Fülle und Schönheit ausser sich wahrnimmt, in welchem er beide im eignen Busen bewahrt. Wieviel ähnlicher aber noch muss die Wirkung der Ursache da sein, wo der Mensch nicht bloss empfindet und äussere Eindrücke auffasst, sondern selbst thätig wird?
Versucht man es, diese Ideen durch nähere Anwendungen auf den einzelnen Menschen, noch genauer zu prüfen; so redu- cirt sich in diesem alles auf Form und Materie. Die reinste Form mit der leichtesten Hülle nennen wir Idee, die am wenig- sten mit Gestalt begabte Materie, sinnliche Empfindung. Aus der Verbindung der Materie geht die Form hervor. Je grösser die Fülle und Mannigfaltigkeit der Materie, je erhabener die Form. Ein Götterkind ist nur die Frucht unsterblicher Eltern. Die Form wird wiederum gleichsam Materie einer noch schö- neren Form. So wird die Blüthe zur Frucht, und aus dem Saamenkorn der Frucht entspringt der neue, von neuem blüthenreiche Stamm. Je mehr die Mannigfaltigkeit zugleich mit der Feinheit der Materie zunimmt, desto höher die Kraft. Denn desto inniger der Zusammenhang. Die Form scheint gleichsam in die Materie, in die Materie die Form verschmol- zen; oder, um ohne Bild zu reden, je ideenreicher die Gefühle des Menschen, und je gefühlvoller seine Ideen, desto unerreich- barer seine Erhabenheit. Denn auf diesem ewigen Begatten der Form und der Materie, oder des Mannigfaltigen mit der Einheit beruht die Verschmelzung der beiden im Menschen vereinten Naturen, und auf dieser seine Grösse. Aber die Stärke der Begattung hängt von der Stärke der Begattenden ab. Der höchste Moment des Menschen ist dieser Moment der Blüthe 1). Die minder reizende, einfache Gestalt der Frucht weist gleichsam selbst auf die Schönheit der Blüthe hin, die sich durch sie entfalten soll. Auch eilt nur alles der Blüthe zu.
Fülle und Schönheit ausser sich wahrnimmt, in welchem er beide im eignen Busen bewahrt. Wieviel ähnlicher aber noch muss die Wirkung der Ursache da sein, wo der Mensch nicht bloss empfindet und äussere Eindrücke auffasst, sondern selbst thätig wird?
Versucht man es, diese Ideen durch nähere Anwendungen auf den einzelnen Menschen, noch genauer zu prüfen; so redu- cirt sich in diesem alles auf Form und Materie. Die reinste Form mit der leichtesten Hülle nennen wir Idee, die am wenig- sten mit Gestalt begabte Materie, sinnliche Empfindung. Aus der Verbindung der Materie geht die Form hervor. Je grösser die Fülle und Mannigfaltigkeit der Materie, je erhabener die Form. Ein Götterkind ist nur die Frucht unsterblicher Eltern. Die Form wird wiederum gleichsam Materie einer noch schö- neren Form. So wird die Blüthe zur Frucht, und aus dem Saamenkorn der Frucht entspringt der neue, von neuem blüthenreiche Stamm. Je mehr die Mannigfaltigkeit zugleich mit der Feinheit der Materie zunimmt, desto höher die Kraft. Denn desto inniger der Zusammenhang. Die Form scheint gleichsam in die Materie, in die Materie die Form verschmol- zen; oder, um ohne Bild zu reden, je ideenreicher die Gefühle des Menschen, und je gefühlvoller seine Ideen, desto unerreich- barer seine Erhabenheit. Denn auf diesem ewigen Begatten der Form und der Materie, oder des Mannigfaltigen mit der Einheit beruht die Verschmelzung der beiden im Menschen vereinten Naturen, und auf dieser seine Grösse. Aber die Stärke der Begattung hängt von der Stärke der Begattenden ab. Der höchste Moment des Menschen ist dieser Moment der Blüthe 1). Die minder reizende, einfache Gestalt der Frucht weist gleichsam selbst auf die Schönheit der Blüthe hin, die sich durch sie entfalten soll. Auch eilt nur alles der Blüthe zu.
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Fülle und Schönheit ausser sich wahrnimmt, in welchem er
beide im eignen Busen bewahrt. Wieviel ähnlicher aber noch
muss die Wirkung der Ursache da sein, wo der Mensch nicht
bloss empfindet und äussere Eindrücke auffasst, sondern selbst
thätig wird?
Versucht man es, diese Ideen durch nähere Anwendungen
auf den einzelnen Menschen, noch genauer zu prüfen; so redu-
cirt sich in diesem alles auf Form und Materie. Die reinste
Form mit der leichtesten Hülle nennen wir Idee, die am wenig-
sten mit Gestalt begabte Materie, sinnliche Empfindung. Aus
der Verbindung der Materie geht die Form hervor. Je grösser
die Fülle und Mannigfaltigkeit der Materie, je erhabener die
Form. Ein Götterkind ist nur die Frucht unsterblicher Eltern.
Die Form wird wiederum gleichsam Materie einer noch schö-
neren Form. So wird die Blüthe zur Frucht, und aus dem
Saamenkorn der Frucht entspringt der neue, von neuem
blüthenreiche Stamm. Je mehr die Mannigfaltigkeit zugleich
mit der Feinheit der Materie zunimmt, desto höher die Kraft.
Denn desto inniger der Zusammenhang. Die Form scheint
gleichsam in die Materie, in die Materie die Form verschmol-
zen; oder, um ohne Bild zu reden, je ideenreicher die Gefühle
des Menschen, und je gefühlvoller seine Ideen, desto unerreich-
barer seine Erhabenheit. Denn auf diesem ewigen Begatten
der Form und der Materie, oder des Mannigfaltigen mit der
Einheit beruht die Verschmelzung der beiden im Menschen
vereinten Naturen, und auf dieser seine Grösse. Aber die
Stärke der Begattung hängt von der Stärke der Begattenden
ab. Der höchste Moment des Menschen ist dieser Moment der
Blüthe 1). Die minder reizende, einfache Gestalt der Frucht
weist gleichsam selbst auf die Schönheit der Blüthe hin, die
sich durch sie entfalten soll. Auch eilt nur alles der Blüthe zu.
1) Blüthe, Reife. Neues deutsches Museum, 1791. Junius, 22, 3.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/48>, abgerufen am 16.07.2024.
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