Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.verbreitet, giebt der Landschaftmalerei, wenn es dem Pinsel gelingt diesen milden Lichteffect nachzuahmen, eine eigenthümliche, geheimnißvolle Macht. Bei tiefer Kenntniß von dem Wesen des griechischen Trauerspiels hat man sinnig den Zauber des Chors in seiner allvermittelnden Wirkungsweise mit dem Himmel in der Landschaft verglichen.27 Die Vervielfältigung der Mittel, welche der Malerei zu Gebote steht, um die Phantasie anzuregen und die großartigsten Erscheinungen von Meer und Land gleichsam auf einen kleinen Raum zu concentriren, ist unseren Pflanzungen und Gartenanlagen versagt; aber wo in diesen der Totaleindruck des Landschaftlichen geringer ist, entschädigen sie im einzelnen durch die Herrschaft, welche überall die Wirklichkeit über die Sinne ausübt. Wenn man in dem Palmenhause von Loddiges oder in dem der Pfaueninsel bei Potsdam (einem Denkmal von dem einfachen Naturgefühl unseres edlen, hingeschiedenen Monarchen) von dem hohen Altane bei heller Mittagssonne auf die Fülle schilf- und baumartiger Palmen herabblickt, so ist man auf Augenblicke über die Oertlichkeit, in der man sich befindet, vollkommen getäuscht. Man glaubt unter dem Tropen-Klima selbst, von dem Gipfel eines Hügels herab, ein kleines Palmengebüsch zu sehen. Man entbehrt freilich den Anblick der tiefen Himmelsbläue, den Eindruck einer größeren Intensität des Lichtes; dennoch ist die Einbildungskraft hier noch thätiger, die Illusion größer als bei dem vollkommensten Gemälde. Man knüpft an jede Pflanzenform die Wunder einer fernen Welt; man vernimmt das Rauschen der fächerartigen Blätter, man sieht ihre wechselnd schwindende Erleuchtung, wenn, von kleinen Luftströmen sanft bewegt, die Palmengipfel verbreitet, giebt der Landschaftmalerei, wenn es dem Pinsel gelingt diesen milden Lichteffect nachzuahmen, eine eigenthümliche, geheimnißvolle Macht. Bei tiefer Kenntniß von dem Wesen des griechischen Trauerspiels hat man sinnig den Zauber des Chors in seiner allvermittelnden Wirkungsweise mit dem Himmel in der Landschaft verglichen.27 Die Vervielfältigung der Mittel, welche der Malerei zu Gebote steht, um die Phantasie anzuregen und die großartigsten Erscheinungen von Meer und Land gleichsam auf einen kleinen Raum zu concentriren, ist unseren Pflanzungen und Gartenanlagen versagt; aber wo in diesen der Totaleindruck des Landschaftlichen geringer ist, entschädigen sie im einzelnen durch die Herrschaft, welche überall die Wirklichkeit über die Sinne ausübt. Wenn man in dem Palmenhause von Loddiges oder in dem der Pfaueninsel bei Potsdam (einem Denkmal von dem einfachen Naturgefühl unseres edlen, hingeschiedenen Monarchen) von dem hohen Altane bei heller Mittagssonne auf die Fülle schilf- und baumartiger Palmen herabblickt, so ist man auf Augenblicke über die Oertlichkeit, in der man sich befindet, vollkommen getäuscht. Man glaubt unter dem Tropen-Klima selbst, von dem Gipfel eines Hügels herab, ein kleines Palmengebüsch zu sehen. Man entbehrt freilich den Anblick der tiefen Himmelsbläue, den Eindruck einer größeren Intensität des Lichtes; dennoch ist die Einbildungskraft hier noch thätiger, die Illusion größer als bei dem vollkommensten Gemälde. 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Man knüpft an jede Pflanzenform die Wunder einer fernen Welt; man vernimmt das Rauschen der fächerartigen Blätter, man sieht ihre wechselnd schwindende Erleuchtung, wenn, von kleinen Luftströmen sanft bewegt, die Palmengipfel </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [97/0102]
verbreitet, giebt der Landschaftmalerei, wenn es dem Pinsel gelingt diesen milden Lichteffect nachzuahmen, eine eigenthümliche, geheimnißvolle Macht. Bei tiefer Kenntniß von dem Wesen des griechischen Trauerspiels hat man sinnig den Zauber des Chors in seiner allvermittelnden Wirkungsweise mit dem Himmel in der Landschaft verglichen.
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Die Vervielfältigung der Mittel, welche der Malerei zu Gebote steht, um die Phantasie anzuregen und die großartigsten Erscheinungen von Meer und Land gleichsam auf einen kleinen Raum zu concentriren, ist unseren Pflanzungen und Gartenanlagen versagt; aber wo in diesen der Totaleindruck des Landschaftlichen geringer ist, entschädigen sie im einzelnen durch die Herrschaft, welche überall die Wirklichkeit über die Sinne ausübt. Wenn man in dem Palmenhause von Loddiges oder in dem der Pfaueninsel bei Potsdam (einem Denkmal von dem einfachen Naturgefühl unseres edlen, hingeschiedenen Monarchen) von dem hohen Altane bei heller Mittagssonne auf die Fülle schilf- und baumartiger Palmen herabblickt, so ist man auf Augenblicke über die Oertlichkeit, in der man sich befindet, vollkommen getäuscht. Man glaubt unter dem Tropen-Klima selbst, von dem Gipfel eines Hügels herab, ein kleines Palmengebüsch zu sehen. Man entbehrt freilich den Anblick der tiefen Himmelsbläue, den Eindruck einer größeren Intensität des Lichtes; dennoch ist die Einbildungskraft hier noch thätiger, die Illusion größer als bei dem vollkommensten Gemälde. Man knüpft an jede Pflanzenform die Wunder einer fernen Welt; man vernimmt das Rauschen der fächerartigen Blätter, man sieht ihre wechselnd schwindende Erleuchtung, wenn, von kleinen Luftströmen sanft bewegt, die Palmengipfel
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Zitationshilfe: | Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/102>, abgerufen am 16.02.2025. |