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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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Was zuerst dem Saamenkorn entspriesst, ist noch fern von
ihrem Reiz. Der volle dicke Stengel, die breiten, aus einander
fallenden Blätter bedürfen noch einer mehr vollendeten Bil-
dung. Stufenweise steigt diese, wie sich das Auge am Stamme
erhebt; zartere Blätter sehnen sich gleichsam, sich zu verei-
nigen, und schliessen sich enger und enger, bis der Kelch das
Verlangen zu stillen scheint 1). Indess ist das Geschlecht der
Pflanzen nicht von dem Schicksal gesegnet. Die Blüthe fällt
ab, und die Frucht bringt wieder den gleich rohen, und gleich
sich verfeinernden Stamm hervor. Wenn im Menschen die
Blüthe welkt; so macht sie nur jener schönern Platz, und den
Zauber der schönsten birgt unserm Auge erst die ewig uner-
forschbare Unendlichkeit. Was nun der Mensch von aussen
empfängt, ist nur Saamenkorn. Seine energische Thätigkeit
muss es, sei's auch das schönste, erst auch zum seegenvollsten
für ihn machen. Aber wohlthätiger ist es ihm immer in dem
Grade, in welchem es kraftvoll, und eigen in sich ist. Das
höchste Ideal des Zusammenexistirens menschlicher Wesen
wäre mir dasjenige, in dem jedes nur aus sich selbst, und um
seiner selbst willen sich entwickelte. Physische und mora-
lische Natur würden diese Menschen schon noch an einander
führen, und wie die Kämpfe des Kriegs ehrenvoller sind, als
die der Arena, wie die Kämpfe erbitterter Bürger höheren
Ruhm gewähren, als die getriebener Miethsoldaten; so würde
auch das Ringen der Kräfte dieser Menschen die höchste
Energie zugleich beweisen und erzeugen.

Ist es nicht eben das, was uns an das Zeitalter Griechen-
lands und Roms, und jedes Zeitalter allgemein an ein entfern-
teres, hingeschwundenes so namenlos fesselt? Ist es nicht
vorzüglich, dass diese Menschen härtere Kämpfe mit dem
Schicksal, härtere mit Menschen zu bestehen hatten? Dass die

1) Göthe, über die Metamorphose der Pflanzen.

Was zuerst dem Saamenkorn entspriesst, ist noch fern von
ihrem Reiz. Der volle dicke Stengel, die breiten, aus einander
fallenden Blätter bedürfen noch einer mehr vollendeten Bil-
dung. Stufenweise steigt diese, wie sich das Auge am Stamme
erhebt; zartere Blätter sehnen sich gleichsam, sich zu verei-
nigen, und schliessen sich enger und enger, bis der Kelch das
Verlangen zu stillen scheint 1). Indess ist das Geschlecht der
Pflanzen nicht von dem Schicksal gesegnet. Die Blüthe fällt
ab, und die Frucht bringt wieder den gleich rohen, und gleich
sich verfeinernden Stamm hervor. Wenn im Menschen die
Blüthe welkt; so macht sie nur jener schönern Platz, und den
Zauber der schönsten birgt unserm Auge erst die ewig uner-
forschbare Unendlichkeit. Was nun der Mensch von aussen
empfängt, ist nur Saamenkorn. Seine energische Thätigkeit
muss es, sei’s auch das schönste, erst auch zum seegenvollsten
für ihn machen. Aber wohlthätiger ist es ihm immer in dem
Grade, in welchem es kraftvoll, und eigen in sich ist. Das
höchste Ideal des Zusammenexistirens menschlicher Wesen
wäre mir dasjenige, in dem jedes nur aus sich selbst, und um
seiner selbst willen sich entwickelte. Physische und mora-
lische Natur würden diese Menschen schon noch an einander
führen, und wie die Kämpfe des Kriegs ehrenvoller sind, als
die der Arena, wie die Kämpfe erbitterter Bürger höheren
Ruhm gewähren, als die getriebener Miethsoldaten; so würde
auch das Ringen der Kräfte dieser Menschen die höchste
Energie zugleich beweisen und erzeugen.

Ist es nicht eben das, was uns an das Zeitalter Griechen-
lands und Roms, und jedes Zeitalter allgemein an ein entfern-
teres, hingeschwundenes so namenlos fesselt? Ist es nicht
vorzüglich, dass diese Menschen härtere Kämpfe mit dem
Schicksal, härtere mit Menschen zu bestehen hatten? Dass die

1) Göthe, über die Metamorphose der Pflanzen.
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[13/0049] Was zuerst dem Saamenkorn entspriesst, ist noch fern von ihrem Reiz. Der volle dicke Stengel, die breiten, aus einander fallenden Blätter bedürfen noch einer mehr vollendeten Bil- dung. Stufenweise steigt diese, wie sich das Auge am Stamme erhebt; zartere Blätter sehnen sich gleichsam, sich zu verei- nigen, und schliessen sich enger und enger, bis der Kelch das Verlangen zu stillen scheint 1). Indess ist das Geschlecht der Pflanzen nicht von dem Schicksal gesegnet. Die Blüthe fällt ab, und die Frucht bringt wieder den gleich rohen, und gleich sich verfeinernden Stamm hervor. Wenn im Menschen die Blüthe welkt; so macht sie nur jener schönern Platz, und den Zauber der schönsten birgt unserm Auge erst die ewig uner- forschbare Unendlichkeit. Was nun der Mensch von aussen empfängt, ist nur Saamenkorn. Seine energische Thätigkeit muss es, sei’s auch das schönste, erst auch zum seegenvollsten für ihn machen. Aber wohlthätiger ist es ihm immer in dem Grade, in welchem es kraftvoll, und eigen in sich ist. Das höchste Ideal des Zusammenexistirens menschlicher Wesen wäre mir dasjenige, in dem jedes nur aus sich selbst, und um seiner selbst willen sich entwickelte. Physische und mora- lische Natur würden diese Menschen schon noch an einander führen, und wie die Kämpfe des Kriegs ehrenvoller sind, als die der Arena, wie die Kämpfe erbitterter Bürger höheren Ruhm gewähren, als die getriebener Miethsoldaten; so würde auch das Ringen der Kräfte dieser Menschen die höchste Energie zugleich beweisen und erzeugen. Ist es nicht eben das, was uns an das Zeitalter Griechen- lands und Roms, und jedes Zeitalter allgemein an ein entfern- teres, hingeschwundenes so namenlos fesselt? Ist es nicht vorzüglich, dass diese Menschen härtere Kämpfe mit dem Schicksal, härtere mit Menschen zu bestehen hatten? Dass die 1) Göthe, über die Metamorphose der Pflanzen.

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/49>, abgerufen am 24.11.2024.