der handelnden Individuen. Besitzt daher das gegenwärtige Zeitalter einen Vorzug an dieser Bildung, dieser Stärke und diesem Reichthum, so muss man ihm auch die Freiheit gewähren, auf welche derselbe mit Recht Anspruch macht. Ebenso sind die Mittel, durch welche die Reform zu bewirken stände, einer fortschreitenden Bildung, wenn wir eine solche annehmen, bei weitem angemessener. Wenn sonst das gezückte Schwerdt der Nation die physische Macht des Beherrschers beschränkt, so besiegt hier Aufklärung und Kultur seine Ideen und seinen Willen; und die umgeformte Gestalt der Dinge scheint mehr sein Werk, als das Werk der Nation zu sein. Wenn es nun schon ein schöner, seelenerhebender Anblick ist, ein Volk zu sehen, das im vollen Gefühl seiner Menschen- und Bürgerrechte seine Fesseln zerbricht; so muss -- weil, was Neigung oder Achtung für das Gesetz wirkt, schöner und erhebender ist, als was Noth und Bedürfniss erpresst -- der Anblick eines Fürsten ungleich schöner und erhebender sein, welcher selbst die Fesseln löst und Freiheit gewährt, und dies Geschäft nicht als Frucht seiner wohlthätigen Güte, sondern als Erfüllung seiner ersten, unerlässlichen Pflicht betrachtet. Zumal da die Freiheit, nach welcher eine Nation durch Veränderung ihrer Verfassung strebt, sich zu der Freiheit, welche der einmal ein- gerichtete Staat geben kann, eben so verhält, als Hoffnung zum Genuss, Anlage zur Vollendung.
Wirft man einen Blick auf die Geschichte der Staatsver- fassungen; so würde es sehr schwierig sein, in irgend einer genau den Umfang zu zeigen, auf welchen sich ihre Wirksam- keit beschränkt, da man wohl in keiner hierin einem über- dachten, auf einfachen Grundsätzen beruhenden Plane gefolgt ist. Vorzüglich hat man immer die Freiheit der Bürger aus einem zwiefachen Gesichtspunkte eingeengt, einmal aus dem Gesichtspunkte der Nothwendigkeit, die Verfassung entweder einzurichten, oder zu sichern; dann aus dem Gesichtspunkte
der handelnden Individuen. Besitzt daher das gegenwärtige Zeitalter einen Vorzug an dieser Bildung, dieser Stärke und diesem Reichthum, so muss man ihm auch die Freiheit gewähren, auf welche derselbe mit Recht Anspruch macht. Ebenso sind die Mittel, durch welche die Reform zu bewirken stände, einer fortschreitenden Bildung, wenn wir eine solche annehmen, bei weitem angemessener. Wenn sonst das gezückte Schwerdt der Nation die physische Macht des Beherrschers beschränkt, so besiegt hier Aufklärung und Kultur seine Ideen und seinen Willen; und die umgeformte Gestalt der Dinge scheint mehr sein Werk, als das Werk der Nation zu sein. Wenn es nun schon ein schöner, seelenerhebender Anblick ist, ein Volk zu sehen, das im vollen Gefühl seiner Menschen- und Bürgerrechte seine Fesseln zerbricht; so muss — weil, was Neigung oder Achtung für das Gesetz wirkt, schöner und erhebender ist, als was Noth und Bedürfniss erpresst — der Anblick eines Fürsten ungleich schöner und erhebender sein, welcher selbst die Fesseln löst und Freiheit gewährt, und dies Geschäft nicht als Frucht seiner wohlthätigen Güte, sondern als Erfüllung seiner ersten, unerlässlichen Pflicht betrachtet. Zumal da die Freiheit, nach welcher eine Nation durch Veränderung ihrer Verfassung strebt, sich zu der Freiheit, welche der einmal ein- gerichtete Staat geben kann, eben so verhält, als Hoffnung zum Genuss, Anlage zur Vollendung.
Wirft man einen Blick auf die Geschichte der Staatsver- fassungen; so würde es sehr schwierig sein, in irgend einer genau den Umfang zu zeigen, auf welchen sich ihre Wirksam- keit beschränkt, da man wohl in keiner hierin einem über- dachten, auf einfachen Grundsätzen beruhenden Plane gefolgt ist. Vorzüglich hat man immer die Freiheit der Bürger aus einem zwiefachen Gesichtspunkte eingeengt, einmal aus dem Gesichtspunkte der Nothwendigkeit, die Verfassung entweder einzurichten, oder zu sichern; dann aus dem Gesichtspunkte
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[4/0040]
der handelnden Individuen. Besitzt daher das gegenwärtige
Zeitalter einen Vorzug an dieser Bildung, dieser Stärke und
diesem Reichthum, so muss man ihm auch die Freiheit gewähren,
auf welche derselbe mit Recht Anspruch macht. Ebenso sind
die Mittel, durch welche die Reform zu bewirken stände, einer
fortschreitenden Bildung, wenn wir eine solche annehmen, bei
weitem angemessener. Wenn sonst das gezückte Schwerdt
der Nation die physische Macht des Beherrschers beschränkt,
so besiegt hier Aufklärung und Kultur seine Ideen und seinen
Willen; und die umgeformte Gestalt der Dinge scheint mehr
sein Werk, als das Werk der Nation zu sein. Wenn es nun
schon ein schöner, seelenerhebender Anblick ist, ein Volk zu
sehen, das im vollen Gefühl seiner Menschen- und Bürgerrechte
seine Fesseln zerbricht; so muss — weil, was Neigung oder
Achtung für das Gesetz wirkt, schöner und erhebender ist,
als was Noth und Bedürfniss erpresst — der Anblick eines
Fürsten ungleich schöner und erhebender sein, welcher selbst
die Fesseln löst und Freiheit gewährt, und dies Geschäft nicht
als Frucht seiner wohlthätigen Güte, sondern als Erfüllung
seiner ersten, unerlässlichen Pflicht betrachtet. Zumal da die
Freiheit, nach welcher eine Nation durch Veränderung ihrer
Verfassung strebt, sich zu der Freiheit, welche der einmal ein-
gerichtete Staat geben kann, eben so verhält, als Hoffnung zum
Genuss, Anlage zur Vollendung.
Wirft man einen Blick auf die Geschichte der Staatsver-
fassungen; so würde es sehr schwierig sein, in irgend einer
genau den Umfang zu zeigen, auf welchen sich ihre Wirksam-
keit beschränkt, da man wohl in keiner hierin einem über-
dachten, auf einfachen Grundsätzen beruhenden Plane gefolgt
ist. Vorzüglich hat man immer die Freiheit der Bürger aus
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/40>, abgerufen am 16.07.2024.
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