sicht, und in verschiedenem Maasse bedient. Bei den Alten war die Religion mit der Staatsverfassung innigst verbunden, eigent- lich politische Stütze oder Triebfeder derselben, und es gilt daher davon alles das, was ich im Vorigen über ähnliche Ein- richtungen der Alten bemerkt habe. Als die christliche Reli- gion, statt der ehemaligen Partikulargottheiten der Nationen, eine allgemeine Gottheit aller Menschen lehrte, dadurch eine der gefährlichsten Mauern umstürzte, welche die verschiedenen Stämme des Menschengeschlechts von einander absonderten, und damit den wahren Grund aller wahren Menschentugend, Menschenentwickelung und Menschenvereinigung legte, ohne welche Aufklärung, und Kenntnisse und Wissenschaften selbst noch sehr viel länger, wenn nicht immer, ein seltenes Eigenthum einiger Wenigen geblieben wären; wurde das Band zwischen der Verfassung des Staats und der Religion lockerer. Als aber nachher der Einbruch barbarischer Völker die Aufklärung verscheuchte, Missverstand eben jener Religion einen blinden und intoleranten Eifer Proselyten zu machen eingab, und die politische Gestalt der Staaten zugleich so verändert war, dass man, statt der Bürger, nur Unterthanen, und nicht sowohl des Staats, als des Regenten fand, wurde Sorgfalt für die Erhal- tung und Ausbreitung der Religion aus eigener Gewissenhaf- tigkeit der Fürsten geübt, welche dieselbe ihnen von der Gott- heit selbst anvertraut glaubten. In neueren Zeiten ist zwar dies Vorurtheil seltener geworden, allein der Gesichtspunkt der innerlichen Sicherheit und der Sittlichkeit -- als ihrer festesten Schutzwehr -- hat die Beförderung der Religion durch Gesetze und Staatseinrichtungen nicht minder dringend empfohlen. Dies, glaube ich, wären etwa die Hauptepochen in der Reli- gionsgeschichte der Staaten, ob ich gleich nicht läugnen will, dass jede der angeführten Rücksichten, und vorzüglich die letzte überall mitwirken mochte, indess freilich Eine die vor- züglichste war. Bei dem Bemühen, durch Religionsideen auf
sicht, und in verschiedenem Maasse bedient. Bei den Alten war die Religion mit der Staatsverfassung innigst verbunden, eigent- lich politische Stütze oder Triebfeder derselben, und es gilt daher davon alles das, was ich im Vorigen über ähnliche Ein- richtungen der Alten bemerkt habe. Als die christliche Reli- gion, statt der ehemaligen Partikulargottheiten der Nationen, eine allgemeine Gottheit aller Menschen lehrte, dadurch eine der gefährlichsten Mauern umstürzte, welche die verschiedenen Stämme des Menschengeschlechts von einander absonderten, und damit den wahren Grund aller wahren Menschentugend, Menschenentwickelung und Menschenvereinigung legte, ohne welche Aufklärung, und Kenntnisse und Wissenschaften selbst noch sehr viel länger, wenn nicht immer, ein seltenes Eigenthum einiger Wenigen geblieben wären; wurde das Band zwischen der Verfassung des Staats und der Religion lockerer. Als aber nachher der Einbruch barbarischer Völker die Aufklärung verscheuchte, Missverstand eben jener Religion einen blinden und intoleranten Eifer Proselyten zu machen eingab, und die politische Gestalt der Staaten zugleich so verändert war, dass man, statt der Bürger, nur Unterthanen, und nicht sowohl des Staats, als des Regenten fand, wurde Sorgfalt für die Erhal- tung und Ausbreitung der Religion aus eigener Gewissenhaf- tigkeit der Fürsten geübt, welche dieselbe ihnen von der Gott- heit selbst anvertraut glaubten. In neueren Zeiten ist zwar dies Vorurtheil seltener geworden, allein der Gesichtspunkt der innerlichen Sicherheit und der Sittlichkeit — als ihrer festesten Schutzwehr — hat die Beförderung der Religion durch Gesetze und Staatseinrichtungen nicht minder dringend empfohlen. Dies, glaube ich, wären etwa die Hauptepochen in der Reli- gionsgeschichte der Staaten, ob ich gleich nicht läugnen will, dass jede der angeführten Rücksichten, und vorzüglich die letzte überall mitwirken mochte, indess freilich Eine die vor- züglichste war. Bei dem Bemühen, durch Religionsideen auf
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0098"n="62"/>
sicht, und in verschiedenem Maasse bedient. Bei den Alten war<lb/>
die Religion mit der Staatsverfassung innigst verbunden, eigent-<lb/>
lich politische Stütze oder Triebfeder derselben, und es gilt<lb/>
daher davon alles das, was ich im Vorigen über ähnliche Ein-<lb/>
richtungen der Alten bemerkt habe. Als die christliche Reli-<lb/>
gion, statt der ehemaligen Partikulargottheiten der Nationen,<lb/>
eine allgemeine Gottheit aller Menschen lehrte, dadurch eine<lb/>
der gefährlichsten Mauern umstürzte, welche die verschiedenen<lb/>
Stämme des Menschengeschlechts von einander absonderten,<lb/>
und damit den wahren Grund aller wahren Menschentugend,<lb/>
Menschenentwickelung und Menschenvereinigung legte, ohne<lb/>
welche Aufklärung, und Kenntnisse und Wissenschaften selbst<lb/>
noch sehr viel länger, wenn nicht immer, ein seltenes Eigenthum<lb/>
einiger Wenigen geblieben wären; wurde das Band zwischen<lb/>
der Verfassung des Staats und der Religion lockerer. Als<lb/>
aber nachher der Einbruch barbarischer Völker die Aufklärung<lb/>
verscheuchte, Missverstand eben jener Religion einen blinden<lb/>
und intoleranten Eifer Proselyten zu machen eingab, und die<lb/>
politische Gestalt der Staaten zugleich so verändert war, dass<lb/>
man, statt der Bürger, nur Unterthanen, und nicht sowohl des<lb/>
Staats, als des Regenten fand, wurde Sorgfalt für die Erhal-<lb/>
tung und Ausbreitung der Religion aus eigener Gewissenhaf-<lb/>
tigkeit der Fürsten geübt, welche dieselbe ihnen von der Gott-<lb/>
heit selbst anvertraut glaubten. In neueren Zeiten ist zwar<lb/>
dies Vorurtheil seltener geworden, allein der Gesichtspunkt der<lb/>
innerlichen Sicherheit und der Sittlichkeit — als ihrer festesten<lb/>
Schutzwehr — hat die Beförderung der Religion durch Gesetze<lb/>
und Staatseinrichtungen nicht minder dringend empfohlen.<lb/>
Dies, glaube ich, wären etwa die Hauptepochen in der Reli-<lb/>
gionsgeschichte der Staaten, ob ich gleich nicht läugnen will,<lb/>
dass jede der angeführten Rücksichten, und vorzüglich die<lb/>
letzte überall mitwirken mochte, indess freilich Eine die vor-<lb/>
züglichste war. Bei dem Bemühen, durch Religionsideen auf<lb/></p></div></body></text></TEI>
[62/0098]
sicht, und in verschiedenem Maasse bedient. Bei den Alten war
die Religion mit der Staatsverfassung innigst verbunden, eigent-
lich politische Stütze oder Triebfeder derselben, und es gilt
daher davon alles das, was ich im Vorigen über ähnliche Ein-
richtungen der Alten bemerkt habe. Als die christliche Reli-
gion, statt der ehemaligen Partikulargottheiten der Nationen,
eine allgemeine Gottheit aller Menschen lehrte, dadurch eine
der gefährlichsten Mauern umstürzte, welche die verschiedenen
Stämme des Menschengeschlechts von einander absonderten,
und damit den wahren Grund aller wahren Menschentugend,
Menschenentwickelung und Menschenvereinigung legte, ohne
welche Aufklärung, und Kenntnisse und Wissenschaften selbst
noch sehr viel länger, wenn nicht immer, ein seltenes Eigenthum
einiger Wenigen geblieben wären; wurde das Band zwischen
der Verfassung des Staats und der Religion lockerer. Als
aber nachher der Einbruch barbarischer Völker die Aufklärung
verscheuchte, Missverstand eben jener Religion einen blinden
und intoleranten Eifer Proselyten zu machen eingab, und die
politische Gestalt der Staaten zugleich so verändert war, dass
man, statt der Bürger, nur Unterthanen, und nicht sowohl des
Staats, als des Regenten fand, wurde Sorgfalt für die Erhal-
tung und Ausbreitung der Religion aus eigener Gewissenhaf-
tigkeit der Fürsten geübt, welche dieselbe ihnen von der Gott-
heit selbst anvertraut glaubten. In neueren Zeiten ist zwar
dies Vorurtheil seltener geworden, allein der Gesichtspunkt der
innerlichen Sicherheit und der Sittlichkeit — als ihrer festesten
Schutzwehr — hat die Beförderung der Religion durch Gesetze
und Staatseinrichtungen nicht minder dringend empfohlen.
Dies, glaube ich, wären etwa die Hauptepochen in der Reli-
gionsgeschichte der Staaten, ob ich gleich nicht läugnen will,
dass jede der angeführten Rücksichten, und vorzüglich die
letzte überall mitwirken mochte, indess freilich Eine die vor-
züglichste war. Bei dem Bemühen, durch Religionsideen auf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/98>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.