten der einfältigen Natur lagen und welch ein treuer Abdruck derselben seine Dichterwerke sind: so muß die Bemerkung befremden, daß man so wenig Spuren von dem sentimentalischen Interesse, mit welchem wir Neueren an Naturscenen und Naturcharakteren hangen können, bei denselben antrifft. Der Grieche ist zwar im höchsten Grade genau, treu, umständlich in Beschreibung derselben, aber mit nicht mehrerem Herzensantheil als er es in der Beschreibung eines Gewandes, eines Schildes, einer Rüstung ist. Die Natur scheint mehr seinen Verstand als sein moralisches Gefühl zu interessiren; er hängt nicht mit Innigkeit und süßer Wehmuth an derselben, wie die Neueren." I. Naturbeschreibung. — Naturgefühl nach Verschiedenheit der Zeiten und der Völkerstämme. Es ist oftmals ausgesprochen worden, daß die Freude an der Natur, wenn auch dem Alterthume nicht fremd, doch in ihm als Ausdruck des Gefühls sparsamer und minder lebhaft gewesen sei denn in der neueren Zeit. „Wenn man sich", sagt Schiller4 in seinen Betrachtungen über die naive und sentimentale Dichtung, „der schönen Natur erinnert, welche die alten Griechen umgab; wenn man nachdenkt, wie vertraut dieses Volk unter seinem glücklichen Himmel mit der freien Natur leben konnte, wie sehr viel näher seine Vorstellungsart, seine Empfindungsweise, seine Sitten der einfältigen Natur lagen und welch ein treuer Abdruck derselben seine Dichterwerke sind: so muß die Bemerkung befremden, daß man so wenig Spuren von dem sentimentalischen Interesse, mit welchem wir Neueren an Naturscenen und Naturcharakteren hangen können, bei denselben antrifft. Der Grieche ist zwar im höchsten Grade genau, treu, umständlich in Beschreibung derselben, aber mit nicht mehrerem Herzensantheil als er es in der Beschreibung eines Gewandes, eines Schildes, einer Rüstung ist. Die Natur scheint mehr seinen Verstand als sein moralisches Gefühl zu interessiren; er hängt nicht mit Innigkeit und süßer Wehmuth an derselben, wie die Neueren." <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0011" n="6"/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">I. Naturbeschreibung. — Naturgefühl nach Verschiedenheit der Zeiten und der Völkerstämme.</hi> </head><lb/> <p>Es ist oftmals ausgesprochen worden, daß die Freude an der Natur, wenn auch dem Alterthume nicht fremd, doch in ihm als Ausdruck des Gefühls sparsamer und minder lebhaft gewesen sei denn in der neueren Zeit. „Wenn man sich", sagt Schiller<note xml:id="ftn3" next="#ftn3-text" place="end" n="4"/> in seinen Betrachtungen über die naive und sentimentale Dichtung, „der schönen Natur erinnert, welche die alten Griechen umgab; wenn man nachdenkt, wie vertraut dieses Volk unter seinem glücklichen Himmel mit der freien Natur leben konnte, wie sehr viel näher seine Vorstellungsart, seine Empfindungsweise, seine Sitten der einfältigen Natur lagen und welch ein treuer Abdruck derselben seine Dichterwerke sind: so muß die Bemerkung befremden, daß man so wenig Spuren von dem sentimentalischen Interesse, mit welchem wir Neueren an Naturscenen und Naturcharakteren hangen können, bei denselben antrifft. Der Grieche ist zwar im höchsten Grade genau, treu, umständlich in Beschreibung derselben, aber mit nicht mehrerem Herzensantheil als er es in der Beschreibung eines Gewandes, eines Schildes, einer Rüstung ist. Die Natur scheint mehr seinen Verstand als sein moralisches Gefühl zu interessiren; er hängt nicht mit Innigkeit und süßer Wehmuth an derselben, wie die Neueren." </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [6/0011]
I. Naturbeschreibung. — Naturgefühl nach Verschiedenheit der Zeiten und der Völkerstämme.
Es ist oftmals ausgesprochen worden, daß die Freude an der Natur, wenn auch dem Alterthume nicht fremd, doch in ihm als Ausdruck des Gefühls sparsamer und minder lebhaft gewesen sei denn in der neueren Zeit. „Wenn man sich", sagt Schiller
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in seinen Betrachtungen über die naive und sentimentale Dichtung, „der schönen Natur erinnert, welche die alten Griechen umgab; wenn man nachdenkt, wie vertraut dieses Volk unter seinem glücklichen Himmel mit der freien Natur leben konnte, wie sehr viel näher seine Vorstellungsart, seine Empfindungsweise, seine Sitten der einfältigen Natur lagen und welch ein treuer Abdruck derselben seine Dichterwerke sind: so muß die Bemerkung befremden, daß man so wenig Spuren von dem sentimentalischen Interesse, mit welchem wir Neueren an Naturscenen und Naturcharakteren hangen können, bei denselben antrifft. Der Grieche ist zwar im höchsten Grade genau, treu, umständlich in Beschreibung derselben, aber mit nicht mehrerem Herzensantheil als er es in der Beschreibung eines Gewandes, eines Schildes, einer Rüstung ist. Die Natur scheint mehr seinen Verstand als sein moralisches Gefühl zu interessiren; er hängt nicht mit Innigkeit und süßer Wehmuth an derselben, wie die Neueren."
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